Berlin/Gaggenau. Kommt er? Oder kommt er doch nicht? Und wenn er kommt - soll die Bundesregierung einen Wahlkampfauftritt des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan auf deutschem Boden untersagen? Die Bundesregierung hält sich bedeckt und äußert sich zurückhaltend. Noch stehe überhaupt nicht fest, ob Erdogan nach Deutschland komme, um vor den hier lebenden türkischen Staatsbürgern für ein Ja zu der Verfassungsänderung zu werben, die ihm eine weitreichende Machtfülle verleiht. Insofern handle es sich um eine "theoretische Frage", sagt Regierungssprecher Steffen Seibert.
Allerdings werde man ihm, sollte er nach Deutschland kommen wollen, dies nicht untersagen. Die Bundesregierung setze sich im Fall des inhaftierten Journalisten Deniz Yücel für Meinungsfreiheit ein. "Daher solle man auch im eigenen Land die Meinungs- und Versammlungsfreiheit achten. "Wir sollten leben, was wir von anderen fordern."
Doch die demonstrativ zur Schau gestellte Gelassenheit des Regierungssprechers täuscht. Tatsächlich sieht man einem möglichen Wahlkampfauftritt Erdogans im Kanzleramt wie im Auswärtigen Amt mit einer gewissen Sorge entgegen, wird doch damit ein innertürkischer Konflikt auf deutschem Boden ausgetragen. Die rund 1,4 Millionen wahlberechtigten Türken, die in Deutschland leben, werden in die parteipolitische Auseinandersetzung in ihrem Heimatland hineingezogen.
Dabei ist der Wahlkampf auf deutschem Boden längst voll entbrannt. Am vergangenen Samstag trat bereits der türkische Ministerpräsident Binali Yilderim in Oberhausen auf. Ein für gestern Abend geplanter Auftritt von Justizminister Bekir Bozdag in der Festhalle der badischen Stadt Gaggenau wurde am Nachmittag kurzfristig von der Stadtverwaltung untersagt, ebenso fällt eine geplante Veranstaltung des Wirtschaftsministers Nihat Zeybekci in Köln aus.
Strobl stützt Entscheidung
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) hat Verständnis für die Entscheidung in Gaggenau. "Wer Wahlkampf für türkische Angelegenheiten machen möchte, möge das bitte in der Türkei tun. Die Türkei entfernt sich von Rechtsstaatlichkeit, von Pressefreiheit, von den Grundfesten eines demokratischen Gemeinwesens", sagte Strobl dieser Zeitung. In Deutschland gelte das Grundgesetz. "Was überhaupt nicht geht, ist, dass innertürkische Konflikte auf unserem Boden ausgetragen werden - dass die türkische Regierung von Ankara aus einen Spaltpilz in die deutsch-türkische Gemeinde treibt", erklärte Strobl. Die Politik des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan ziele darauf ab, dass sich Türken hier nicht integrierten. "Das können wir nicht akzeptieren."
Der baden-württembergische Justizminister Guido Wolf (CDU) stand einem möglichen Wahlkampfauftritt des türkischen Justizministers Bekir Bozdag von Beginn an kritisch gegenüber. "Wenn der türkische Justizminister sich Zeit für einen Termin in Deutschland nimmt, dann wäre es sinnvoller gewesen, statt innertürkischen Wahlkampf zu machen, sich mit uns über Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit zu unterhalten", sagte Wolf. Ihm wäre es lieber gewesen, Bozdag wäre nach Deutschland gekommen, um etwas zum Zustand der Pressefreiheit in der Türkei zu sagen.
Hinter formalen Auftrittsverboten, das ist den Verantwortlichen in Berlin klar, kann man sich auf Dauer nicht verstecken. Nötig ist vielmehr eine klare Positionierung. So wirft Grünen-Chef Cem Özdemir der Bundesregierung vor, im Umgang mit Erdogan zu ängstlich zu sein. Einen Auftritt des Präsidenten zu Wahlkampfzwecken dürfe es nicht geben. "Dass Erdogan unsere Demokratie dazu missbraucht, für seine Diktatur in der Türkei zu werben, finde ich unerträglich."
CDU will Grundsatzregeln
Auch in der CDU regt sich Widerstand. "Ein Auftritt türkischer Politiker in deutschen Städten ist auch angesichts zu erwartender gewaltsamer Auseinandersetzungen problematisch", sagt der badische CDU-Abgeordnete Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land). Es sei nicht hinnehmbar, "wenn massive Migration nicht zu Integration führt, sondern politische Konflikte aus aller Herren Länder und Regionen nach Deutschland getragen werden". Nötig seien grundsätzliche Regelungen.
Noch kategorischer formuliert es Linken-Chef Bernd Riexinger. Die Bundesregierung müsse klar machen, "dass in Deutschland nicht Stimmung für die Errichtung einer Diktatur gemacht werden darf". Das aber will die Regierung offenbar unter allen Umständen vermeiden. Ein offizielles Auftrittsverbot für Erdogan, heißt es in Regierungskreisen, würde die ohnehin schon überaus angespannten deutsch-türkischen Beziehungen weiter verschlechtern.
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