Interview - Heidelberger Historiker Bernd Braun findet, dass die Sozialdemokraten mit Blick auf die Geschichte Hoffnung schöpfen können

„Die SPD wird nicht untergehen“

Von 
Tatjana Junker
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Heidelberg. Bernd Braun ist stellvertretender Geschäftsführer der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg. Er warnt davor, die Sozialdemokraten abzuschreiben. Die Partei habe schon schlimmere Zeiten erlebt.

Herr Braun, die SPD steckt in einer schweren Krise. Wie groß ist Ihre Sorge um die Sozialdemokratie in Deutschland?

Bernd Braun: Die Krise der Partei ist aus meiner Sicht schon beachtlich. Man muss jedenfalls zurück bis zur Reichstagswahl 1887 gehen, um ein schlechteres Wahlergebnis für die Sozialdemokraten zu finden als die rund 15 Prozent, die sie jetzt bei der Europawahl erreicht haben. 1890 lagen sie bei 19,7 Prozent, und ab da ging es eigentlich stetig aufwärts. Aber der Blick in die Geschichte macht auch Hoffnung.

Inwiefern?

Braun: Die Sozialdemokraten haben schon deutlich schwerere Zeiten überstanden. Denken Sie an das Sozialistengesetz unter Otto von Bismarck, der die Sozialdemokraten als Reichsfeinde betrachtete und sie massiv unter Druck setzte. Oder an die zwölf Jahre der Hitler-Diktatur. Die SPD ist nicht untergegangen, sie wird auch jetzt nicht untergehen.

Aber ihre Anziehungs- und Überzeugungskraft lässt offenbar deutlich nach.

Braun: Die Kernfrage der Sozialdemokratie – nämlich die nach sozialer Gerechtigkeit – hat nichts an Aktualität verloren. Die Minimalanforderung an eine Regierung mit SPD-Beteiligung ist allerdings, dass unter ihr nicht die Armen ärmer und die Reichen reicher werden. Genau das ist allerdings zum Beispiel unter Gerhard Schröder passiert. Das hat den Sozialdemokraten schwer zugesetzt. Und der zweite Punkt ist die Friedensfrage. Die SPD sollte an ihre erfolgreichsten Zeiten unter Willy Brandt und Helmut Schmidt zurückdenken und sich für eine neue Entspannungspolitik stark machen.

Was können die heutigen Genossen vom Sozialdemokraten Friedrich Ebert lernen?

Braun: Ebert war mit Problemen ganz anderer Größenordnung konfrontiert: Deutschland hatte den Ersten Weltkrieg verloren, litt unter den Folgen des Versailler Vertrags, es gab eine Hyperinflation, es gab Putschversuche. Trotzdem hat Ebert nicht resigniert, sondern gesagt: Die Probleme müssen bewältigt werden. Wir müssen das aushalten, auch wenn es schwierig wird.

Er hätte also nicht wie Andrea Nahles das Handtuch geworfen?

Braun: Gegen das, was Friedrich Ebert an Kritik einstecken musste, sowohl von links als auch von rechts, waren die heutigen Attacken gegen Andrea Nahles so etwas wie das Werfen mit Wattebäuschchen. Aber er war eine Kämpfernatur und hat das ausgehalten. Politik ist nichts für Zartbesaitete.

Spüren Sie die Krise der SPD auch bei Ihrer Arbeit in der Heidelberger Gedenkstätte?

Braun: Nein. Das große Interesse an Friedrich Ebert hängt vor allem mit seinem Amt als erster deutscher Reichspräsident zusammen und weniger damit, dass er Sozialdemokrat war. Ebert ist historisch betrachtet der wichtigste Sohn der Stadt Heidelberg und die Gedenkstätte ein geschichtsträchtiger Ort, zudem zentral in der Altstadt gelegen – das lockt Besucher unabhängig von aktuellen politischen Entwicklungen.

Das Interview wurde telefonisch geführt und dem Gesprächspartner zur Autorisierung vorgelegt.

Spezialist für Friedrich Ebert

Bernd Braun (geboren 1963) ist stellvertretender Geschäftsführer der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg. Der Honorarprofessor an der Uni Heidelberg gibt auch Lehrveranstaltungen zur Weimarer Republik.

Die 1962 gegründete Stiftung pflegt das Gedenken an Ebert, der in Heidelberg geboren wurde. tat (Bild: privat)

Redaktion Wirtschaftsreporterin

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