Brasilien - Zerreißprobe für die Regierung von Jair Bolsonaro – die Pandemie könnte so schlimme Folgen haben wie zuletzt in New York

Gesundheitssystem am Limit

Von 
Martina Farmbauer
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Protest: Mitglieder des Gesundheitswesens zeigen in Manaus Bilder von Kollegen, die an Covid-19 gestorben sein sollen. © dpa

Rio de Janeiro. Die Angehörigen von Dona Amalia sind verzweifelt. „Wollt ihr uns nicht drannehmen?“, flehen sie. „Die Frau stirbt im Auto!“ Doch die Sanitäter hinter der verschlossenen Eingangstür des Krankenhauses reagieren nicht. Schließlich kommt doch ein Mann heraus. „Wir können nichts machen“, sagt er. Dann bricht das dramatische Video aus der brasilianischen Amazonas-Metropole Manaus ab. Auf Anfrage versichert das örtliche Gesundheitssekretariat, dass die Frau letztendlich doch versorgt worden sei. Allerdings habe sie da schon im Sterben gelegen.

Das Krankenhaus ist seit Kurzem ausschließlich für Covid-19-Patienten reserviert – andere Notfälle werden nicht mehr behandelt. Angesichts der steigenden Zahl von Corona-Infektionen ist das Gesundheitswesen in Manaus am Limit. Dabei herrschten dort auch schon vor dem Ausbruch der Pandemie chaotische Zustände. Funktionäre wurden wegen Korruption verhaftet, Gehälter nicht gezahlt. Nun erzählen Bewohner von Manaus am Telefon, dass sie aufgefordert werden, nur noch bei Atemproblemen ein Hospital aufzusuchen.

„Das System ist kollabiert“, sagt einer von ihnen. Nachdem ein Video kursierte, das Patienten neben Tote zeigte, die in Plastikfolien gewickelt waren, wurde ein Kühlcontainer zur Lagerung von Leichen vor einem Hospital aufgestellt. Massengräber wurden ausgehoben, die Särge werden inzwischen übereinandergestapelt. Mehr als 66 500 Menschen haben sich im ganzen Land mit dem Virus infiziert, 4543 sind im Zusammenhang damit bislang gestorben.

Laut der Beobachtungsstelle brasilianischer Universitäten verdoppelte sich die Zahl der Corona-Toten zuletzt innerhalb von acht Tagen. „Das ist der Beginn der schwierigsten Phase in Brasilien“, sagt der Politikwissenschaftler Mauricio Santoro von der Universität des Bundesstaates Rio de Janeiro der Deutschen Presse-Agentur. „Nach einem Drehbuch, das wir schon anderswo gesehen haben – in Brasilien erschwert wegen unserer schwierigen sozialen Lage.“

Auch in anderen Städten sind die Krankenhäuser an ihre Grenzen geraten. Auf den Intensivstationen der öffentlichen Kliniken in Rio de Janeiro gibt es keine freien Betten für Corona-Patienten mehr. Gelson Wagner Vossa Vaz liegt seit Tagen in der Notaufnahme und müsste eigentlich dringend auf eine Intensivstation verlegt werden. „Er wurde bereits intubiert. Sein Zustand ist sehr ernst“, sagte sein Bruder Roberto Carlos dem Nachrichtenportal „G1“.

Fehlende Schutzausrüstung

Nun setzt Rio auf provisorische Hospitäler in Zelten – unter anderem im Maracana-Stadion. „Wir sind in einem sehr kritischen Moment der Pandemie. Der Andrang ist sehr groß“, sagt Direktor Werner Scheinflug. Geräte und Material hat eine der größten privaten Krankenhausgruppen Brasiliens zur Verfügung gestellt. In der Millionen-Metropole São Paulo hingegen gibt es große Probleme bei der Versorgung mit Material. Zuletzt demonstrierten Krankenschwestern und Pfleger wegen fehlender Schutzausrüstung. „Wir fangen um 7 Uhr an, und in der Pause hängen wir den Einwegumhang auf“, erzählt eine Schwester. „Danach benutzen wir ihn wieder bis 19 Uhr.“ Dabei müsste der Schutzanzug nach jedem Patientenkontakt entsorgt werden.

Oftmals ist der Umgang mit der Krise in Brasilien aber noch betont lässig: In Rio de Janeiro nehmen Leute zu einem Plausch auf der Straße die Schutzmaske ab, manche stehen in Kneipen zusammen, als ob nichts passiert wäre. Auch der rechtspopulistische Präsident Jair Bolsonaro nimmt das Coronavirus auf die leichte Schulter und fordert eine Rückkehr zur Normalität.

Im Streit über den richtigen Umgang mit dem Virus entließ Bolsonaro den beliebten Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta, der eine strenge Linie verfolgt hatte. Der prominente Justizminister und ehemalige Korruptionsermittler Sergio Moro trat aufgrund von Meinungsverschiedenheiten zurück. „All das macht den Kampf gegen die Pandemie natürlich schwieriger“, sagt Politikwissenschaftler Santoro. Auch unter den Gouverneuren in den Bundesstaaten fehlt eine einheitliche Linie. Während die Zahl der Toten immer weiter steigt, wurde in Blumenau im Süden des Landes ein Einkaufszentrum wiedereröffnet. Dicht an dicht strömten die Besucher hinein – unter dem Applaus der Angestellten. dpa

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