EU - Auftakt zur Anhörung der künftigen Kommissionsmitglieder / Günther Oettinger präsentiert ehrgeizige Ziele für digitale Wirtschaft

"Breitband wichtiger als Straße"

Von 
Detlef Drewes
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Ihm werden sehr gute Chancen eingeräumt: Günther Oettinger, als EU-Kommissar für die Entwicklung der digitalen Wirtschaft vorgesehen.

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Brüssel. Tagelang hatte sich Günther Oettinger mit hämischem Unterton anhören müssen, dass er ja weder ein Tablet benutze, noch als ausgesprochener "Internet-Nerd" bekannt sei. Doch als der 60-jährige bisherige EU-Kommissar für Energie und frühere CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg gestern Abend endlich auf dem heißen Stuhl vor den Europa-Abgeordneten Platz genommen hatte, wurde schnell klar, dass der Mann mehr sein will als ein bloßer Internet-Kommissar.

Drei Stunden Rede und Antwort

"Noch vor Straßen- und Schienen-Ausbau ist die digitale Infrastruktur das Rückgrat unserer künftigen Wirtschaft", sagte der Schwabe. Die Zeit der nationalen Eigenheiten auf einem grenzüberschreitenden digitalen Binnenmarkt sei vorbei. Unternehmen, die ihre Angebote online anbieten, seien im Vorteil gegenüber allen anderen, egal ob es um Versicherung, Tourismus oder sonstige Geschäfte gehe. Er sei unzufrieden, mit den bisher zur Verfügung gestellten Mitteln, betonte Oettinger und forderte, künftig auch die Infrastruktur-Fonds der EU für den Ausbau der Hochgeschwindigkeitsnetze nutzen zu können. Im Übrigen hätten die Abgeordneten seine volle Unterstützung bei der Abschaffung der Roaminggebühren, die nach dem Willen der Volksvertretung am 15. Dezember 2015 endgültig fallen sollen.

Drei Stunden lang müssen die 27 Kandidaten für einen Job in der nächsten Kommission von Jean-Claude Juncker seit gestern den Fragen der Europa-Abgeordneten Rede und Antwort stehen. Bis zu 50 Themen werden mündlich abgefragt, darunter auch überraschende. Der fraktionslose Abgeordnete Martin Sonneborn versuchte Oettinger aus der Reserve zu locken, als er ihn auf das Recht auf Vergessen im Internet ansprach, dem CDU-Politiker dabei eigene Sündenfälle aus seinem früheren Leben vorhielt und eine Antwort auf Englisch einforderte. Oettinger parierte die Attacke ("Ich bin hier, um Fragen zu beantworten, nicht um ihre Befehle zu befolgen") kühl mit einem Bekenntnis, alle Bürger müssten die Möglichkeit haben, unliebsame Daten löschen zu lassen. "Ich werde das nicht können, denn es stand alles in der Zeitung", sagte er.

Dass die mündliche Prüfung für angehende EU-Kommissare tief gehen kann, bekam schon vorher die Schwedin Cecilia Malmström zu spüren. Bisher für die Innenpolitik verantwortlich, soll sie in Junckers Team das Handelsressort übernehmen und wird damit auch für das umstrittene TTIP-Freihandelsabkommen mit den USA zuständig. Noch am Wochenende gab es Unstimmigkeiten, weil Malmström in ihren schriftlichen Antworten den umstrittenen ISDS-Klauseln zu Schiedsgerichten, mit denen sich Firmen gegen unliebsame staatliche Gesetzte wehren können, eine Absage erteilt hatte. Später musste sie die Aussage relativieren. Angeblich war ein falscher Textentwurf versendet worden. Gestern aber blieb sie zweideutig: "Es gibt Probleme mit ISDS", erklärte sie. "Ich schließe nicht aus, dass diese Gerichte am Ende herausgenommen werden."

Kommen noch Überraschungen?

Beide Kandidaten müssen um ihren Job nicht fürchten, sie gelten als sichere Mitglieder in der nächsten Kommission, die am 22. Oktober von den Abgeordneten gewählt werden und am 1. November ihr Amt antreten soll. Vorausgesetzt, es gibt in den kommenden Tagen nicht noch einige Überraschungen. Denn vier Bewerber werden als kritisch eingestuft und könnten durchaus am Votum der Parlamentarier scheitern. In diesem Fall müssten die entsendenden Mitgliedstaaten rasch einen neuen Vorschlag präsentieren.

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