Der Jugendrat der Berliner „Generationen Stiftung“ schlägt Alarm. „Alte treffen Entscheidungen für Alte“, sagt Mitglied Franziska Heinisch. Die 19-jährige Studentin aus Heidelberg fordert, dass politische Entscheidungen nicht auf Kosten junger Menschen und zukünftiger Generationen getroffen werden.
Frau Heinisch, der Jugendrat der „Generationen Stiftung“ will mit seiner Kampagne „Wir kündigen“ aus dem Generationenvertrag aussteigen. Ist das Ihr Ernst?
Franziska Heinisch: Ja, das ist mein Ernst. Wir kündigen den jetzigen Generationenvertrag, weil er von Politik und Wirtschaft quasi täglich nicht eingehalten wird - so wie sie handeln beziehungsweise nicht handeln.
Was heißt kündigen? Hat das irgendwelche konkreten Folgen?
Heinisch: Es handelt sich dabei vor allem um eine Kampagne, mit der wir auf unser Anliegen aufmerksam machen wollen. Aber keine Sorge: Wir wollen ihn natürlich nicht alternativlos aufkündigen, wir wollen einen neuen Vertrag. Einen, der wirklich generationengerecht ist.
Wie könnte der aussehen?
Heinisch: Es geht uns darum, die Generationengerechtigkeit ins Grundgesetz aufzunehmen, als Grundrecht, das wirklich bindend und auch einklagbar ist. Wir fordern außerdem ein Wahlrecht für alle, auch schon für Jüngere.
Wie soll das funktionieren?
Heinisch: Es gibt verschiedene Wege, das auszugestalten. Eine Option könnte ein Wahlrecht ab der Geburt sein, dass die Eltern zunächst für ihr Kind wahrnehmen. Ab dem Zeitpunkt, wenn der junge Mensch sich in ein Wählerverzeichnis eintragen lässt, darf er dann selbst wählen. Das kann ab acht, zwölf oder 14 Jahre sein, je nachdem wann der junge Mensch beginnt, sich für Politik zu interessieren.
Was werfen Sie der älteren Generation überhaupt vor?
Heinisch: Es gibt sehr viele Punkte. Die aktuelle Politik setzt sich beispielsweise nicht effektiv mit Klimaschutz auseinander. Sie schwelgt wohlig in der jetzigen Legislaturperiode und rast dabei auf Kosten der kommenden Generationen auf einen Abgrund zu, ohne Lösungen zu haben. Außerdem haben wir ein Rentensystem, das nicht zukunftsfähig ist. In der großen Koalition werden Mini-Stellschrauben gedreht, aber in einem kaputten System, das ebenfalls auf Kosten der jungen Menschen geht. Wir haben zudem ein Bildungssystem, das eher auf wirtschaftliche Verwertbarkeit setzt, als Menschen wirklich Zeit zur Persönlichkeitsentwicklung zu geben und so weiter.
Aber ist die Jugend nicht selbst schuld, müsste sie sich nicht stärker einbringen?
Heinisch: Das glaube ich nicht. Es gibt sehr viele junge Menschen, die sich stark engagieren. Es ist aber so, dass man hier erst ab einem gewissen Alter ernst genommen und gehört wird. Wir erhalten auf unsere Tätigkeit viele Reaktionen wie „Ihr habt ja noch keine Lebenserfahrung“, „Ihr seid noch zu jung“. Und da muss man sich natürlich schon fragen, ab wann ist man in diesem Land alt genug, um eine Meinung zu haben und diese zu vertreten. Ab 40, vielleicht sogar erst ab 50? Und diese Haltung führt dann dazu, dass Entscheidungen von Alten für Alte getroffen werden und Probleme entstehen, wie wir sie jetzt haben.
Was wäre die Alternative?
Heinisch: Wir wollen, dass die Politik jünger wird, dass sie diverser wird und die Gesellschaft so abbildet wie sie tatsächlich ist. Und vor allen Dingen wollen wir jetzt als Jugendrat an die Politik herantreten, wir wollen den aktiven Dialog, wir wollen politische Veränderungen gestalten und uns einbringen. Und wir möchten, dass in sämtlichen Strukturen - seien es Parteistrukturen oder andere - junge Menschen als vollwertige Mitgestalter wahrgenommen werden. Und eben nicht nur als das nette Anhängsel, das vorne mit aufs Bild darf, um zu zeigen, man hat junge Menschen in der eigenen Initiative.
Ein wichtiger Teil des Generationenvertrags ist das Rentensystem. Was schlagen Sie da vor?
Heinisch: Es wäre natürlich absurd, wenn wir als jungen Menschen mal eben ein gerechteres Rentensystem entwickeln könnten, das schaffen Politiker ja schon seit Jahrzehnten nicht. Aber es gibt schon ein paar Punkte, von denen wir glauben, dass sie verbessert werden müssen. Unter anderem müssen wir das Umlageverfahren überdenken. Wir haben einfach immer weniger junge Menschen, die für immer mehr alte Menschen zahlen. Das belastet Jung und Alt gleichermaßen. Auf der einen Seite soll ein junger Mensch zwei bis drei ältere Menschen finanzieren. Da fragt man sich: Wie sollen wir das schaffen? Und auf der anderen Seite ist es so, dass, wenn wir es nicht schaffen, immer weniger Geld in den Kassen ist, sodass die älteren Menschen immer weniger bekommen können. Und da, finden wir, muss man ansetzen und gemeinsam etwas ändern.
Sie setzen sich außerdem dafür ein, dass eine Generation nur so viel verbraucht, dass genug für die kommenden Generationen bleibt.
Heinisch: Das ist unbedingt notwendig - und könnte durch ein Grundrecht auf Generationengerechtigkeit gewährleistet werden. Denn wenn jemand mehr verbraucht als ihm zusteht, muss es jemand anderes wieder einsparen. Wir sehen jetzt beim Thema Klima, wie problematisch das ist. Deswegen müssen wir unser Bewusstsein ändern und uns klar machen: Wir können nicht einfach auf Kosten einer anderen Generation leben. Denn das ist unsolidarisch und ungerecht.
Zur Person: Franziska Heinisch
- Franziska Heinisch ist 19 Jahre alt und studiert in Heidelberg Jura. Ursprünglich kommt sie aus Hagen in Nordrhein-Westfalen.
- Sie ist Mitglied im Jugendrat der unparteiischen "Generationen Stiftung", die sich für Generationengerechtigkeit einsetzt.
- Oberstes Ziel der Stiftung ist es, den nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen.
- Dazu sucht sie den Dialog mit Politik und Gesellschaft und bemüht sich um konkrete Lösungen, "damit unsere und alle Kinder und die nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Welt vorfinden", wie es auf der Internetseite heißt.
- Von sich reden machte die Stiftung durch ihr "Generationenmanifest" (www.generationenmanifest.de). Es wurde mittlerweile von mehr als 226 000 Menschen unterschrieben. Sie bekennen sich darin zu langfristigen, generationenübergreifenden Lösungen.
- Der Jugendrat hat zudem die "Wir kündigen"-Kampagne (www.wirkuendigen.de) gestartet. (mad)
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