Anti-Terror-Einsatz

Der heiße Tipp kommt vom FBI

SEK-Kommando überrascht die zwei iranischen Brüder in Castrop-Rauxel im Schlaf

Von 
A. Böhme, T. Martus
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Ein Mann wird von Beamten des Spezialeinsatzkommandos (SEK) mit Schutzmaske in Gewahrsam genommen. © WTVnews/dpa

Castrop-Rauxel. Kurz vor Mitternacht in der Nacht zu Sonntag ist es vorbei mit der Ruhe im Castrop-Rauxeler Stadtteil Habinghorst. Immer mehr Wagen von Polizei und Feuerwehr fahren durch das Viertel, halten in der Langen Straße, die kürzer ist, als der Name es suggeriert. „Wir dachten, da brennt es“, erinnern sich zwei Teenager am nächsten Mittag in einem nahe gelegenen Burger-Restaurant. Tut es nicht. Die Einsatzkräfte sind in einem Anti-Terror-Einsatz. Ziel der Polizei ist das Haus mit Nr. 71. Im Erdgeschoss gibt es einen Friseur, gleich nebenan liegt ein Fitnessstudio. Kaum sind die Einsatzkräfte vor Ort, stürmt ein SEK-Trupp in Spezialanzügen durch ein großes graues Tor in den ersten Stock, wo die Polizisten eine Holztür aufbrechen. Die Bewohner werden offenbar im Schlaf überrascht und leisten keinen Widerstand.

Minuten später werden zwei Männer unter den Augen der Anwohner, die neugierig aus ihren Wohnungen gekommen sind, abgeführt. Nur T-Shirt, Unterhose und Schlappen trägt der eine, Winterjacke über freiem Oberkörper, knielange Sporthose und Sneakers mit offenen Schnürsenkeln, der Mann, dem der Einsatz galt.

Vor einem Feuerwehrwagen werden sie mit einer Flüssigkeit besprüht, dann unter strenger Bewachung zu einer Dekontaminationsstraße gebracht, die die Feuerwehr Castrop-Rauxel vor der Wache eingerichtet hat. Wenig später bestätigt die Polizei, was die vielen Einsatzkräfte in den gelben und grauen Schutzanzügen und mit „umluftunabhängigem Atemschutz“ schon haben erahnen lassen. Es geht um Gift, genauer gesagt um Cyanid und Rizin und damit um „biologische Kriegswaffen“. Bald gibt es auch erste Informationen zu den beiden Festgenommenen.

Bei dem Mann mit der Jacke, dem Verdächtigen, handelt es sich demnach um einen 32-Jährigen Iraner, der bereits seit gut sieben Jahren in Deutschland lebt. Nachbarn beschreiben ihn als „ruhig“, er sei keiner, „der Stress macht“. Der zweite Mann, bestätigt Holger Heming, Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf, am Sonntag, ist sein Bruder. Inwieweit er in mögliche Anschlagspläne eingeweiht war, ist bisher unklar. Die beiden Verdächtigen sind längst abtransportiert, aber der Einsatz in der Nacht geht weiter. Unterstützt von Fachleuten für biologisch-chemische Gefahren des Robert Koch-Instituts (RKI) und Spezialisten der mit hochsensibler Messtechnik ausgerüsteten Analytischen Task Forces (ATF) Dortmund und Essen, durchsuchen Polizisten die Wohnung des Verdächtigen. Was sie dabei sicherstellen, kommt in große blaue Fässer und landet ebenfalls in der Dekontaminationsstraße.

„Ernstzunehmender Hinweis“

Die Vorsicht ist begründet. Rizin ist einer der giftigsten Eiweißstoffe, die in der Natur vorkommen. Traurige Berühmtheit erlangte der Stoff durch das „Regenschirmattentat“ von London, bei dem der bulgarische Dissident Georgi Markow im Jahr 1978 starb, nachdem man ihm über einen Regenschirm ein winziges Metallkügelchen aus Rizin ins Bein gejagt hatte. Am Sonntagmittag ist wieder Ruhe eingekehrt auf der Langen Straße. Ein Fenster der gestürmten Wohnung ist gekippt, die Wohnungstür ist notdürftig repariert worden. Ansonsten hat der nächtliche Großeinsatz keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Bei Wind, kühlen Temperaturen und teils heftigen Regenschauern sind die Bürgersteige fast menschenleer. Wie weit mögliche Anschlagspläne gediehen waren, ist unklar. In der Wohnung des Verdächtigen sei kein Gift gefunden worden, teilt die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf am frühen Sonntagnachmittag mit. Man habe aber „Speichermedien“ sichergestellt, die man nun auswerte. Das könne „Wochen“ dauern. Auf die Spur gekommen ist man dem Mann durch den Tipp eines „befreundeten Geheimdienstes“. Nach Informationen der „Bild“ soll es sich um das FBI gehandelt haben.

Der 32-jährige Iraner wird der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verdächtigt. In Sicherheitskreisen wird vermutet, dass er Anhänger einer sunnitischen islamistischen Terrorgruppe ist. Er soll demnach nicht im Auftrag staatlicher iranischer Behörden gehandelt haben. Letzteres bestätigte auch der Sprecher der Düsseldorfer Generalstaatsanwaltschaft. Er sagte, es gebe Hinweise auf ein islamistisch geprägtes Weltbild, aus dem eine Anschlagsplanung resultiere. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte: „Wir hatten einen ernstzunehmenden Hinweis, der die Polizei dazu veranlasst hat, noch in der Nacht zuzugreifen“. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sieht vor dem Hintergrund des Einsatzes die Gefahr islamistischer Anschläge nicht gebannt. Deutschland stehe weiterhin im unmittelbaren Zielspektrum islamistischer Terrororganisationen, so die Ministerin. Islamistisch motivierte Einzeltäter seien eine weitere erhebliche Gefahr. „Unsere Sicherheitsbehörden rechnen deshalb jederzeit mit Vorbereitungen für einen Anschlag.“ Seit 2000 hätten die Behörden in Deutschland 21 islamistische Anschläge verhindert.

Der grüne Innenexperte Konstantin von Notz mahnte, die Gefahr durch islamistischen Terror nicht aus dem Blick zu verlieren. „Um die konkrete Bedrohung, die von den Beschuldigten ausgegangen ist, bewerten zu können, müssen zunächst die weiteren Ermittlungsergebnisse abgewartet werden“, sagte von Notz unserer Redaktion.

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