Wahlveranstaltung - Eine Kleinstadt in Baden schreibt Weltpolitik / Oberbürgermeister bricht Urlaub ab / Eine Spurensuche vor Ort

Gaggenau bietet Erdogan Paroli

Von 
Katharina Schwindt
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Einsatzfahrzeuge der Polizei hatten sich am Donnerstagmorgen bereits vor der Festhalle positioniert, wo am Abend der türkische Justizminister sprechen sollte.

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Gaggenau. "Wir sind sehr erleichtert, dass kein Sprengstoff gefunden wurde", sagt Gaggenaus Bürgermeister Michael Pfeiffer (kleines Bild) im Gespräch mit dieser Zeitung. Gestern war im Rathaus eine Bombendrohung per Mobilfunk eingegangen. Das Gebäude wurde geräumt, die Polizei ging mit Sprengstoff-Hunden auf die Suche - zur Erleichterung aller jedoch ohne Fund. Einen Tag zuvor hatte Pfeiffer die am Abend geplante Wahlkampfveranstaltung mit dem türkischen Justizminister Bekir Bozdag nur wenige Stunden vor Beginn abgesagt. Ein "faschistisches Vorgehen", wie Bozdag findet. Er glaube nicht, dass die Stadt eigenständig entschieden habe.

Bürgermeister Pfeiffer zufolge - er fällte die Entscheidung stellvertretend für den verreisten Oberbürgermeister Christof Florus (Freie Wähler) - habe sie dies sehr wohl. "Bis Mittwochnachmittag war noch von einer kleinen Mitgliederversammlung mit maximal 400 Menschen die Rede. Aus den Medien erfuhren wir dann am Donnerstagmorgen, dass nicht nur der Justizminister, sondern gleich mehrere türkische Abgeordnete kommen werden." Die Verwaltung habe sich daraufhin zusammengesetzt, ausgiebig von der Polizei beraten lassen und schließlich gemeinsam die Absage der Veranstaltung in der Gaggenauer Festhalle Bad Rotenfels beschlossen. Diese und der dazugehörige Parkplatz seien sowieso nicht für große Menschenmassen ausgerichtet, "wir mussten einfach die Reißleine ziehen", merkt der 54-jährige parteilose Lokalpolitiker an.

Diese kurzfristige Entscheidung wirkt sich jedoch nicht nur negativ auf das ohnehin schwierige politische Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei aus, sie sorgt auch für Spannungen innerhalb der Großen Kreisstadt Gaggenau. "Ich wäre gerne zur Veranstaltung gegangen, denn ich unterstütze Recep Tayyip Erdogan. Er ist ein charismatischer, großer Mann, der viel Gutes in der Türkei bewirkt hat. Natürlich hat er auch schlechte Seiten, er lässt zu schnell Menschen verhaften, aber nicht umsonst hat er die Wahl mit über 50 Prozent der Stimmen gewonnen", sagt Denniz Morina, der einen türkischen Pass besitzt.

Der 17-jährige Schüler ist sichtlich aufgebracht über die Bombendrohung im heimischen Rathaus. "In der Schule werden mich wieder alle fragen, ob ich das war oder denjenigen kenne. Das ist doch Volksverhetzung. Wir Türken machen so etwas nicht", erklärt Morina und zeigt dabei auf sein T-Shirt, auf dem die türkische Flagge zu sehen ist.

Seine Bekannte, Huda Khelalfa, ärgert sich zwar über die Bombendrohung, empfindet die Absage der Wahlveranstaltung jedoch als sinnvoll. "Die Festhalle ist einfach zu klein. Dort finden nicht mal große Hochzeiten statt. Die Absage hätte jedoch früher erfolgen sollen, das ist einfach schlecht organisiert", findet die 19-Jährige, die zugibt, dass sie ein wenig um die Sicherheit bangt.

Sorge um die Sicherheit

Das beschauliche Gaggenau ist nicht gerade der Nabel der Welt. Doch zurzeit ist der Ort über die Grenzen Europas hinaus bekannt. "Mir ist schon ein bisschen mulmig, das gebe ich zu. Nach der kurzfristigen Absage war klar, dass etwas kommen wird. Ich denke, dass jemand mit der Bombendrohung seinem Unmut über die Absage kundtun wollte", vermutet der 52-jährige Andreas Duerkop aus Baden-Baden.

