Migration

Das deutsche Asyl-Dilemma

Tausende anerkannte Flüchtlinge reisen auf eigene Faust hierher – doch deutsche Behörden sind machtlos: Der Fall zeigt das Scheitern des EU-Systems

Von 
Christian Unger
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Migranten aus dem griechischen Lager Moria auf der Insel Lesbos steigen aus einem Flugzeug am Flughafen Hannover. © DPA

Athen. Es ist ein Jahr her, da schrieb der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer einen Brief an die EU-Kommission nach Brüssel – die griechische Regierung setzte er gleich mit ins Feld der Adressaten. Seehofers Ton ist ernst, fast grantig, würde man undiplomatisch sagen. Der CSU-Politiker sehe „seit einiger Zeit den Trend“ der irregulären Weiterreise von Migranten und Asylsuchenden, die bereits in Griechenland einen Schutzstatus erhalten hatten – um dann noch einmal in Deutschland Asyl zu beantragen.

„Wir müssen das gemeinsam bekämpfen“, hält Seehofer fest. Es ging damals laut Ministerium um 17 000 Menschen, die in Deutschland erneut einen Schutzantrag gestellt hatten. Heute ist Seehofer nicht mehr Innenminister, sondern Nancy Faeser (SPD). Die Ampelkoalition hat sich zum Ziel gesetzt, die „Sekundärmigration zu reduzieren“. Doch Stand Ende Mai sind es nicht mehr 17 000 anerkannte Flüchtlinge aus Griechenland, die Asyl in Deutschland beantragt haben. Sondern 48 756.

Der Fall zeigt, wie die Idee eines gemeinsamen europäischen Asylsystems in den vergangenen Jahren immer weiter ausgehöhlt wurde. Das Problem für die Bundespolizei an der Grenze und die Bundesregierung: Sie können nicht mal sonderlich viel tun. Denn die anerkannten Flüchtlinge aus Griechenland kommen ganz legal. Laut EU-Recht dürfen sie für 90 Tage in einen anderen EU-Staat im Schengenraum reisen. Die entsprechenden Reisedokumente können sie bei den nationalen Behörden vor Ort beantragen – in diesem Fall Griechenland. Dort stellt man die Unterlagen offenbar fleißig aus. Für die Afghanen oder Syrer ist der Weg nach Deutschland dann einfach, per Flixbus oder Flieger.

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Was nicht legal ist: dass die anerkannten Geflüchteten während ihrer Zeit in Deutschland noch einmal beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) Asyl beantragen. Nur: Den Zweck der Reise können deutsche Grenzbeamte kaum belegen – und müssen die Menschen passieren lassen.

Das nächste Dilemma: Deutschland kann diese Flüchtlinge nicht zurückschicken. Denn mehrere deutsche Verwaltungsgerichte verurteilten die desaströsen Zustände für Asylsuchende in Griechenland. Das Innenministerium und das Bamf griffen deshalb zu einem Kniff. Man legte die Asylanträge auf Eis. In der leisen Hoffnung, die Menschen doch noch ablehnen und abschieben zu können. Und auch, um den griechischen Behörden und den Geflüchteten zu signalisieren, dass man die Weiterreise nicht hinnehmen wolle. Der Stapel wächst, täglich klopfen mehr anerkannte Geflüchtete aus Griechenland bei den Bamf-Außenstellen an.

Griechenland bekommt Zusagen für Geld – vor allem aus EU-Töpfen. Mehr als 95 Millionen Euro allein in den Jahren 2014 bis 2020 für ein Notfallprogramm zur besseren Integration von Geflüchteten. Nach dem Brand im Lager Moria auf Lesbos nahm die Bundesregierung seit Sommer zudem 1719 Menschen aus Griechenland in einem Sonderkontingent auf. Was blieb: die Sekundärmigration. In Athen sieht man sich – ähnlich wie in Italien – von der EU und Deutschland mit der Wucht des Flüchtlingszuzugs alleingelassen. EU-Recht sieht vor, dass Menschen dort Schutz beantragen sollen, wo sie als Erstes in Europa aufschlagen.

In deutschen Behörden glaubt man offenbar nicht mehr an eine schnelle Lösung. Seit einigen Monaten arbeitet das Bamf den Stapel an Asylanträgen der bereits anerkannten Schutzsuchenden aus Griechenland ab. Ende Mai waren laut Innenministerium 7943 Fälle entschieden.

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