Erfurt. Plötzlich, für einen Moment, scheint Björn Höcke das Ganze doch etwas unangenehm zu sein. Der Mann, der den völkischen „Flügel“ der AfD verkörpert, sitzt am Freitagnachmittag in der ersten Reihe seiner Fraktion im Thüringer Landtag und hört mit versteinertem Gesicht zu, wie ihn die grüne Abgeordnete Madeleine Henfling in ihrer Rede mehrfach einen „Faschisten“ nennt.
Doch dies ist nur die Ouvertüre. Denn nun legt CDU-Fraktionschef Mario Voigt los. Höcke sei „eine Schande für unseren Freistaat“, ruft der. In Anspielung auf die Parteifarbe der AfD sagt er: „Ihre Farbe ist nicht Blau. Ihre Farbe ist Braun. Und dieses braune Gift wollen wir hier nicht.“ Höcke wirkt zunehmend unruhig. Aber da muss er jetzt durch. Er hat sich diese Situation selbst organisiert. Denn es war seine AfD, die beantragte, dass der Landtag über ein „konstruktives Misstrauensvotum“ gegen den linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow abstimmt.
Das Recht, auf diese Art eine Landesregierung herauszufordern, räumt Artikel 73 der Landesverfassung jeder Fraktion ein. „Konstruktiv“ daran ist, dass der Antragsteller einen eigenen Kandidaten aufstellen muss, um gegebenenfalls den Amtsinhaber zu ersetzen. In diesem Fall tritt Höcke persönlich als Herausforderer gegen Ramelow an. Könnte er 46 von 90 Stimmen auf sich vereinen, wäre er Ministerpräsident und könnte eine neue Landesregierung bilden.
Theoretisch wäre dies möglich. Schließlich kämen AfD, CDU und FDP, wenn sie dies nur wollten, gemeinsam auf 48 Stimmen. Die rot-rot-grüne Minderheitsregierung kann sich hingegen nur auf 42 Abgeordnete stützen. Doch selbst Höcke weiß, dass er scheitern wird. Zum einen gilt er auch Christdemokraten und Liberalen als völlig unwählbar. Zum anderen ist das Drama aus dem vorvergangenen Winter noch allen gegenwärtig. Damals, am 5.?Februar 2020, wurde der Thüringer FDP-Landeschef Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt. Die AfD hatte ihren Kandidaten, einen parteilosen Dorfbürgermeister, im dritten Wahlgang nur zum Schein aufgestellt und heimlich für den Liberalen gestimmt. Zusammen mit den Stimmen von CDU und FDP reichte es, um den einzigen linken Regierungschef aus dem Amt zu wählen.
Es begannen vier dramatische Wochen voller Proteste und Demonstrationen. Die Bundeskanzlerin mischte sich von einer Reise in Südafrika derart rabiat ein, dass sie demnächst sogar vom Bundesverfassungsgericht eine Rüge bekommen dürfte. Kemmerich trat binnen weniger Tage zurück. Und Annegret Kramp-Karrenbauer kündigte ihren Rückzug vom CDU-Vorsitz an, nachdem sie mit ihrer Forderung nach einer schnellen Neuwahl bei der Unionsfraktion in Erfurt aufgelaufen war. Stattdessen handelte die Thüringer CDU mit der rot-rot-grünen Minderheitskoalition einen Pakt auf Zeit aus, um Ramelow nach dessen Wiederwahl bis 2021 teilweise zu stützen.
Der Handel funktionierte sogar halbwegs. Doch als es vor zwei Wochen darum ging, den Landtag aufzulösen, um ihn parallel zum Bundestag im September neu zu wählen, wackelte wegen vier Widerständlern aus der CDU-Fraktion die nötige Zweidrittelmehrheit. Als sich die FDP weigerte, der Vierer-Allianz auszuhelfen, sagten Linke und Grüne die Abstimmung ab.
Um diese verfahrene Lage auszukosten, stellte die AfD das Misstrauensvotum. Das Kalkül hinter dem Manöver ist offensichtlich, der stellvertretende Landesvorsitzende Stefan Möller formulierte es sogar ganz offen. Es gehe nicht um die Abwahl des linken Ministerpräsidenten, sagte er vor der Abstimmung unserer Redaktion. „Der Antrag zielte nicht auf Ramelow, sondern darauf, die Diskrepanz innerhalb der CDU offenzulegen.“
Zumal, es handelte sich am Freitag eben nicht um eine Ministerpräsidentenwahl mit bis zu drei Wahlgängen, bei der dann am Ende eine relative Mehrheit der „meisten Stimmen“ reicht. Ein „konstruktives Misstrauensvotum“ sieht nur eine einzige geheime Abstimmung vor – und die verlor Höcke dann auch sehr klar.
Der Mann, der sich und seine Partei als „letzte evolutionäre Chance“ Deutschlands sieht, kam nur auf 22 Ja-Stimmen – so viele Mitglieder hat seine AfD-Fraktion. Bis auf die CDU, die beim Wahlgang geschlossen sitzen blieb, stimmten anscheinend alle anderen anwesenden Abgeordneten mit Nein. Für ihre Entscheidung, nicht am Votum teilzunehmen, war die Unionsfraktion schon vorab scharf angegriffen worden. Den dahinterstehenden Verdacht formulierte die SPD-Abgeordnete Diana Lehmann noch einmal am Freitag im Landtag: Es gebe, sagte sie in Richtung CDU, genau einen Grund für die Verweigerungstaktik: „Sie haben Angst, aus Ihrer Fraktion stimmt jemand für Björn Höcke.“
Beweisen konnte Lehmann ihre Behauptung freilich nicht. Was allerdings auffiel, war die Lautstärke und Aggressivität, mit der sich CDU-Fraktionschef Voigt an Höcke abarbeitete. „Wir brauchen hier niemanden, der vor dem Spiegel Goebbels rezitiert“, rief er. Nur deshalb mache man bei dessen „Schmierenkomödie“ nicht mit.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/politik_artikel,-politik-bjoern-hoeckes-falsches-spiel-_arid,1827630.html