Politik

Bundesinnenministerin Nancy Faeser: „Die AfD verachtet unser modernes Deutschland“

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) spricht im Interview über Umsturzpläne rechtsradikaler Kreise, die Chancen eines AfD-Verbotsverfahrens und die Frage, ob man dem Extremisten Höcke das Wahlrecht entziehen kann

Von 
Jochen Gaugele
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Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am 17. Januar in ihrem Berliner Ministerium. © Reto Klar / FUNKE Foto Services

Berlin. Das Treffen in einer Villa am brandenburgischen Lehnitzsee hat Deutschland aufgeschreckt. Planen radikal rechte Kreise den Umsturz? Wird jetzt die AfD verboten? Und was bedeutet all das für die Migrationspolitik der Ampelkoalition? Die Antworten von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) lassen aufhorchen.

Frau Faeser, wankt unsere Demokratie?

Nancy Faeser: Ich würde eher sagen, unsere Demokratie wird angegriffen und steht vor großen Herausforderungen. Wir müssen sie aktiv verteidigen. Es stimmt mich sehr positiv, dass so viele Menschen in den vergangenen Tagen für die Demokratie auf die Straße gegangen sind.

Woher kommt die größte Bedrohung?

Faeser: Der Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für unsere Demokratie. Auch im Islamismus und im Linksextremismus haben wir erhebliche Bedrohungen, aber das Wesen des Rechtsextremismus ist die Überwindung unserer demokratischen Ordnung.

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Wie real sind rechte Umsturzpläne?

Faeser: Ich nehme das sehr ernst. Die bewaffnete „Reichsbürger“-Gruppe um Prinz Reuß, die jetzt als terroristische Vereinigung vor Gericht steht und mit der AfD vernetzt war, wollte den Bundestag angreifen. Reichsbürger planten die Entführung meines Kollegen Karl Lauterbach. Und ich nehme auch das neuerliche Treffen rechtsextremer Akteure in einer Villa am Lehnitzsee bei Potsdam sehr ernst. Das weckt unwillkürlich Erinnerungen an die furchtbare Wannseekonferenz.

Am Wannsee haben die Nationalsozialisten den Holocaust organisiert. Bei dem Treffen am Lehnitzsee ging es um einen Plan zur millionenfachen Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund.

Faeser: Ich will das nicht gleichsetzen. Aber was hinter harmlos klingenden Begriffen wie „Remigration“ versteckt wird, ist die Vorstellung, Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer politischen Haltung massenhaft zu vertreiben und zu deportieren. Die Teilnehmer, zu denen auch AfD-Politiker gehörten, wollen einen völkisch-nationalistischen Staat. Die Sicherheitsbehörden sind stark unterwegs, um solche Umtriebe aufzudecken.

Manche fragen, ob es auch bei Hitler so angefangen hat. Was antworten Sie?

Faeser: Geschichte wiederholt sich nicht. Natürlich sind wir heute ein anderes Land als in den 1930er-Jahren. Trotzdem müssen wir aufpassen und die Gefährdung unserer Demokratie erkennen. Wir haben eine sehr moderne Verfassung, die der Vielfalt unserer Gesellschaft gerecht wird. Das Grundgesetz hat den Wesenskern, dass die Würde jedes Menschen unantastbar ist. Den gilt es, jetzt zu verteidigen.

Kommentar Warum sich die Demokraten gegen die AfD wehren müssen

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Walter Serif
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Gemessen an den Umfragen ist die AfD schon Volkspartei. Was würde sie aus Deutschland machen, käme sie an die Regierung?

Faeser: Die AfD verachtet unser modernes Deutschland. Sie will die Rolle der Frau zurückdrehen, freie Medien und die unabhängige Justiz angreifen - und offenkundig viele Menschen, die eine Einwanderungsgeschichte haben, nicht in unserem Land haben.

Der Verfassungsschutz hat die AfD in drei Bundesländern - Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen - als gesichert rechtsextrem eingestuft. Warum stellen Sie keinen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht?

Faeser: Ein Parteiverbot hat sehr hohe Hürden. Auch das hat historische Gründe: Die Nazis haben demokratische Parteien verboten. Unsere Verfassung sieht dieses schärfste Instrument der wehrhaften Demokratie zurecht als Ultima Ratio vor. Das kann niemand bei einer entsprechenden Sachlage ausschließen. Politisch ist aber klar: Wenn sich Menschen einer solchen Partei zuwenden, müssen wir dafür werben, dass diese Menschen zu den demokratischen Parteien zurückkommen.

