Berlin. „Wir greifen da jetzt ein“, verspricht Lars Klingbeil. Der SPD-Vorsitzende erläutert am Montagmorgen im Fernsehen die neuen Beschlüsse der Ampel-Koalition zur Entlastung der Bevölkerung von den hohen Energiepreisen. „Wo Gewinne durch Zufall passieren, da werden wir diese Gewinne abschöpfen und wir geben sie an die Verbraucherinnen und Verbraucher zurück.“
Ein zentraler Baustein des dritten Entlastungspakets ist eine „Strompreisbremse“, um den Verbrauchern einen Grundbedarf an Strom zu tragbaren Kosten zu garantieren. Die Idee: Verbraucher erhalten eine bestimmte Menge Strom zu einem Preis, der sie nicht finanziell überfordern soll. Wer mehr verbraucht, muss mit hohen Kosten rechnen. Doch Details sind offen. Klingbeil macht deutlich, dass er „schnell“ entsprechende Vorschläge vom zuständigen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erwarte.
Branche reagiert zurückhaltend
Von Habeck kommt am Montag aber wenig Konkretes. Verbraucher sollten vor „unkalkulierbaren Preissprüngen“ geschützt werden, sagt eine Sprecherin des Ministeriums.
Laut einer von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) veröffentlichten Beispielrechnung könnte der Basisverbrauch bei 75 Prozent des Durchschnittsverbrauchs liegen. Der Strompreisdeckel für diese Menge könnte laut der Rechnung bei 30 Cent je Kilowattstunde liegen. Bezuschusst werden sollen auch die Netzgebühren. Familien mit Kindern könnten so um über 300 Euro im Jahr entlastet werden. Offiziell bestätigt wird dieses Modell am Montag nicht.
Es bleibt also offen, wie der Basisbedarf pro Haushalt berechnet werden soll oder wie viel eine Kilowattstunde innerhalb des Deckels kosten könnte. Um welche Summen könnten Privathaushalte wie Unternehmen so entlastet werden? Und sollen nur Haushalte mit geringem Einkommen profitieren oder alle? Auch das ist noch unklar.
Entsprechend zurückhaltend fällt die Reaktion der Energiebranche aus. „Hohe Energiepreise sind für alle schlecht – für die Gesellschaft, die Wirtschaft und auch für uns“, sagt ein Sprecher des Energieversorgers Eon unserer Redaktion. Insofern seien die Bemühungen der Politik, hohe Energiepreise abzufedern und Verbraucher zu unterstützen, „ein wichtiger Hebel“. Da viele Details aber erst ausgearbeitet werden sollten, sei es „für eine abschließende Bewertung“ noch zu früh.
Die Beschlüsse der Koalition vom Wochenende ruhen auf zwei Säulen: Einerseits geht es um weitere Entlastungen wie die Zahlung einer Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro an Rentner, weil die Kosten für Energie so stark gestiegen sind. Andererseits drohen die Preise an den Energiemärkten außer Kontrolle zu geraten. Dem will die Regierung einen Riegel vorschieben.
Der Hintergrund: Der Strompreis wird an der Börse durch den teuersten Anbieter bestimmt, der aufgrund der aktuellen Nachfrage zum Zug kommt. Das sind, wenn der Strombedarf groß ist, wegen des hohen Weltmarktpreises für Gas aktuell Gaskraftwerke. Also erhalten nach den Regeln des Marktes auch Anbieter von Solar-, Wasserkraft- oder Atomenergie, die billiger produzieren, für ihren Strom denselben Preis wie das Gaskraftwerk. Drosselt Russland die Gaslieferungen, steigt der Preis für Gas, das schlägt auf den Strompreis durch.
Trotzdem Anreiz zum Sparen
Die Folge: Bevölkerung und Unternehmen kommen finanziell unter Druck. Und viele Produzenten eigentlich günstigen Stroms erzielen hohe Einnahmen. Diese „Zufallsgewinne“ will die Regierung teilweise abschöpfen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) erwartet „viele, viele Milliarden“, die der Staat den Verbrauchern zurückgeben will.
„Nach Einführung der Erlösobergrenze wird aus deren Einnahmen eine Strompreisbremse für den Basisverbrauch eingeführt“, heißt es im Ampel-Beschlusspapier. „Privathaushalten“ könne so eine „gewisse Menge Strom“ zu einem „vergünstigten Preis“ gutgeschrieben werden. „Die Haushalte werden so finanziell spürbar entlastet und gleichzeitig bleibt ein Anreiz zum Energiesparen erhalten.“ Für kleine und mittlere Unternehmen mit Versorgertarif greife dieselbe Regelung.
Der Mittelstandsverband BVMW fordert weitere Schritte. „Angesichts der exorbitanten Preissteigerungen reicht der Deckel alleine nicht“, sagt der BVMW-Vorsitzende Markus Jerger unserer Redaktion. „Um den Unternehmen unverzüglich helfen zu können, braucht es zudem die Absenkung der Energiesteuer für Strom auf das europarechtlich zulässige Mindestmaß und die Einrichtung eines Industriestrompreises.“
Die Bundesregierung setzt zunächst auf die Europäische Kommission, die derzeit an Vorschlägen für einen Preisdeckel für Strom arbeitet. In manchen europäischen Ländern sind solche Regeln bereits in Kraft. Die für Energie zuständigen Minister der EU-Mitgliedstaaten wollen am Freitag dazu beraten. In der Ampel wird auf schnelle Beschlüsse gehofft – andernfalls könne auch national gehandelt werden.
„Wichtig ist, dass wir schnell zu einer tragfähigen Lösung kommen, die spürbar entlastet“, sagt der Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch. Es brauche aber auch beim Thema Gas eine tragfähige Lösung. Aus der SPD hatte es Forderungen gegeben, auch eine Preisobergrenze für Gas einzuziehen. Dazu soll nach Koalitionsbeschluss aber erst einmal eine Expertenkommission klären, „ob und, wenn ja, wie ein solches Modell in Deutschland oder Europa realisierbar ist“.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/politik_artikel,-politik-entlastung-bei-strom-unklar-_arid,1992358.html