Geldpolitik

Eurokrise könnte zurückkehren

Geldpolitik: Die Pandemie hat die Schuldenstände hochgetrieben, Ökonomen schlagen deswegen Alarm

Von 
Tobias Kisling
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Der Vollmond geht auf über der Frankfurter Bankenskyline. © Florian Gaul/dpa

Frankfurt. Zehn Jahre ist es her, dass Mario Draghi seine berühmteste Rede hielt. Die Europäische Zentralbank (EZB) werde alles tun, um den Euro zu erhalten, sagte der Italiener, damaliger Chef der EZB, am 26. Juli 2012 – „whatever it takes“. „Whatever it takes“, übersetzt „was auch immer nötig ist“, ist zur beliebten Redewendung in der Politik geworden. Gern wird sich heute noch der drei Worte bedient, wenn es darum geht, mit einer Krise fertigzuwerden – sei es die Corona-Pandemie oder auch die Energiekrise.

Tatsächlich brachten Draghis Worte damals eine Wende. Vor zehn Jahren befand sich die Währungsunion am Abgrund. Die Bankenkrise hatte wenige Jahre zuvor die Welt erschüttert, Griechenland stand vor dem Bankrott. Doch auch Länder wie Italien und Spanien gerieten in massive Zahlungsschwierigkeiten. Das Vertrauen an den Finanzmärkten schwand. Dann hielt Draghi seine berühmte Rede – die Märkte beruhigten sich. Die EZB warf die Gelddruckmaschine an, senkte die Zinsen auf null, kaufte massenhaft Staatsanleihen auf. Die Gefahr schien gebannt.

Doch nun kehren all die Sorgen von damals zurück. Die Corona-Pandemie hat die Schuldenstände der Länder im Euroraum in die Höhe schnellen lassen. Eigentlich sehen die Maastricht-Kriterien vor, dass der öffentliche Schuldenstand eines EU-Mitgliedslandes nicht mehr als 60 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes betragen darf. Tatsächlich halten sich an diese Regel derzeit gerade einmal 13 der 27 EU-Länder. Auch Deutschland liegt mit einer Schuldenquote von 69,3 Prozent über dem verbindlichen Kriterium. Wirklich problematisch aber wird es in anderen Ländern. Griechenland hat eine Schuldenquote von 193,3 , Italien von 150,8 Prozent.

Zinsdilemma der Notenbanker

Solange die EZB die Märkte mit billigem Geld flutete und die Staaten günstig neue Kredite aufnehmen konnten, konnte das ungelöste Problem verdrängt werden. Diese Gleichung geht aber nicht mehr auf. Denn die Zentralbanker in Frankfurt am Main haben ein Phänomen unterschätzt: die Inflation. Bekämpfen kann die Notenbank die Preisdynamik, indem sie an der Zinsschraube dreht. Im Juli wird die EZB erstmals seit elf Jahren die Zinsen wieder anheben. Damit allerdings wird es für die Staaten teurer, sich frisches Geld zu besorgen, und die alte Krise könnte wieder ans Tageslicht treten. Ein Dilemma für die Notenbanker.

„In der gegenwärtigen Konstellation, geprägt durch Nachwirkungen der Pandemie, Auswirkungen des russischen Krieges und nun steigende Zinsen, ist ein Wiederaufflammen der Eurokrise nicht auszuschließen“, sagte Andrew Watt, Referatsleiter für Europäische Wirtschaftspolitik am Institut für Ma–kroökonomie (IMK) der arbeitnehmernahen Hans-Böckler-Stiftung, unserer Redaktion.

Ein großes Problem könnte laut Watt die wachsende Kluft der Zinsen zwischen den Ländern werden. In Deutschland notiert die zehnjährige Staatsanleihe derzeit bei 1,27 Prozent. Im vergangenen Jahr notierte die zehnjährige italienische Staatsanleihe rund einen halben Prozentpunkt über der Bundesanleihe. Nun aber liegt sie deutlich über 3 Prozent, zwischenzeitlich knackte sie sogar die 4-Prozent-Marke. Der Abstand zwischen der deutschen und der italienischen Anleihe, im Fachjargon Spread genannt, ist gewachsen.

„Die größte Gefahr geht eindeutig von Italien aus wegen der Kombination von niedrigem Wirtschaftswachstum, hohen Spreads und hoher Verschuldung, sowohl im Verhältnis zum nationalen BIP wie absolut im Vergleich der Mitgliedsländer“, sagt Watt mit Blick auf eine mögliche neue Eurokrise.

Wo kommt das Wachstum her?

Achim Truger, Mitglied im Wirtschaftssachverständigenrat der Bundesregierung, den Wirtschaftsweisen, sieht in den derzeitigen Risikozuschlägen ebenfalls ein Problem. „Kommt es dort aufgrund von Spekulation oder Überreaktionen zu einem extremen Anstieg, könnten einzelne Länder in Zahlungsschwierigkeiten kommen. Dann würde in der Tat eine zweite Eurokrise drohen“, sagte Truger unserer Redaktion.

Stellt sich die Frage, wo das Wachstum herkommen soll, mit dem die Staaten aus den Schulden herauswachsen könnten. Das Schreckgespenst Stagflation, die Kombination aus steigenden Preisen bei einer gleichzeitig stagnierenden Wirtschaftsleistung, geht bereits um. Für die Politik der EZB sei das Gift, sagt Henning Vöpel. Die Zentralbank könne nicht auf der einen Seite die Finanzierungsmöglichkeiten für die Mitgliedstaaten künstlich günstig halten und auf der anderen Seite glaubhaft die Inflation bekämpfen, meint der Vorstand der Freiburger Denkfabrik Centrum für Europäische Politik (cep).

Die EZB stellt sich deshalb ein „Antifragmentierungswerkzeugs“ vor: Prinzipiell würde das den bisherigen Kaufprogrammen ähneln. Die EZB würde gezielt Staatsanleihen von kriselnden Euroraum-Staaten aufkaufen, um ein weiteres Auseinanderklaffen zwischen den Renditen von etwa italienischen und deutschen Staatsanleihen zu verhindern. Dadurch allerdings würde die politische Abhängigkeit steigen und die Gefahr zukünftiger Krisen nur weiter zunehmen, mahnt Vöpel. Ökonom Watt fürchtet, dass die EZB überfordert sein könnte, gleichzeitig die Fragmentierung durch Anleihekäufe zu verhindern und die Inflation zu bekämpfen. Und auch Clemens Fuest, Chef des Ifo-Instituts, mahnt: „Fiskalpolitik ist nicht die Aufgabe der EZB. Sie sollte sich auf Inflationsbekämpfung konzentrieren.“

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