Deutscher Bürgermeister mischt im rumänischen Temeswar die alte Garde auf

Bürgermeister Dominic Fritz kämpft gegen das korrupte System in „Europas Kulturhauptstadt 2023 “ Temeswar. Die Widerstände sind groß.

Von 
Walter Serif
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Ein Bürgermeister, der aufräumt: Dominic Fritz will die alten Seilschaften in der drittgrößten rumänischen Stadt Temeswar kappen. © Cristian Tzecu

Mannheim. Vielleicht liegt es an seinen Wurzeln, dass Dominic Fritz als Bürgermeister von Temeswar der alten Garde in der Verwaltung wie ein Rebell vorkommen muss. Er ist in Lörrach geboren – dort führte Gustav Struve 1848 die badische Revolution an. Rund 150 Jahre später waren die Demonstranten in der drittgrößten rumänischen Stadt Temesvar allerdings erfolgreicher als Struve. Sie trugen mit ihren Protesten dazu bei, dass das kommunistische Ceaucescu-Regime 1989 unterging. Nach seinem Wahlsieg 2020 spielte Fritz darauf an: „Die Stadt hat eine neue Revolution vollbracht.“

Der Müll und das Schmiergeld

Das war natürlich übertrieben, aber immerhin setzte sich der Seiteneinsteiger gleich im ersten Wahlgang mit 53 Prozent gegen seine Mitbewerber durch, darunter auch der langjährige Amtsinhaber. Der Sieg des Außenseiters ohne rumänische Staatsangehörigkeit galt damals als eine Sensation. Fritz hat auch keinen Bezug zur deutschen Minderheit in Rumänien, ist also kein Siebenbürger Sachse wie Staatspräsident Klaus Johannis, aber auch kein Banater Schwabe, von denen nach dem Zusammenbruch des Kommunismus nur noch wenige in Rumänien leben. Der erste deutsche Bürgermeister im Land spricht die Sprache inzwischen akzentfrei. Gewählt wurde der 39-jährige Politiker – so Fritz’ Selbsteinschätzung –, obwohl er Deutscher ist, inzwischen hat er aber Probleme, weil er Deutscher ist: „Manche fragen sich: Wir haben doch einen Deutschen gewählt, warum sieht es jetzt in Temeswar nicht wie in Stuttgart aus und warum ist die Tram nicht pünktlich?“

Temeswar – „Europäische Kulturhauptstadt 2023“

  • Temeswar (rumänisch: Timiosora) ist mit rund 350 000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Rumäniens. Sie ist das Zentrum des Banats und liegt im Westen.
  • In Temeswar gibt es viele Ethnien und Glaubensgemeinschaften. Neben Rumänen leben dort Ungarn, Serben, Deutsche, Roma, Juden, Slowaken und Bulgaren.
  • Temeswar wurde von der EU als „Europäische Kulturhauptstadt 2023“ ausgewählt. Die Stadt hofft, dass die Zahl der Übernachtungen im nächsten Jahr von 400 000 (vor dem Lockdown) auf eine Million steigen wird.
  • Ansprechpartner: Reiseberatung Muth, info@reiseberatungmuth.de, 07151 702466. 

Die Ansprüche sind mit seiner Wahl jedenfalls gewachsen. „Seitdem der Deutsche da ist, liegt mehr Müll auf der Straße“, beklagt sich ein Verkäufer im Souvenirshop. Fritz erklärt das Müllproblem damit, dass die Anbieter früher immer Schmiergelder kassiert hätten, er aber Korruption und Vetternwirtschaft den Kampf erklärt habe. Doch normale Bürger wie der Verkäufer durchschauen diese Hintergründe nicht. „Er müsste mehr mit den Leuten reden“, sagt ein Kenner der Verhältnisse in der Stadt, der nicht mit seinem Namen zitiert werden will, weil er den Bürgermeister demnächst persönlich trifft und dieser ja deutsche Zeitungen lesen kann.

Fritz muss nicht nur das Müllproblem lösen, die „Europäische Kulturhauptstadt“ will sich den Touristen in vollem Glanz präsentieren. Wegen des Lockdowns wurde die große Party um zwei Jahre von 2021 auf 2023 verschoben. „Das kommt mir nicht ungelegen, denn jetzt haben wir mehr Zeit, unsere Hausaufgaben zu erledigen“, sagt Fritz beim Treffen mit Journalisten im Rathaus.

