Berlin. Deutschland liegt weder in der Karibik noch im Pazifik, es hat auch keinen Kanal, der die beiden Meere miteinander verbindet wie das mittelamerikanische Panama. In der öffentlichen Wahrnehmung steht die Bundesrepublik zudem nicht im Ruf, ein Steuerparadies zu sein. Im Gegenteil. Gerade erst hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ermittelt, dass kaum ein EU-Bürger von seinem Bruttogehalt so viel an Steuern und Abgaben abführen muss wie der Deutsche. Doch was für abhängig Beschäftigte gilt, gilt noch lange nicht für global agierende Konzerne, vermögende Privatpersonen oder auch Kriminelle.
Die müssen ihr Geld gar nicht in Briefkastenfirmen verstecken. Für sie ist Deutschland fast so schön wie Panama, denn an legalen wie illegalen Methoden, den Fiskus zu prellen, herrscht kein Mangel.
"Längst kein passives Opfer mehr"
Die Bundesrepublik sei "längst nicht mehr passives Opfer der Steueroasen", sondern in Wahrheit selbst Teil des Systems der weltweit organisierten Steuervermeidung, schreibt der Marburger Politikwissenschaftler Markus Meinzer. Er muss es wissen, er hat nicht nur jahrelang akribisch Studien und Statistiken ausgewertet und mit Steuerfahndern, Betriebsprüfern, Kriminalbeamten und Anwälten gesprochen, sondern auch ein Buch über die "Steueroase Deutschland" (Beck-Verlag München, 14,95 Euro) geschrieben. Sein Vorwurf: Während Deutschland auf internationaler Bühne gerne als Vorreiter im Kampf gegen Steuerhinterziehung auftrete, tue es zu Hause viel zu wenig, um die Sümpfe trockenzulegen.
Im Ranking der weltweit "schädlichsten Schattenfinanzplätze", der jedes Jahr vom internationalen Netzwerk Steuergerechtigkeit veröffentlicht wird, steht die Bundesrepublik auf Platz acht - noch vor Panama. "Deutschland bietet Vermögenden und Konzernen aus dem Ausland große Steuergeschenke an und ein hohes Maß an Intransparenz", sagt Meinzer.
Es beginnt damit, dass es in Deutschland keine bundeseinheitliche Steuerverwaltung gibt, sondern die Finanzämter den Ländern unterstehen. Die Standards wie die Ausstattung weichen zum Teil erheblich voneinander ab, zudem sank die Zahl der Finanzbeamten zuletzt stetig. Die Folge: Im Durchschnitt wird jeder Betrieb alle 20 Jahre geprüft.
Unternehmen werde es leicht gemacht, ihre Gewinne zu verschleiern, kritisiert Meinzer. So gebe es im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern Ausnahmeklauseln, um die Jahresabschlüsse nicht in den Unternehmensregistern veröffentlichen zu müssen.
Es geht um gewaltige Summen
Zudem müssen Unternehmen nicht zwingend darlegen, wer die eigentlichen Eigentümer sind. Davon profitiert auch die organisierte Kriminalität, die mithilfe von Strohmännern Scheinfirmen gründet. Kai Bussmann, Professor in Halle-Wittenberg, schätzt das Geldwäschevolumen in Deutschland auf über 100 Milliarden Euro jährlich.
Während Finanzminister Wolfgang Schäuble auf internationaler Ebene den Steueroasen den Kampf ansagt, schützt er nach Ansicht von Experten im eigenen Land die Steuerhinterzieher und -vermeider. Dies gilt auch für global agierende Konzerne, die geschickt Gewinne und Verluste zwischen Staaten hin- und herschieben. So zahlte die US-Kaffeehauskette Starbucks, die in Deutschland 150 Geschäfte hat und dabei pro Jahr über 100 Millionen Euro Umsatz erzielt, zwischen 2002 und 2012 keinen Cent Ertragsteuer.
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