„Angela Merkel fehlt der Politik“

Der Kieler Ministerpräsident Daniel Günther über die AfD, die Wehrpflicht und Tiktok – und welchen Fehler Friedrich Merz nicht machen sollte

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Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hat seine Partei aufgefordert, sich wieder stärker an der Politik der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel zu orientieren. © Christian Charisius/dpa

Daniel Günther hat geschafft, wovon viele in der CDU träumen: Die AfD ist in Schleswig-Holstein wieder aus dem Parlament geflogen. Was rät der Kieler Ministerpräsident seinem Parteichef Friedrich Merz, der an diesem Montag in Berlin beim Parteitag der CDU zur Wiederwahl steht?

Herr Günther, Sie waren nie ein Fan von Friedrich Merz. Hat sich das inzwischen geändert?

Studierter Politologe

Daniel Günther (50) ist seit 2017 Ministerpräsident von Schleswig-Holstein.

Der gebürtige Kieler studierte in seiner Heimatstadt Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Psychologie. Er arbeitete zunächst für eine Wirtschaftsförderungsgesellschaft.

Seine politische Laufbahn begann der CDU-Politiker als Ratsherr in Eckernförde, seit 2009 gehört er dem Landtag an. Günther ist Katholik, verheiratet und Vater zweier Töchter. max

Daniel Günther: Wir arbeiten eng zusammen – und ich finde, er macht seine Arbeit als Parteichef sehr gut. Wir haben teilweise unterschiedliche Auffassungen, aber das macht eine Volkspartei, die 40 Prozent der Menschen erreichen will, auch aus.

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Von
Julia Emmrich
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Merz scheint als Kanzlerkandidat der Union gesetzt. Gibt es ein Szenario, das die Lage ändern würde?

Günther: Friedrich Merz ist ein erfolgreicher Partei- und Fraktionsvorsitzender. Wir haben vereinbart, dass wir uns Zeit nehmen mit der Entscheidung bis nach den Landtagswahlen im Herbst.

Wenn man die Deutschen fragt, finden sie Markus Söder und Hendrik Wüst besser als Merz. Sollte das der Union zu denken geben?

Günther: Die Bundestagswahl ist noch viel zu weit entfernt, als dass die Menschen sich mit dieser Personalie auseinandersetzen. Wir werden eine Kandidatin oder einen Kandidaten aufstellen, von der oder dem wir überzeugt sind, dass wir die Bundestagswahl gewinnen werden. Und CDU und CSU werden geschlossen sein. Eine Situation wie bei der letzten Bundestagswahl, als Markus Söder Armin Laschet auch nach dessen Nominierung noch einen Knüppel nach dem anderen zwischen die Beine geworfen hat, wird sich nicht wiederholen.

Was kann Merz von Ihnen lernen? Wie man die AfD kleinhält?

Günther: Wir zeigen in Schleswig-Holstein über die Parteigrenzen hinweg, dass man die AfD auch wieder aus Parlamenten rausdrängen kann - wir pflegen einen konstruktiven und persönlichen Stil mit dem Willen zur Zusammenarbeit. Und als Nord-CDU sind wir erfolgreich mit einem Kurs der Mitte und, indem man die Sorgen der Leute anspricht, Probleme löst und sie sprachlich nicht dramatisiert. Ich bin mir sicher, dass dieser Kurs hilft, Radikale aus den Parlamenten rauszuhalten.

Was ist für Sie Leitkultur – und warum brauchen wir so etwas?

Günther: Ich habe mit dem Begriff Leitkultur nie gefremdelt. Für mich bedeutet Leitkultur, dass es einen Leitfaden gibt von verbindlichen Werten, die nicht verhandelbar sind. Dazu gehört die Gleichberechtigung von Frauen oder die religiöse Toleranz. Es ist für eine Gesellschaft wichtig, dass man neben den Gesetzen auch verbindliche Werte hat, die von allen akzeptiert werden. Denjenigen, die das ablehnen, muss man signalisieren, dass sie nicht zu uns passen. Wer das Kalifat fordert, gehört nicht zu Deutschland.

Die AfD verliert – die Union gewinnt nicht. Sie stagniert bundesweit bei 30 Prozent. Was muss passieren?

Günther: Die Ampel hat in der Bevölkerung einen miserablen Ruf. In einer solchen Lage müsste die Union eigentlich besser dastehen als im Moment. Daran arbeiten wir. Die Leute erwarten neben Kritik an der Ampel konkrete Ideen, was wir anders machen werden. Dem dient das Grundsatzprogramm. Wenn es uns dann wieder gelingt, unsere Themen zu kommunizieren, können wir bei der Bundestagswahl auch wieder 40 Prozent erreichen.

