Serbien

Furcht trotz Abzug

Präsident Vucic zieht zwar seine Armee von der Grenze zum Kosovo ab. Die Lage bleibt jedoch angespannt

Von 
Adelheid Wölfl
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Aleksandar Vucic, Präsident von Serbien, auf einer Pressekonferenz in Belgrad. © Darko Vojinovic/AP/dpa

Pristina. Die Gefahr ist vorerst abgewendet. Am Samstagnachmittag zogen sich die serbischen Kolonnen mit Artillerie, Panzern und Soldaten von der kosovarischen Grenze zurück. In einem dramatischen Appell hatten die USA zuvor Serbien aufgefordert, die Armee nach Belgrad zurückzubeordern, die schon zehn Tage zuvor begonnen hatte, sich Richtung Süden – also Richtung Kosovo – zu bewegen. Auch der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell hatte sich am Samstag sehr „besorgt“ über die Verstärkung der Präsenz der serbischen Armee gezeigt. „Die Streitkräfte sollten sich zurückziehen“, forderte Borell.

Übliches Manöver

Der serbische Präsident Aleksandar Vucic sagte der „Financial Times“, dass die serbische Armee nicht in den Kosovo einmarschieren werde, die Anzahl der sich an der Grenze befindenden Soldaten nehme ab. Vucic erklärte allerdings nicht, weshalb er die Armee überhaupt mit Panzern und Artillerie an die Grenze geschickt hatte. Einige erfahrene Beobachter der Politik des serbischen Staatschefs meinten, es handle sich um eines seiner üblichen Manöver. Vucic eskaliere immer wieder die Situation, um sich nachher als jener bedeutende Politiker darzustellen, der zur Deeskalation beitrage.

Sicher ist: Dafür bekommt er bisher auch regelmäßig Lob. Zurzeit erhält er aber eher Warnungen und Aufforderungen zu deeskalieren – sowohl vom Weißen Haus und Brüssel als auch vom Auswärtigen Amt in Berlin. Der Terroranschlag im Norden des Kosovo vor einer Woche, bei dem ein Polizist von den serbischen Milizen getötet wurde, wirkt noch nach. Der Westen konnte zuletzt seine Appeasement-Politik gegenüber Vucic angesichts der Gewalt und der offensichtlichen Aggression nicht mehr fortführen.

Der Anführer der etwa 80 Mann umfassenden Terrortruppe, Milan Radoicic, der bei dem Anschlag vergangenen Sonntag verletzt wurde und mit dem Auto Richtung Serbien floh, ließ inzwischen über seinen Anwalt mitteilen, dass er die Verantwortung für die Operation übernehme und dass die serbischen Behörden nichts damit zu tun hätten. Offensichtlich muss er Vucic und sein Regime schützen. Deshalb trat er auch als Vizechef der von Vucic kontrollierten Partei Srpska Lista im Nordkosovo zurück.

Der US-Botschafter in Pristina, Jeffrey Hovenier, sagte der BBC, dass bestimmte Strukturen hinter dem Terroranschlag im Kosovo steckten und dass die gefundenen Waffen darauf hindeuteten, dass die Angreifer diese nicht aus eigener Kraft hätten beschaffen können. Beobachter vermuten hinter dem versuchten Anschlag eine serbische Geheimdienstoperation, die das Ziel hatte, den Kosovo zu destabilisieren – möglicherweise, um einen Einmarsch von Truppen zu legitimieren.

Ausrüstung aus Belgrad?

Der kosovarische Premier Albin Kurti erklärte indes, dass „in Belgrad heute der kleine Putin Präsident ist“ und dass die Angreifer im Dorf Banjska vergangenen Sonntag über Ausrüstung verfügten, die in Serbien hergestellt wurde und nicht auf dem freien Markt gekauft werden könne. Logistik, Ausrüstung und Vorbereitung kämen aus Belgrad. Radoicic habe auch politische Befehle von Präsident Vucic erhalten. „Ich habe absolut keinen Zweifel daran, dass Radoicic nur ein Vollstrecker ist. Derjenige, der diesen terroristischen, kriminellen Angriff auf unser Land geplant und angeordnet hat, um unsere territoriale Integrität, nationale Sicherheit und Staatssicherheit zu verletzen, ist kein anderer als Präsident Vucic.“

Die Angreifer seien paramilitärische Berufsgruppen, die in die Organisierte Kriminalität verwickelt seien, glaubt Kurti. „Sie haben als Politiker angefangen, Kriminelle zu werden – und jetzt wollen sie ihr Verbrechen politisieren“, so der Premier. Ihr Ziel sei es laut Kurti, „abwechselnd einen Monat lang den Kosovo, dann Montenegro, dann Bosnien und Herzegowina zu destabilisieren, weil sie wollen, dass wir alle in die 1990er-Jahre zurückkehren“. Es handle sich um dieselben Leute, die Ende Mai die Kfor angegriffen und 30 Soldaten teils schwer verletzt haben. Er forderte die USA, die Nato, die EU und Großbritannien auf, klare Kante zu zeigen. Immerhin hätten die Milizen auch enge Verbindungen zu den Nachtwölfen und der Wagner-Truppe. „Sie sind also prorussisch, sie hassen die Ukraine und wollen, dass Putin gewinnt“, sagte der Regierungschef.

Tatsächlich unterstützt der Kreml das Vorgehen Serbiens. Erst vor zehn Tagen traf sich der russische Außenminister Sergej Lawrow mit dem serbischen Außenminister Ivica Dacic. Nach dem Terrorakt gegen den Kosovo tauchten in Moskau Plakate auf mit der russischen und serbischen Flagge und dem Slogan „Wir trauern gemeinsam mit Serbien – eine Farbe, ein Glaube, ein Blut“. Vergangenen Freitag sendete die russische Botschaft in Kanada auf X (vormals Twitter) die Parole „Kosovo ist Serbien“.

Ein Abkommen zur Abstimmung der Außenpolitik schlossen Russland und Serbien schon vor einem Jahr, MiG-Kampfjets wurden von Russland und Belarus aus nach Serbien geliefert. Und erst im August bestellte Serbien 20 000 Kamikazedrohnen vom Iran.

Kurti setzt sich deshalb für eine stärkere Nato-Präsenz im Kosovo ein. Es gehe aber nicht darum, die kosovarische Polizei zu ersetzen, sondern gemeinsam an der Grenze zu patrouillieren. „Das ist unsere Bitte“, sagt er. „Und ich hoffe, dass die Nato positiv auf diese unsere wichtigste Sicherheitsforderung reagieren wird.“

Korrespondent

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