Er spricht da auch gleich eine Kollegin an. Der gebürtige Lörracher wuchs ja im kleinen Görwihl auf, das ebenfalls zum Verbreitungsgebiet der „Badischen Zeitung“ gehört. Fritz hat es also vom Hotzenwald ins  Banat verschlagen. 2003 kam der Jesuitenschüler nach Temeswar und arbeitete im Rahmen eines Freiwilligen Sozialen Jahres in einem Kinderheim. Danach studierte Fritz in Konstanz, Paris und York Politikwissenschaft. Nach regelmäßigen Besuchen in Temeswar schloss er sich 2017 vor dem Hintergrund der massiven Anti-Korruptionsproteste der Partei Union Rettet Rumänien an, die ihn als Kandidat für die Bürgermeisterwahl aufstellte – nachdem er auf dem Temeswarer Opernplatz eine flammende Rede gegen die Korruption gehalten hatte. Dafür gab Fritz seinen Job als Leiter des Büros von Alt-Bundespräsident Horst Köhler in Berlin auf.

Temeswar will die Touristen im nächsten Jahr anlocken. © Annemarie Rösch

„Ich fühle mich mit meiner Aufgabe ein bisschen wie Ikarus, man kann sich leicht die Flügel verbrennen“, sagt Fritz. Dass sich Temeswar bei der Bewerbung als „Europäische Kulturhauptstadt 2023“ durchgesetzt hat, bezeichnet der Bürgermeister als eine „enorme Erfolgsstory“: „Jetzt ist das Momentum da. Deutschland ist ein Land, das an seinem Wohlstand und seiner Selbstgefälligkeit erstickt. In Rumänien ist alles offen, die Dynamik ist groß. Wir können eine Geschichte schreiben, die noch nicht erzählt ist“.

Diese Geschichte soll ohne Klischees auskommen: „Wir wollen raus aus diesen Stereotypen, die Touristen sollen bei Temeswar nicht nur an Straßenkinder, Vampire, Hilfstransporte und den grauen Schleier des Ostblocks denken“, sagt Fritz. Temeswar wird von Kennern nicht umsonst als das Wien Rumäniens bezeichnet – bis in die Hauptstadt Österreichs sind es nur fünf Autostunden. „Wir haben uns kulturell immer dem Westen zugehörig gefühlt“, sagt der Tourismusbeauftragte Simion Giurca, der ständig zwischen Temeswar und Wien pendelt. Allerdings sind es bis zur ukrainischen Grenze ebenfalls nur fünf Autostunden. Wladimir Putins Angriffskrieg könnte den erhofften Touristenstrom im schlimmsten Fall in ein Rinnsal verwandeln. „Wenn der Krieg in der Ukraine bis nächstes Jahr nicht vorbei ist, kommt vielleicht keiner“, fürchtet der Verkäufer. Das würde die Wiederwahl des Bürgermeisters gefährden, obwohl er nichts für Putins Wahnsinn kann.

„Temeswar ist nicht Auschwitz“

Aber auch in der Stadt, die als Symbol für das friedliche Miteinander der unterschiedlichen Kulturen gilt, gibt es wie überall Platz für tumben Nationalismus. Dass der frühere Amtsinhaber Nicolae Robu seinen Herausforderer im Wahlkampf noch als einen „fremden Abenteurer“ denunzierte, war schon schlimm genug. Als aber im März 2021 die ultranationalistische Partei Allianz für die Vereinigung Rumänien zu landesweiten Protesten gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung aufrief, skandierten Hunderte Demonstranten vor dem Haus des Bürgermeisters: „Herr Fritz, vergiss nicht, Temeswar ist nicht Auschwitz!“.

Der Bürgermeister hält dennoch unbeirrt Kurs. Das gefällt den Alteingesessenen nicht. Sie schielen auf die 60 Millionen Euro, die es für das Projekt „Europas Kulturhauptstadt 2023“ zu verteilen gibt. Fritz will das Geld nach einem transparenten Verfahren vergeben. Das sorgt für Unmut. Vielleicht bleibt auch deshalb der Müll manchmal liegen.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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