In der Merkel-Zeit haben sogar Leute aus dem Mitte-Links-Milieu CDU gewählt. Mit dem konservativen Kurs unter Merz wird das nicht klappen…

Günther: Es stimmt: Viele, die unter Merkel CDU gewählt haben, erreichen wir im Moment nicht – aber sie sind nicht unerreichbar. Es gibt zum Beispiel viele unzufriedene Grünen-Wähler, die durchaus wechselbereit wären. Wir sollten sämtliche Wählerinnen und Wähler, die wir unter Angela Merkel angesprochen haben, an uns binden. Angela Merkels Kurs der Mitte war ihr Erfolgsrezept.

Angela Merkel hat sich komplett zurückgezogen. Fehlt sie – auch Ihnen persönlich?

Günther: Angela Merkel fehlt der Politik insgesamt. Vor allem ihr kluger Blick auf das, was zu tun ist. Ich habe bei ihr immer bewundert, wie sie Probleme gelöst hat. Sie ist als Naturwissenschaftlerin die Dinge immer sehr strukturiert angegangen, sie weiß, wie man Lösungsschritte plant. Mit dem Blick auf die aktuelle Bundesregierung könnten wir wieder mehr davon gebrauchen.

Und persönlich?

Günther: Ich würde mich freuen, wenn sie häufiger dabei wäre. Ich habe aber auch großes Verständnis dafür, dass sie sagt, ‚ich habe meine Aufgabe erledigt‘.

Was muss Parteichef Merz machen, damit es in Umfragen mit den Frauen besser läuft? Reicht es, dass seine Ehefrau im Interview von „Liebe auf den ersten Blick“ spricht?

Günther: (lacht) Ich finde es immer schwierig, Ratschläge von außen zu geben. Für mich gilt generell: In der Politik ist es wichtig, so zu sein wie man ist. Man sollte sich nicht verstellen und nicht versuchen, sich ein neues Image zu geben. Er ist Friedrich Merz, er muss sich nicht anders verkaufen. Ich bin auch immer ich selbst. Alles andere ist doch viel zu anstrengend!

Bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland kämpft die CDU gegen die AfD. Die Regierungsbildung dürfte schwerwerden. Manche denken über eine Tolerierung durch die Linke nach. Sie haben das schon 2018 vorgeschlagen. Ist das im Jahr 2024 auch eine Option?

Günther: Um das klarzustellen: Ich habe mich nie für eine Koalition mit der Linken ausgesprochen. Auch, wenn das immer mal wieder anders suggeriert wird. Aber: Die CDU ist eine staatstragende Partei und muss deswegen immer bereit sein, Verantwortung zu übernehmen, auch in den schwierigsten Konstellationen. Auf eine solche Situation müssen wir uns gut vorbereiten.

Die Thüringen-CDU hat zweimal mit Stimmen der AfD Gesetze geändert. Die Parteispitze in Berlin findet das offenbar in Ordnung. Sie auch?

Günther: Nein. Wir sagen in Schleswig-Holstein ganz klar: Wenn man weiß, dass man eine Mehrheit nur bekommen kann, wenn die AfD zustimmt, dann darf eine solche Initiative nicht gestartet werden. Dafür muss man sich demokratische Partner mit ins Boot holen. Das gilt für mich auf allen politischen Ebenen.

Gefahren für die Demokratie drohen nicht nur im Innern. Sie fordern jetzt die Rückkehr zur Wehrpflicht...

Günther: Wir brauchen die Wehrpflicht, um auf Dauer genug Personal für die Bundeswehr zu rekrutieren. Die Wehrpflicht muss mittelfristig wieder eingesetzt werden – 2030 wäre es zu spät. Ein Beispiel: Bei der Marine kann fast jede zweite freie Stelle nicht mehr besetzt werden. Wir werden uns auf dem Parteitag dafür einsetzen, dass die CDU sich im Grundsatzprogramm für die Wehrpflicht ausspricht.

Wie soll es konkret laufen?

Günther: Es kann nicht darum gehen, wie früher ganze Jahrgänge einzuziehen. Dafür sind die Strukturen aktuell nicht vorhanden. Man könnte sich am schwedischen Modell orientieren, nach dem alle 18-Jährigen eines Jahrgangs angeschrieben werden und einen entsprechenden Fragebogen ausfüllen müssen. Die geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten werden dann zur Musterung geladen. In Schweden wird dadurch der Bedarf an Soldatinnen und Soldaten allein aus Freiwilligen gedeckt. Das kann auch ein Modell für uns sein. Es muss natürlich verfassungskonform ausgestaltet sein. In einem zweiten Schritt muss die Wehrpflicht dann mit der allgemeinen Dienstpflicht auf eine neue Basis gestellt werden.

Sogar der Kanzler ist inzwischen auf Tiktok. Wann machen Sie mit?

Günther: Bei Tiktok sind Millionen junge Menschen, die vor allem über dieses Netzwerk erreichbar sind. Wir dürfen dort den Extremisten und Radikalen nicht den Raum überlassen und müssen als Demokratinnen und Demokraten auch Flagge zeigen. Also werde ich vermutlich auch bald auf Tiktok anzutreffen sein.

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