Er ist eigens ans Rathaus gekommen, um sich den "Medienrummel" anzusehen. "Der Bürgermeister tut mir richtig leid, aber die geplante Veranstaltung und nun die Absage - dazu fällt mir nur der Begriff Schildbürgerstreich ein. Sowohl von türkischer, als auch von deutscher Seite wurde das Ganze nicht wirklich durchdacht. Erst hieß es, 400 Leute und ein Minister kommen, dann doch mehrere Abgeordnete. Und warum überhaupt in Gaggenau? Solche Veranstaltungen sollten zentral, zum Beispiel in Berlin stattfinden", so Duerkop. "Warum gerade in Gaggenau, das weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. Das ging ja alles von der Bundesregierung aus", erwidert Bürgermeister Michael Pfeiffer. Die ist es auch, die sich nun mit der türkischen Regierung auseinandersetzen müsse, "ich habe Verständnis dafür, dass man die in Deutschland wahlberechtigten Türken erreichen will, dafür muss die deutsche Regierung nun geeignete Rahmenbedingungen mit Ankara festgelegen", schiebt er noch nach.

"Wasser auf Mühlen der Rechten"

Rentner Manfred Burger hat da weniger Verständnis. "In Deutschland haben keine ausländischen Wahlveranstaltungen stattzufinden. Damit gießt man bloß Wasser auf die Mühlen der Rechten", sagt der 77-jährige Gaggenauer. Besonders ärgere ihn, dass Oberbürgermeister Christof Florus im Italien-Urlaub entspanne und hier dem erst seit knapp zwei Jahren als Bürgermeister tätigen Pfeiffer alles aufhalse: "Der Florus kommt nur, wenn er einen Wanderweg eröffnen muss", kritisiert Burger.

Doch zu diesem Zeitpunkt ist der OB bereits auf dem Weg nach Gaggenau, "nach der Bombendrohung heute Morgen hat er sich entschieden, seinen Urlaub abzubrechen. Das ließ ihm dann doch keine Ruhe, er müsste in wenigen Stunden da sein", kommentiert Bürgermeister Pfeiffer. Er hoffe, dass ab der kommenden Woche wieder Ruhe einkehre und man dem Alltag nachgehen könne. Das Verhältnis zwischen den deutschen und türkischen Einwohnern in Gaggenau sieht er durch die Absage und die Bombendrohung nicht beeinträchtigt. "Ich habe mit dem Vorsitzenden der Türkisch-Islamischen Gemeinde, Hakki Yilmaz, sowie mit dem örtlichen Imam bereits gesprochen. Sie werden beim Freitagsgebet der türkischen Gemeinde alles erklären", merkt Pfeiffer an. Er könne zwar nicht in die Gemeinde "reinsehen, aber es gibt natürlich auch da bestimmte Polarisierungen".

Vor Ort an der Moschee - die sich in der Nähe der Gaggenauer Festhalle befindet - wirken die Gemeindemitglieder entspannt, es wird Tee getrunken und geplaudert. Mehmet Yazdamli hat die Türkisch-Islamische Gemeinde Gaggenau (Ditib) 1983 gegründet: "Wir sind ein wenig enttäuscht, wie die deutsche Regierung mit türkischen Politikern umgeht. Aber an sich interessieren uns solche politischen Veranstaltungen nicht. Viele von uns wären da sowieso nicht hingegangen", sagt der Ehrenvorsitzende dieser Zeitung. Die Ditib trenne Religion und Politik, "in der Moschee hat Politik nichts zu suchen. Unser Imam hat heute kurz die Bombendrohung angesprochen und uns geraten, ruhig und vernünftig zu bleiben. Das alles hat nichts mit uns zu tun", sagt Yazdamli, während er weiter Tee einschenkt und dabei stets lächelt.

Dennoch fühlt sich der 27-jährige Nuri, ebenfalls Ditib-Mitglied, nicht mehr wohl: "Freiwillig bleibe ich nicht in Deutschland, aber meine Familie lebt hier. Die Bombendrohung ist doch Show, reine Hetze. Den Erdogan werden sie sicher auch nicht kommen lassen. Ich unterstütze ihn und ignoriere einfach die europäische Arroganz."

Redaktion Katharina Schwindt absolvierte von 2015 bis 2017 ihr journalistisches Volontariat bei der Schwetzinger Zeitung. Seit Juli 2017 ist sie Redakteurin bei der Impuls Verlagsgesellschaft und betreut dort die Badische Anzeigen Zeitung rund um Schwetzingen und Hockenheim.

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