London. Abgemagert, haarlos und umgeben von Schläuchen - das Bild des ehemaligen russischen KGB-Agenten Alexander Litwinenko auf seinem Sterbebett ging vor acht Jahren um die Welt. Am 23. November 2006 war er tot. Und was der damals zuständige Gerichtsmediziner gestern, am zweiten Tag der öffentlichen Anhörung zu Litwinenkos Tod in London, berichtete, klingt wie der Plot eines Spionage-Thrillers. Der Leichnam des 43-jährigen Regierungskritikers sei hochgradig radioaktiv verseucht gewesen. "Es wurde als die gefährlichste Obduktion beschrieben, die jemals in der westlichen Welt durchgeführt wurde und das stimmt wohl", so der Pathologe Nathaniel Cary.
Das war wenige Wochen, nachdem sich Litwinenko am 1. November mit zwei Landsmännern im Londoner Luxushotel Millennium getroffen hatte. Der Ex-Spion trank eine Tasse grünen Tee. Kurz darauf litt er unter einer rätselhaften Krankheit. Erst spät, zu spät, wussten die Ärzte, dass Litwinenko mit radioaktivem Polonium 210 vergiftet wurde. "Ich habe keinen Zweifel daran, dass die russischen Geheimdienste verantwortlich sind", wies der ehemalige Sowjet-Agent damals die Schuld für seine Ermordung dem Kreml zu. "Den Befehl dazu kann nur eine Person geben - der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin."
Diese Worte wurden am Dienstag zum Auftakt der öffentlichen Anhörung aus einem Vernehmungsprotokoll verlesen. Die Witwe des Ermordeten, Marina Litwinenko, hatte die richterliche Untersuchung durchgesetzt - nach einem jahrelangen Kampf mit der britischen Regierung bis vor das höchste Gericht.
Der damals für den britischen Geheimdienst M16 arbeitende Litwinenko sei nicht "einmal, sondern zweimal" mit Polonium vergiftet worden, deutete der Jurist Robin Tam an. Bereits Mitte Oktober 2006 soll er sich mit dem Ex-Agenten Andrej Lugowoi und dem Geschäftspartner Dmitri Kowtun getroffen haben, am Abend fühlte er sich krank und musste sich übergeben. Haarproben von diesem Tag sollen den ersten Mordversuch beweisen. Die Tee-Runde kurze Zeit später bestand aus derselben Drei-Mann-Gesellschaft. Auch deshalb gelten sie für Scotland Yard als die Hauptverdächtigen, obwohl beide ihre Unschuld betonen. Moskau lehnte damals wie heute deren Auslieferung ab.
Um alle Eventualitäten zu prüfen, wurde gestern der leitende Gerichtsmediziner geladen. Anders als sonst oft üblich habe Nathaniel Cary keine zweite Untersuchung des Leichnams vorgenommen. Zu gefährlich. Aufgrund des Zustands des Körpers hätten die Mediziner zwei Sicherheitsanzüge übereinander getragen. Zwei Paar Handschuhe befestigten sie mit Klebeband um die Arme. Zudem trugen sie Spezialhelme, in die durch einen Schlauch gefilterte Atemluft gepresst wurde, erklärte Cary. Er könne sich an keinen ähnlichen Fall im Vereinigten Königreich erinnern.
Nach Litwinenkos Tod geisterten zahlreiche Verschwörungstheorien durch die Medien, vor allem der russische Präsident geriet ins Blickfeld. Tötete der Kreml wirklich seine Kritiker? Dieser Frage wird nun mindestens zehn Wochen nachgegangen.
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