Interview

„Es wird keinen Lockdown mehr geben“

Bundesjustizminister Marco Buschmann über Corona-Konzepte, Selbstbestimmung und gleichgeschlechtliche Eltern

Von 
Christian Unger und Jochen Gaugele
Lesedauer: 
Marco Buschmann (FDP), Bundesminister der Justiz, hält die Wirksamkeit von Masken für unstreitig. © Michael Kappeler/dpa

Berlin. Marco Buschmann ist in der Regierung der Gegenspieler von Karl Lauterbach. Der FDP-Politiker will als Justizminister einschneidende Corona-Maßnahmen verhindern. Vor dem Interview, das am späten Mittwochnachmittag in seinem Ministerbüro stattfindet, berichtet Buschmann, dass ihn das Virus auch im dritten Pandemiesommer noch nicht erwischt habe. Die Einschätzung ändert sich schnell. Noch am selben Abend – Buschmann spürt ein Kratzen im Hals – fällt ein Corona-Test positiv aus. „Zum Glück und wohl auch dank der Impfungen zeigen sich bislang nur milde Symptome“, twittert er aus der Isolation.

Herr Buschmann, eine Sommerwelle rollt über das Land: Die Zahl der Corona-Infektionen steigt, die Intensivstationen füllen sich, es sterben wieder mehr Menschen. Wie lange wollen Sie noch zuschauen?

Jurist und Soundtüftler

Marco Buschmann (44) ist seit Dezember 2021 Bundesjustizminister.

Zuvor war der Gelsenkirchener Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion.

Der Jurist arbeitete zunächst für eine Düsseldorfer Kanzlei, heute ist er selbstständiger Rechtsanwalt.

Buschmann ist katholisch und verheiratet. Er bezeichnet sich als „lesesüchtig“. Unter „MBSounds“ veröffentlicht Buschmann selbst produzierte Musik. max

Marco Buschmann: Wir schauen nicht zu. Wir sind auch mit den geltenden Regeln jederzeit handlungsfähig. Die Sommerwelle verliert ja nun bereits an Dynamik. Aber wir müssen sehr ernst nehmen, was uns im Herbst und Winter erwartet. Darauf bereiten wir uns gründlich vor. Ich bin guter Dinge, dass wir Ende des Monats ein Konzept haben, das wir dann im August mit den Ländern besprechen, und im September bringen wir die Änderung des Infektionsschutzgesetzes durch das Parlament. Wir verlieren keine Zeit.

Sie wollten unbedingt warten, bis eine wissenschaftliche Bewertung der Corona-Maßnahmen vorliegt. Hat sich das gelohnt?

Buschmann: Die unabhängigen Sachverständigen sollten uns einen Überblick geben, was wir über die Wirksamkeit der bisherigen Maßnahmen wissen. Bei manchen Maßnahmen ist das sehr schwer, das kann man den Wissenschaftlern nicht vorwerfen. Unsere politische Aufgabe ist es nun, Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.

Wir sind gespannt.

Buschmann: Die Wirksamkeit von Masken für den Einzelnen in Innenräumen ist unstreitig. Deswegen wird eine Form der Maskenpflicht in Innenräumen in unserem Konzept sicher eine Rolle spielen. Wir arbeiten ja jetzt bereits mit Maskenpflichten im Öffentlichen Personennahverkehr. Und mir ist ganz wichtig, dass wir endlich verbesserte Daten aus den Krankenhäusern bekommen. Da hat die Vorgängerregierung viel versäumt. Es ist ein unerträglicher Missstand, dass wir zu viel spekulieren müssen, weil wir zu wenig Daten haben. Vor allem müssen wir besser unterscheiden können, wer mit Corona und wer wegen Corona im Krankenhaus liegt. Ein klarer Befund der Lage hilft bei der Gefahrenprognose.

Gegen welche Maßnahmen sperren Sie sich?

Buschmann: Wir sind uns einig in der Koalition, dass es keinen Lockdown mehr geben wird, keine pauschalen Schulschließungen und auch keine Ausgangssperren. Das sind unangemessene Instrumente im dritten Jahr der Pandemie. Diese Klarstellung ist bereits ein großer Schritt. Bei anderen Dingen sind wir gegenwärtig in der vertraulichen Diskussion.

Einen Lockdown von vornherein auszuschließen - ist das nicht falsch verstandener Liberalismus?

Buschmann: Das glaube ich nicht. Auf der Basis des Wissens von heute – und nur mit der können wir arbeiten – sind wir uns einig, dass Lockdowns, Schulschließungen und Ausgangssperren unverhältnismäßige Instrumente wären. Wir nähern uns doch chinesischen Verhältnissen an, wenn wir die Menschen leichtfertig zu Hause einsperren oder das öffentliche Leben zum Stillstand bringen. Der Evaluierungsbericht hat auf die hohen seelischen und sozialpsychologischen Auswirkungen hingewiesen – ganz zu schweigen von den Folgen bei der Bildung junger Menschen. Diese halte ich für nicht vertretbar. Da wurde einer ganzen Generation von Schülern und Studenten ein Mühlstein um den Hals gelegt.

Wie wollen Sie Ihrer Verantwortung für Menschen mit Vorerkrankungen gerecht werden?

