Iran

Die Wut der Frauen könnte für das Regime gefährlich werden

Die Proteste reißen nicht ab, nachdem eine junge Frau im Gewahrsam der Sittenpolizei ums Leben kam

Von 
Gudrun Büscher
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Ein Polizeimotorrad brennt bei Protesten in der Innenstadt von Teheran. © Uncredited/AP/dpa

Teheran. Die Proteste reißen nicht ab. In der iranischen Hauptstadt Teheran und vielen anderen Städten schreien die Frauen ihre Wut heraus, reißen sich die Tücher vom Kopf und schwenken sie in der Luft. Andere rasieren demonstrativ ihre Haare ab. In den sozialen Medien verbreiten sich die Bilder wie ein Lauffeuer, auch wenn ihre Echtheit nicht in jedem Fall überprüft werden kann. Nach dem Tod der jungen Mahsa Amini ist ihr Zorn größer geworden als ihre Angst.

Die 22-Jährige war vergangene Woche von der iranischen Sittenpolizei wegen „unislamischer Bekleidung“ an einer U-Bahn-Station festgenommen worden. Später war sie aus noch ungeklärter Ursache zusammengebrochen. Sie starb wenig später in einem Krankenhaus.

Mahsa Amini hatte Haar und Körper nicht vorschriftsmäßig bedeckt. Auf der Polizeistation sei sie in Ohnmacht gefallen, so das iranische Innenministerium. Niemand habe ihr etwas getan, versicherte der Polizeichef. Sie sei vorerkrankt gewesen, habe einen Herzanfall erlitten. Doch die offizielle Version hält kaum ein Mensch für glaubwürdig.

Laut dem Sender 1500tavsir, der über Menschenrechtsverstöße im Iran berichtet, soll sie einen Schlag auf den Kopf erlitten haben. Auch zahlreiche Medien berichten unter Berufung auf Augenzeugen, Mahsa Amini sei von der Religionspolizei nach ihrer Festnahme verprügelt worden. Der Fernsehsender Iran International, der aus London über den Iran berichtet, hat Schichtröntgen-Aufnahmen veröffentlicht, die auf Knochenbrüche, Blutungen und ein Hirnödem hinweisen.

Die unfassbare Brutalität und die Willkür der Polizei treibt die Frauen auf die Straße. Wir alle könnten Mahsa sein, heißt es immer wieder. Doch auch zahlreiche Männer zeigten am Montag in Teheran ihre Solidarität und protestierten den dritten Tag in Folge. Frauenrechtsaktivistinnen hatten für Montagabend in Teheran zu Protesten aufgerufen. Sie haben symbolisch die Hijab-Straße im Stadtzentrum als ihren Treffpunkt gewählt. Doch den Hijab trugen viele Frauen – so wie Saba (ihr wirklicher Name wird aus Sicherheitsgründen nicht genannt, ist der Redaktion aber bekannt) – am Montag nicht.

Auf dem Weg zur Demonstration postete die 33-Jährige ein Foto von sich ohne Kopftuch auf ihrer Twitter-Seite und schrieb in Anspielung auf die angebliche Todesursache bei Mahsa Amini: „Das bin ich, ohne unerträgliches Gewicht des gezwungenen Kopftuches. Ich bin nicht vorerkrankt, und ich will weiterleben.“ „Tod der Diktatur“ rufen die Menschen, wie auf zahlreichen Videos zu hören ist. Und: „Wir fürchten uns nicht, wir sind alle zusammen“ – das ist eine Parole, die vor allem während der Demonstrationen nach der umstrittenen Präsidentenwahl 2009 bekannt geworden war und die den Beginn der „grünen Revolution“ im Iran markiert, die brutal niedergeschlagen wurde.

Für Frauen gelten im Iran seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 strenge Kleidungsvorschriften. Die Sittenpolizei ist für die Einhaltung des Hijab-Gesetzes verantwortlich. Das „islamische Strafgesetzbuch“ schreibt vor, dass Frauen in der Öffentlichkeit ihre Haare bedecken müssen. Aber vor allem in den Großstädten und reicheren Vierteln nehmen viele Frauen die Vorschriften nicht allzu eng, tragen weite Blusen über engen Hosen und legen ihr Kopftuch nur locker über den Hinterkopf – zum Ärger der Politiker der Islamischen Republik.

Die Regierung unter Präsident Raisi, die seit gut einem Jahr im Amt ist, und religiöse Hardliner im Parlament versuchen seit Monaten, die islamischen Gesetze konsequenter durchzusetzen. Nun gerät die Regierung zunehmend in Erklärungsnot. Frankreich und die USA verlangen Aufklärung und eine unabhängige Untersuchung der Todesumstände.

Der Tod der jungen Mahsa Amini war wie eine Initialzündung für die Wut der Frauen, die sich nicht länger gängeln lassen wollen, auf die religiösen Machthaber. Gleich nach der Beerdigung in Aminis Heimatstadt Saqqez in den kurdischen Gebieten Irans kam es zu schweren Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften. Kurdische Oppositionsparteien hatten zum Generalstreik aufgerufen. Laut der Menschenrechtsorganisation Kurdistan Human Rights Network sind mindestens drei Demonstranten ums Leben gekommen, mindestens 85 wurden verletzt.

Auch Saba ist entsetzt über die Brutalität der Sicherheitskräfte, die sie selbst zu spüren bekam. „Drei oder vier Polizisten haben mich mit Motorrädern verfolgt und auf den Boden gestürzt. Als sie mich auf dem Boden weiter geschlagen haben, dachte ich, das wäre es. Dann haben Leute mit Steinen auf sie geworfen und sie verjagt“, berichtet Saba auf Telegram. Aber sie ist auch stolz: „Ich war bei Protesten 2018 und 2019 aktiv dabei. So mutig waren wir damals auf keinen Fall.“

Auch Elham (Name ist der Redaktion bekannt) ist vom Widerstand ihrer Landsleute beeindruckt. Die Kulturwissenschaftlerin, die nach ihrem Studium in Europa in die Heimat zurückgekehrt ist, berichtet von großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen im Land. „Die jüngeren Generationen haben keine Perspektiven. Und es gibt keine Hoffnung auf Besserung“, sagt sie. Gleichzeitig wissen heute alle, dass sie das nächste Opfer staatlicher Gewalt sein könnten – „ohne etwas getan zu haben. Unser Leben ist anscheinend nichts wert. Es bringt also nichts, wenn man aus Todesangst still bleibt“.

Auch deshalb wollen die Frauen nicht aufgeben. Saba bereitet sich auf die nächste Kundgebung am Abend vor und schreibt auf Twitter: „Ich lebe noch.“

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