Nazivergleich - Türkische Gemeinde Deutschland distanziert sich von Erdogan / Kanzlerin Angela Merkel kritisiert den Präsidenten

"Deplatzierte Äußerungen"

Von 
Martin Ferber
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Unterstützer in historischen Militäruniformen begrüßen den türkischen Staatspräsidenten Erdogan. Die Beziehungen zu Deutschland sind auf dem Tiefpunkt.

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Berlin. Am Sonntagabend hatte Angela Merkel genug. Nachdem der Kanzlerin Meldungen gereicht wurden, wonach der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan auf einer Kundgebung die Bundesrepublik Deutschland wegen der kurzfristigen Absage mehrerer Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsmitglieder mit dem nationalsozialistischen Regime verglichen habe ("Eure Praktiken unterscheiden sich nicht von den Nazi-Praktiken in der Vergangenheit"), griff sie zum Hörer und ließ sich mit ihrem türkischen Amtskollegen Binali Yildirim verbinden.

Was die beiden im Einzelnen miteinander besprachen und in welcher Atmosphäre das Gespräch verlief, wollte Regierungssprecher Steffen Seibert gestern nicht sagen, gleichwohl dürfte Merkel in aller Deutlichkeit und Entschiedenheit die Äußerungen Erdogans zurückgewiesen haben. Immerhin, beide seien sich einig gewesen, "dass eine weitere Beschädigung des deutsch-türkischen Verhältnisses vermieden werden muss", sagte Seibert.

Und auch Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) griff noch am Sonntagabend zum Telefon und sprach fast gleichzeitig mit seinem Amtskollegen Mevlut Cavusoglu. Da beide dafür bekannt sind, Klartext zu reden, dürfte es eine lebhafte Auseinandersetzung gewesen sein. Morgen werden die beiden ihren Dialog von Angesicht zu Angesicht fortsetzen, wenn sich Gabriel mit Cavusoglu im Auswärtigen Amt trifft. Der türkische Minister weilt aus Anlass der Internationalen Tourismusbörse ITB in Berlin und wollte heute auch in Hamburg auftreten. Die dortigen Behörden sagten den Auftritt allerdings gestern kurzfristig ab.

Ungewöhnliche Schärfe

An ihrer Position ließ die Bundesregierung gestern keine Zweifel aufkommen. Bundeskanzlerin Merkel kritisierte den türkischen Präsidenten Erdogan ungewöhnlich scharf. "Solche deplatzierten Äußerungen kann man ernsthaft eigentlich gar nicht kommentieren", sagte sie. Auch mit dem Wahlkampf in der Türkei seien sie nicht zu rechtfertigen. Der Vergleichs Deutschlands mit dem Nazi-Regime disqualifiziere sich von selbst, da er zudem das Leid der nationalsozialistischen Verbrechen verharmlose. Die Aussagen aus der Türkei machten sie "traurig".

Zuvor schon hatte Regierungssprecher Seibert sich in ähnlicher Weise ausgedrückt. Gleichwohl wies er darauf hin, dass der Bundesregierung unverändert viel an einem guten Verhältnis zur Türkei liege, auch wenn es derzeit "tiefgreifende Meinungsunterschiede" gebe und Berlin unverändert in "großer Sorge" über die Einschnitte bei der Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit in der Türkei sei. Ausdrücklich stellte er klar: "Die Bundesregierung arbeitet nicht an irgendwelchen Einreiseverboten." Es sei in jedem Einzelfall die Sache der zuständigen Behörden, auf Länder- oder Gemeindeebene einzuschätzen, wie es um die öffentliche Ordnung und Sicherheit bestellt sei.

Grundsätzlich seien Auftritte türkischer Politiker in Deutschland "innerhalb des Rechts und der Gesetze" möglich, "wenn sie ordnungsgemäß, rechtzeitig mit offenem Visier so angekündigt werden, dass sie genehmigungsfähig sind". Abschließend appellierte Merkel an die Vernunft: "Lassen Sie uns kühlen Kopf bewahren."

Erdogans Reisepläne unklar

Auch Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) rief im Gespräch mit dieser Zeitung zur Deeskalation auf. "Je schriller, testosterongeladener und realitätsferner die Vorwürfe Erdogans werden, desto ruhiger und besonnener sollten wir als souveräne Demokraten reagieren." Mit "Hass und Hetze" spalte Erdogan seit Jahren die Türkei und versetze große Teile der Gesellschaft "in Angst und Schrecken", so die frühere Grünen-Chefin. Es gehe nicht darum, nun "Rachegelüste zu befriedigen", vielmehr sollte man die Provokationen und das Wahlkampfkonzept Erdogans ins Leere laufenlassen. Roth rief dazu auf, den Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei aufzukündigen. "Es darf keinen weiteren Kotau vor Erdogan geben." Zudem forderte sie Merkel auf, bis zum Referendum Mitte April nicht wieder in die Türkei zu fahren, alle Rüstungsexporte in die Türkei sollten eingestellt werden.

Ebenso distanzierte sich die Türkische Gemeinde in Deutschland mit klaren Worten von dem Nazi-Vergleich Erdogans. Die Äußerungen seien "absolut überzogen", sagte ihr Vorsitzender Gökay Sofuoglu gestern. Man dürfe darauf nicht antworten, indem man "auf dieses Niveau runtergeht".

Unverändert hat die Bundesregierung keine Hinweise darauf, ob und wann der türkische Präsident in Deutschland auftreten wird, obwohl er angekündigt hatte: "Wenn ich will, dann komme ich auch. Ich komme." Ein Besuch eines Präsidenten bedürfe eines gewissen Vorlaufs und umfangreicher Vorbereitungen, hieß es im Auswärtigen Amt. "Ein Präsident reist nicht so einfach wie ein normaler Mensch."

Korrespondent

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