Buschmann: Wir werden ein gutes Schutzkonzept vorlegen, das grundrechtsschonend, aber auch effektiv ist. Wir werden eine sehr ambitionierte Impfkampagne machen – mit mobilen Impfteams gerade in Alten- und Pflegeheimen. Das wird ein großer Beitrag sein, dass weniger Menschen sterben oder schwer erkranken. Außerdem sorgen wir dafür, dass wir die besten und modernsten Impfstoffe rechtzeitig zur Verfügung haben werden.

An welchen Kennzahlen sollen sich Bund und Länder orientieren, wenn sie eine Maskenpflicht oder andere Schutzmaßnahmen beschließen?

Buschmann: Die Inzidenz hat stark an Aussagekraft verloren. Man braucht letztlich ein Bündel an Kennziffern, um die Situation angemessen zu beurteilen. Auch die Hospitalisierungsinzidenz ist wichtig. Es kommen verschiedene Regelungsmodelle in Betracht, die wir in unseren Gesprächen aktuell diskutieren. Unabhängig davon müssen wir unsere Daten über die Entwicklung der Pandemie verbessern. Auch zum Beispiel Abwasseruntersuchungen könnten helfen, Infektionswellen besser vorherzusagen. Der Datenblindflug muss ein Ende haben.

Neben Krisenmanagement hat sich die Ampel-Regierung vorgenommen, mehr Vielfalt in die Gesellschaft zu bringen – etwa mit einem neuen Selbstbestimmungsrecht, das den Wechsel des Geschlechts erleichtern soll. Verstehen Sie die Aufregung, die Ihr Vorschlag ausgelöst hat?

Buschmann: Ich verstehe sehr gut, dass Menschen lebhaft über unser Vorhaben diskutieren. Denn es berührt wichtige Fragen unseres Zusammenlebens. Allerdings ist auch viel hineingedeutet worden in das, was wir tun. Als Justizminister ist für mich klar: Das Transsexuellengesetz ist nicht länger haltbar. Das Bundesverfassungsgericht hat wesentliche Teile für verfassungswidrig erklärt. Anstelle dieses problembehafteten Gesetzes wird das Selbstbestimmungsgesetz treten. Die Kernidee ist: Wir wollen Menschen, bei denen die geschlechtliche Identität vom biologischen Geschlecht abweicht, nicht mehr wie Kranke behandeln.

Eine Selbstauskunft beim Standesamt soll reichen, um das Geschlecht zu ändern.

Buschmann: Bisher müssen sich die Menschen zwei Begutachtungen unterziehen und intimste Dinge offenbaren. Das wollen wir einfacher machen. Wir wollen aber niemandem einen Freifahrtschein gegeben, als Mann in die Damensauna oder in die falsche Umkleide zu gehen – um einer verbreiteten Unterstellung entgegenzutreten. Das Gesetz wird auch nicht regeln, dass man als Mann an Sportwettbewerben der Frauen teilnehmen kann. In diesem Gesetz geht es um Personenstandsrecht, also um die Frage, welche Anrede auf dem Briefkopf steht, wenn Post von der Behörde kommt. Wir wollen für einen menschenwürdigen Umgang mit transgeschlechtlichen Menschen sorgen. Das ist in einer modernen, offenen und freiheitlichen Gesellschaft keine Überforderung.

Queere Organisationen stören sich daran, dass 14- bis 18-Jährige für eine Änderung des Geschlechts die Zustimmung der Eltern brauchen. Gehen Sie darauf ein?

Buschmann: Ich bin sehr von der Lösung überzeugt, die wir in unserem Eckpunktepapier beschrieben haben. Die Eltern müssen – wie bei anderen wichtigen Fragen auch – eine starke Stellung haben. Minderjährige können eine Erklärung zu ihrem Personenstand abgeben, aber die Eltern müssen zustimmen, damit sie Wirksamkeit erlangt. Das ist auch für die breite Akzeptanz des neuen Selbstbestimmungsrechts wichtig.

Die Ampel will auch die Co-Mutterschaft für lesbische Paare neu regeln. Rechtliche Mutter eines Kindes soll nicht nur die biologische Mutter sein, sondern auch ihre Ehefrau. Was versprechen Sie sich davon?

Buschmann: Die Gesellschaft ist offener geworden, und alle Studien zeigen: Die Kinder entwickeln sich auch gut, wenn sie bei gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen. Wir wollen Regeln schaffen, damit Kinder von Geburt an eine rechtssichere Beziehung zu beiden Elternteilen haben – und niemand sich als Elternteil zweiter Klasse fühlen muss.

Wann ist es so weit?

Buschmann: Ich würde gerne so schnell wie möglich vorankommen, aber wir haben noch Diskussionsbedarf in der Bundesregierung. Nicht alle Fälle lassen sich über einen Kamm scheren. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf haben werden, der jedenfalls für die unkompliziert gelagerten Fälle einen zeitgemäßen Rechtsrahmen schafft.

Wie kommen solche Vorhaben in Ihrem Wahlkreis in Gelsenkirchen an?

Buschmann: Ach, wissen Sie: Wenn Debatten aufgeheizt geführt werden, fragen sich die Leute natürlich: Was macht ihr denn da? Aber wenn man das gut erklärt, findet das schon bei vielen Menschen Akzeptanz. Die Menschen in Gelsenkirchen sehen auch in ihrer Nachbarschaft, dass gleichgeschlechtliche Paare liebevolle Eltern sind.

Autor

Autor

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen