Kernenergie

Auch die Zukunft der Atomkraft hängt jetzt am Stresstest

Regierung will über den Streckbetrieb erst entscheiden, wenn die Experten ihre Analyse vorlegen

Von 
Theresa Martus
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Ein Warnschild steht vor dem Kühlturm des Atomkraftwerkes Isar 1 und 2 nahe Essenbach (Niederbayern). © Armin Weigel/dpa

Berlin. Noch gut drei Monate sind es, bis nach der aktuellen Gesetzeslage die letzten drei Kernkraftwerke in Deutschland vom Netz gehen sollen. Doch je näher das Datum rückt, desto drängender stellt sich die Frage, ob Atomstrom in der Energiekrise verzichtbar ist. Die Bundesregierung will das mit einem zweiten Stresstest beantworten lassen – die wichtigsten Informationen im Überblick:

Was ist denn mit dem Begriff „Stresstest“ überhaupt gemeint?

Hinter dem Schlagwort verbirgt sich eine Analyse, die zeigen soll, ob die Versorgung mit Strom in diesem Winter auch dann noch gesichert sein wird, wenn sich die Krise an verschiedenen Stellen des Energiesystems noch verschärft. Durchgeführt wird diese von den vier Betreibern der Strom-Übertragungsnetze in Deutschland, 50Hertz, Amprion, Tennet und TransnetBW, im Auftrag des Wirtschaftsministeriums.

Wie funktioniert dieser Stresstest dann genau?

Die Übertragungsnetzbetreiber überprüfen einmal jährlich, wie groß die Reserve an Kraftwerken sein muss, um das Stromnetz stabil zu halten. Das Computermodell, mit dem diese Berechnungen gemacht werden, liegt auch dem aktuellen Stresstest zugrunde. Nur die Annahmen, die in das Modell eingehen, sind andere. Schon im März dieses Jahres hatten die Übertragungsnetzbetreiber auf Bitten des Bundeswirtschaftsministeriums durchgerechnet, wie sich ein Gaspreis von 200 Euro pro Megawattstunde und eine geringere Stromproduktion der französischen Atomkraftwerke auf die Versorgungssicherheit in Deutschland auswirken würde. „Um die Vorsorge weiter zu stärken“, hat das Wirtschaftsministerium die Betreiber angewiesen, ein weiteres Mal zu rechnen, mit noch einmal verschärften Annahmen. Die Berechnungen dauern mehrere Wochen.

Wovon geht der zweite Stresstest aus?

In die Rechnung fließen dieses Mal mehrere noch verschärfte Annahmen ein: noch höhere Gaspreise, noch weniger Atomstrom aus Frankreich und noch weniger Gas, das nach Deutschland kommt. „Die niedrigen Füllstände der Wasserreservoirs etwa in Norwegen oder den Alpen werden sicherlich berücksichtigt“, sagt Christoph Maurer, Energieexperte und Geschäftsführer der auf Energie spezialisierten Beratungsfirma Consentec. Denn die derzeitige Wetterlage in Europa verursacht nicht nur Probleme bei der Kühlung von französischen Atomkraftwerken, sie reduziert auch den Strom aus norwegischer Wasserkraft, der zur Verfügung steht.

Dass noch höhere Preise einen entscheidenden Unterschied machen in der Versorgungssicherheit, damit rechnet Maurer nicht. Schon jetzt seien sie so hoch, dass Gas das Letzte sei, was in der Stromproduktion zum Einsatz komme. „Da, wo es durch andere Brennstoffe ersetzt werden kann, wird es ohnehin ersetzt“, sagt er. Doch es gibt Bereiche – etwa in systemrelevanten Kraftwerken –, wo Gas in der Stromversorgung nicht ersetzt werden kann. Dort würde es kritisch werden, wenn gar kein Gas mehr verfügbar wäre, sagt der Experte. Allerdings: Im Fall einer solchen Mangellage würde die Bundesnetzagentur als Bundeslastverteiler entscheiden, wer noch Gas bekommt und wer nicht. Dass dabei die Kraftwerke leerausgehen und die Stromversorgung gefährdet würde, sei unwahrscheinlich, so Maurer. „Dann zu sagen, wir drehen den Kraftwerken das Gas ab, hielte ich für sehr unklug.“

Ist die Sache nach dem Stresstest dann entschieden?

Die Bundesregierung verweist derzeit in der Debatte um einen möglichen Streckbetrieb oder sogar eine Laufzeitverlängerung darauf, dass man die Ergebnisse des laufenden Tests abwarten wolle, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Doch die Debatte dürfte damit noch nicht beendet sein. Der Stresstest solle eine Antwort auf die Versorgungssicherheit mit Strom im Winter geben, sagt Wolfram König, Leiter des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), dieser Redaktion. „Die für einen eventuellen Weiterbetrieb notwendige nukleare Sicherheit der Atomkraftwerke wird dabei nicht betrachtet.“ Er fordert die Politik auf, eine abschließende Abwägung unter Heranziehung aller Sicherheitsaspekte vorzunehmen. Der Wirtschaftsrat der CDU fordert schon jetzt eine generelle Laufzeitverlängerung für Atomkraft in Deutschland.

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