Berlin. Deutschland bastelt an den Heizungen: Bis 2045 muss die Bundesrepublik klimaneutral sein, und damit auch weg von fossilen Heizungen. Ein Schlüssel dazu, dass das klappt, liegt nach Einschätzung der Ampel-Koalition darin, deutlich mehr Gebäude mit Fernwärme zu heizen. Für diesen Montag haben Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bauministerin Klara Geywitz (SPD) deshalb zum „Fernwärme-Gipfel“ eingeladen. Mit der Branche, Verbänden und Verbraucherschützern wollen sie sich dazu austauschen, wo die Ziele liegen sollen und wie man sie erreichen kann. Ein „deutliches Aufbruchssignal“ wolle man senden, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium.
Eigene Heizungsanlage nicht nötig
Eine Gas-, Öl- oder Pelletheizung produziert Wärme lokal, durch das Verbrennen eines Brennstoffs. Bei Fernwärme dagegen wird die Wärme in einem Kraftwerk erzeugt und dann als erhitztes Wasser, oder seltener als sehr heißer Dampf, durch isolierte Rohre zu den Haushalten geleitet. Dort angekommen, wird die Energie in einer Übergabestation an den Wärmekreislauf des Gebäudes abgegeben und sorgt dort für Raumwärme und warmes Wasser. Eine eigene Heizungsanlage brauchen die Gebäude also nicht.
Wie klimafreundlich Fernwärme tatsächlich ist, kommt ganz darauf an, wie die Wärme erzeugt wird. Aktuell stammen rund 70 Prozent der in Fernwärmekraftwerken verwendeten Energie aus fossilen Quellen wie Gas, Kohle und Öl. Auch Verbrennungsanlagen für Abfall oder Biomasse werden für Fernwärme genutzt. Geo- und Solarthermie machen bisher nur einen kleinen Anteil aus. Fernwärme-Netze nutzen außerdem oft sogenannte Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), also Anlagen, in denen gleichzeitig Strom und Wärme produziert werden. Das verbessert die Energieausbeute, weil weniger Energie ungenutzt entweicht.
Obwohl derzeit noch überwiegend fossile Brennstoffe zum Einsatz kommen, setzen Politik und Kommunen große Hoffnungen auf Fernwärme. Denn in einem Quartier, wo so geheizt wird, muss nicht jede einzelne Heizung umgerüstet werden, sondern nur das Fernwärmekraftwerk, das sie alle versorgt. Das hat Vorteile vor allem in Städten, wo der Platz oft knapp ist. Dort lohnt sich Fernwärme auch am meisten, denn je mehr Abnehmer an ein Netz angeschlossen sind, umso wirtschaftlicher werden Aufbau und Betrieb eines Netzes.
Laut Fernwärmeverband AGFW gibt es in Deutschland knapp 3800 Fernwärmenetze, betrieben von rund 500 Unternehmen. Laut Energiewirtschaftsverband BDEW wurden 2022 14,2 Prozent der 43,1 Millionen Wohnungen in Deutschland mit Fernwärme beheizt, das ist etwa jede siebte Wohnung. Das ist deutlich mehr als noch vor 20 Jahren: 2003 lag der Anteil bei 12,4 Prozent. In der Branche hält man bis 2050 eine Verdreifachung der Haushalte, die Fernwärme beziehen, für möglich. Dafür brauche es aber „Planungssicherheit und geeignete Förderbedingungen“, sagt der stellvertretende Geschäftsführer des Fachverbandes AGFW, John Miller.
Lange Investitionszeiträume
Von aktuell rund 6 Millionen Wohnungen will der Verband perspektivisch auf 18 bis 20 Millionen kommen, vor allem in Mehrfamilienhäusern in den Städten und dicht besiedelten Gebieten. „Fernwärme ist der Schlüssel für das Thema klimaneutrale Städte in Deutschland. Jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt, da die Weichen zu stellen“, sagt Miller. Die Zeit drängt, wenn Fernwärme einen großen Beitrag bei der Wärmewende liefern soll. Die Investitionszeiträume beim Ausbau der Netze seien lang, sagt eine Sprecherin des BDEW, bis zu 10 Jahre. Das sei „eine große Herausforderung“.
Lange Vertragsbindung
Die Kosten für Fernwärme setzen sich aus einem Grundpreis und einen Arbeitspreis zusammen. Der Grundpreis ist fix pro Jahr, der Arbeitspreis wird pro verbrauchte Kilowattstunde abgerechnet. Nach Angaben der Verbraucherzentralen macht der Grundpreis dabei etwa ein Viertel der gesamten Kosten aus, der Arbeitspreis etwa drei Viertel. Der durchschnittliche Preis pro Kilowattstunde liegt laut Verbraucherzentralen bei Fernwärme etwa bei 16 Cent (Stand Juni 2023), es kann aber deutliche Abweichungen nach oben und unten geben.
Anders als bei Gas- oder Stromverträgen kann Fernwärme nicht so einfach gekündigt werden. Viele Kommunen, die Fernwärme nutzen, haben eine sogenannte Anschlusspflicht – wer dort wohnt, muss also mit Fernwärme heizen. Und selbst wo es diese nicht gibt, ist ein Wechsel oft schwierig, weil es nur einen Anbieter gibt und die Vertragslaufzeiten lang sind. Die Verbraucherzentralen fordern deshalb mehr Regulierung zugunsten der Kundinnen und Kunden. „Wärmenetze sind ein Markt, wo die Anbieter praktisch unregulierte Monopole haben“, sagt Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbandes. Verträge mit 10 Jahren Laufzeit seien üblich. Weil man aber nicht über diese ganze Laufzeit den Preis festsetzen könne, würden die Preise über bestimmte Klauseln automatisch angepasst – „völlig intransparent“, sagt Pop.
Bei Städten und Gemeinden ist das Interesse groß, doch dafür müssen die Leitplanken stimmen, sagen Vertreter der Städte und kommunale Unternehmen. „Der Gesetzentwurf schnürt bisher ein zu enges Korsett“, sagt Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages. Gemeint ist der Gesetzentwurf des Gebäudeenergiegesetzes, an dem die Ampel derzeit arbeitet. Das sieht vor, dass Wärmenetze 2030 einen Anteil von 50 Prozent und 2035 einen Anteil von 65 Prozent Erneuerbaren Energien erreichen. „Wenn Netzbetreiber das garantieren sollen, bedeutet das ein hohes wirtschaftliches Risiko“, sagt Dedy. Das hemme am Ende Investitionen der Netzbetreiber und Stadtwerke und bremst den Ausbau.
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