Ein Verbotsantrag vor den Ost-Landtagswahlen im September ist demnach ausgeschlossen?

Faeser: Verbotsverfahren sind langwierig. Und nochmals: Das ist das schärfste juristische Mittel und kein Mittel der politischen Auseinandersetzung.

Würde das Material, das der Verfassungsschutz gesammelt hat, denn für ein AfD-Verbot reichen?

Faeser: Ende Februar erwarten wir das Gerichtsurteil, ob die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall gerechtfertigt ist. Das ist wichtig für die Frage der weiteren Beobachtung der AfD. Und das zeigt: Es gibt auch Instrumente unterhalb eines Verbots.

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Sie haben die Frage nicht beantwortet.

Faeser: Über Material des Verfassungsschutzes spreche ich nicht öffentlich.

Welche weitere Instrumente sehen Sie?

Faeser: Vor allem müssen persönliche und finanzielle Verbindungen mit rechtsextremen Netzwerken ausgeleuchtet werden. Der Verfassungsschutz hat seine Finanzermittlungen im Bereich Rechtsextremismus deutlich verstärkt. Das habe ich schon nach meinem Amtsantritt veranlasst.

Können AfD-Politiker auch Grundrechte verwirken? Eine Online-Petition fordert, dem Extremisten Björn Höcke das Wahlrecht zu entziehen.

Faeser: Auch hier gibt es hohe Hürden. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Geschichte der Bundesrepublik noch in keinem Fall entschieden, dass eine Person ihre Grundrechte verwirkt hat. Deshalb muss es auch bei Herrn Höcke und seinem als gesichert rechtsextremistisch eingestuften Thüringer AfD-Landesverband zuerst um die politische Auseinandersetzung gehen.

Welche Verantwortung trägt Ihrer Meinung nach die Ampel-Regierung für die wachsende Polarisierung in Deutschland?

Faeser: Wir tragen Verantwortung für unser Land, auch dort, wo es schwierig ist. Dabei haben wir mehr erreicht, als manche glauben, und große Reformvorhaben auf den Weg gebracht: das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das Rückführungspaket, die europäische Asylreform - wenn ich nur an meinen Bereich denke. Aber es ist wichtig, dass wir uns nicht öffentlich streiten. Dann gewinnen wir Vertrauen zurück.

Schlagen Sie eine härtere Gangart bei der Migration ein? Viele Kommunen melden, dass sie völlig überlastet sind.

Faeser: Es ist ein zentrales Thema, um das wir uns intensiv kümmern. Wir brauchen Humanität, müssen Migration aber auch steuern und begrenzen. Wir haben in dieser Woche ein großes Gesetzespaket im Bundestag verabschiedet, mit dem wir für schnellere Rückführungen von Menschen ohne Bleiberecht in Deutschland sorgen.

Wird jetzt „im großen Stil“ abgeschoben, wie Kanzler Scholz das angekündigt hat?

Faeser: Wir haben schon letztes Jahr 27 Prozent mehr Rückführungen erreicht. Unser Gesetz wird diese Zahl noch mal deutlich erhöhen.

Voraussetzung ist, dass die Herkunftsstaaten geflüchtete Staatsbürger zurücknehmen. Migrationsabkommen, die das regeln, sind Ihnen bisher aber kaum gelungen?…

Faeser: Ich habe gerade ein Migrationsabkommen mit Georgien unterzeichnet. Weitere werden folgen. Wir sind mit Staaten wie Moldau, Kolumbien, Usbekistan, Kirgisistan, Kenia und Marokko in guten Gesprächen.

Wann greift die europäische Asylreform?

Faeser: Ich setze mich dafür ein, dass die Umsetzung schnell erfolgt. Dann müssen alle Ankommenden an den europäischen Außengrenzen registriert werden. Dort werden auch Asylverfahren stattfinden für diejenigen, die nur eine geringe Aussicht auf Schutz haben. Und endlich kommen wir zu einer Verteilung in der EU. Das führt gerade in Deutschland zu einer Entlastung.

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