Washington. Wenn Demokraten und Republikaner im Februar die nächste Partie des Dauerpokers ums amerikanische Schuldenlimit spielen, wird Jacob Lew (57) die Karten des Weißen Hauses in der Hand halten. Mit langen Verhandlungsnächten kennt er sich aus, der Finanzminister in spe. So unauffällig, ja langweilig er nach außen wirkt, so stabil ist sein Nervenkostüm. Seine Brille mit den runden Gläsern lässt an Harry Potter denken, doch jeder, der ihn kennengelernt hat, schildert ihn als knochenharten Zahlenmenschen, der in Sekundenschnelle alles parat hat.
Sein Handwerk lernte er in den 80er Jahren bei Thomas "Tip" O'Neill, dem legendenumwobenen Sprecher des Repräsentantenhauses, der harte Sträuße mit Ronald Reagan ausfocht, aber auch historische Kompromisse mit ihm schloss. Auf Lews Schreibtisch steht eine Keramikminiatur von Ellis Island, jener Insel im Schatten der Freiheitsstatue, die für Einwanderer aus der Alten Welt oft die erste Station in der Neuen war. Die Nachbildung erinnert an seinen Vater, einen orthodoxen Juden, der aus Polen nach Amerika kam. Über dem Kamin hängt ein Porträt Abraham Lincolns, des Sklavenbefreiers. Und zum White-House-Latein gehören Anekdoten aus dem Leben eines Asketen: Sein Mittagessen, aus einem Käsesandwich und einem Apfel bestehend, trägt er Tag für Tag in der Aktentasche.
Zweimal war Lew Budgetdirektor der Machtzentrale, erst unter Bill Clinton, in einer Zeit seltener Haushaltsüberschüsse, dann unter Barack Obama. Nun macht seine Berufung zum Finanzminister deutlich, wo auf absehbare Zeit die fiskalischen Prioritäten des Oval Office liegen. Das Ringen um den Abbau von Rekorddefiziten, um Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen stellt wohl noch auf Jahre alles andere in den Schatten. Gefragt ist ein Mann, der die Hausaufgaben zu erledigen weiß.
Eigenwillige Handschrift
Kein Zweifel, es hätte interessantere Kandidaten gegeben. Sheryl Sandberg, bei Facebook die Nummer zwei nach Mark Zuckerberg, war im Gespräch. Jamie Dimon, Chefbanker von JP Morgan Chase, wurde heiß gehandelt an der Gerüchtebörse. Mit Lew geht Obama auf Nummer sicher. Der nüchterne New Yorker steht symbolisch für eine Personalpolitik, die keine Experimente mehr wagt. In seiner zweiten Amtszeit besetzt der Präsident die Schlüsselposten lieber mit alten Vertrauten anstelle von talentierten Überfliegern oder anstatt, wie einst im Falle Hillary Clintons, schillernden Rivalen eine Chance zu geben.
Es hat den Vorteil, dass sich kabinettsinterne Fehden in Grenzen halten sollten. Und den Nachteil, dass zu wenig frischer Wind weht, um die Washingtoner Machtblase ab und an zu durchlüften.
Anders als die meisten seiner Amtsvorgänger hat Lew an der Wall Street relativ wenig Erfahrung gesammelt, trotz seiner drei Jahre in den Spitzenetagen der Citigroup. Auf internationaler Bühne ist er kaum hervorgetreten, was ihn markant unterscheidet von seinem Vorgänger Timothy Geithner.
Über Lews Privatleben ist nichts Aufregendes bekannt. Dafür ist es seine eigenwillige Unterschrift, an der sich kuriose Debatten entzünden. Eine Aneinanderreihung von Kringeln, hingemalt wie von Kinderhand. Falls der Senat die Personalie bestätigt, wird die Signatur bald die druckfrischen Dollarnoten zieren, jene blassgrünen Scheine, auf denen sich - rechts unten - der neue Finanzminister verewigen darf.
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