Interview mit Politologen Marc Debus

Altbauwohnung zu vergeben

Von 
Caroline Blarr
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Mit Joachim Gaucks Verzicht auf eine zweite Amtszeit als Bundespräsident ist der Wettbewerb eröffnet, wer 2017 in das Schloss Bellevue in Berlin als Amtssitz des Präsidenten einziehen wird.

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Das Rennen ist eröffnet: Im Februar 2017 wählt die Bundesversammlung einen Nachfolger für Joachim Gauck. Politologe Marc Debus über die machtpolitischen Ränkespiele, das Kandidatenkarussell und die Nachwehen der österreichischen Bundespräsidentenwahl.

Herr Debus, 70 Prozent der Deutschen wünschten sich zuletzt, dass Joachim Gauck weitermacht. Was hat er richtig gemacht?

Marc Debus: Sein Markenzeichen war seine Geradlinigkeit. Er hat sich wenig um Mehrheitsmeinungen in der Bevölkerung oder der politischen Elite geschert. Er war unangepasst und hat immer wieder Thesen vertreten, die nicht populär waren.

Zum Beispiel?

Debus: Ich denke, dass unter anderem sein Engagement in der Außen- und Sicherheitspolitik in Erinnerung bleiben wird. Mit seinem Werben für eine aktivere Rolle Deutschlands in der Welt und für mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr im Ausland hat er ein unbeliebtes, schwieriges Thema auf die Agenda gesetzt.

Schauen wir nach vorn. Die politische Gemengelage ist verzwickt: Die Suche nach einem Nachfolger wird den Bundestagswahlkampf eröffnen - mehr als 15 Monate vor der Wahl. Droht da jetzt ein monatelanges parteitaktisches Machtspiel?

Debus: Die Gefahr ist da. Jeder Parteivorsitzende versucht schon aus einem gewissen Eigeninteresse heraus, einen mehrheitsfähigen Kandidaten zu finden. So eine Personalie bietet die Chance, die eigene Position in der Partei zu stärken. Und dann kann ein glücklicher Treffer natürlich mobilisierend für das Bundestagswahljahr 2017 wirken.

Seit Gustav Heinemanns Wahl im Jahr 1969 durch die Stimmen von SPD und FDP gilt die Bundespräsidentenwahl als Weichenstellung für künftige Koalitionen. Kann Gaucks Entscheidung nicht auch eine Chance sein, weil sie die Parteien zwingt, aus der Deckung zu kommen?

Debus: Das ist sicher so interpretierbar. Aber es liegt auch ein Risiko in solchen Machtspielen. Rot-Rot-Grün käme sehr nah an die 50 Prozent in der Bundesversammlung. Schwieriger wäre es sicher, einen Kandidaten zu finden, der für alle tragbar ist. Man darf den rechten Flügel in der SPD nicht vergessen. Die Frage ist, findet sich jemand, der die große Spannweite abdeckt? Das halte ich für eher unwahrscheinlich. Dazu kommt, dass ein Signal Richtung rot-rot-grünes Bündnis ein nicht zu unterschätzendes Mobilisierungspotenzial für die CDU im Bundestagswahlkampf nach sich ziehen würde.

Schäuble, Lammert, von der Leyen, Steinmeier: Wer hat die größten Chancen im Kandidatenkarussell?

Debus: Es war in der Vergangenheit häufig so, dass ein Name, der früh genannt wurde, auch früh wieder aus dem Spiel war. Es kann gut sein, dass noch irgendwo ein sogenanntes "dark horse", wie ein Kompromisskandidat im US-Präsidentschaftswahlkampf heißt, aus dem Hut gezaubert wird. Horst Köhler war ja auch so ein Fall, obwohl damals CDU/CSU und FDP die Mehrheit in der Bundesversammlung hatten. Von den genannten Namen ist sicher Schäuble jemand, der zumindest in der Unionsfraktion große Rückendeckung genießt, aber realistischerweise erst im dritten Wahlgang eine Chance hätte. Steinmeier ist für die Union kaum tragbar als ehemaliger Kanzlerkandidat der SPD. Die Kräfteverhältnisse sprechen für sich. Warum sollte die Union als weitaus stärkste Partei in der Bundesversammlung jemandem aus der SPD den Vorzug geben?

Die Stimmenverhältnisse in der Bundesversammlung sind unübersichtlich. Da sind zum Beispiel die mehr als 60 Stimmen der Liberalen und der AfD. Zufallsmehrheiten sind im dritten Wahlgang, in dem für eine gültige Wahl eine einfache Mehrheit reicht, nicht ausgeschlossen. Wie können die Parteien verhindern, dass am Ende die Abgesandten der AfD den Ausschlag geben?

Debus: Das Szenario ist nicht unwahrscheinlich. Die AfD hat mit Albrecht Glaser ja bereits einen Kandidaten benannt. Wenn er über drei Wahlgänge im Spiel bleibt, sind die 30 AfD-Stimmen verteilt. Wenn er sich aber zwischen zweitem und drittem Wahlgang zurückzieht, könnte potenziell ein Unionskandidat mit den Stimmen der AfD zum Bundespräsidenten gewählt werden, etwa gegen einen rot-rot-grünen Kandidaten oder auch gegen ein Bündnis von SPD, Grünen und FDP. Wenn es so weit kommt, könnte ein CDU/CSU-Kandidat die Wahl höchstens ablehnen. Aber eine Bundespräsidentenwahl verläuft häufig ohnehin nach etwas anderen Regeln. Da gibt es immer wieder Überraschungen. Bei der Wahl von Horst Köhler 2004 etwa gab es im Lager der Union einige Abweichler zugunsten von Gesine Schwan. Das gleiche gilt für die Wahl von Christian Wulff 2010.

Wäre nach den Erfahrungen in Österreich und dem Erstarken der AfD in den vergangenen Monaten aus Gründen der Parteiräson nicht ein überparteilicher Kandidat nötig, um die politische Kultur in Deutschland zu stärken?

Debus: Der Anreiz ist auf jeden Fall vorhanden. Wir beobachten durchaus eine Verrohung im politischen Diskurs. Ich würde es nicht ausschließen, dass ein Konsenskandidat mit Distanz zum parteipolitischen Tagesgeschäft gefunden wird. Parteitaktik, Strategie und der Wille zum Machterhalt stehen da eben auf der anderen Seite der Rechnung.

Es gibt immer wieder Befürworter einer Direktwahl des Bundespräsidenten. Hat sich diese Diskussion nach Österreich erst mal erledigt?

Debus: Österreich hat schon ganz gut gezeigt, welche Gefahren von Direktwahlen ausgehen können. Die Wähler haben den Urnengang genutzt, um den dort regierenden Parteien SPÖ und ÖVP einen massiven Denkzettel zu verpassen. Langfristige Konsequenzen spielten da eher keine Rolle. Die Rufe nach Direktwahl werden dieses Mal sicher weniger laut ausfallen.

Winfried Kretschmann wird, ähnlich wie der Grüne Alexander van der Bellen, über Parteigrenzen hinweg akzeptiert. Ist das eine realistische Option?

Debus: Ich denke eher nicht. Für das Überleben der neuen baden-württembergischen Koalitionsregierung aus Grünen und CDU wäre ein Wechsel Kretschmanns höchst riskant. Auch hier stellt sich die Frage: Warum sollte die Union den Grünen ein solches Geschenk machen? Und es muss natürlich berücksichtigt werden, welche Konsequenzen diese Entscheidung für das wahltaktische Verhalten bei der Bundestagswahl 2017 hätte. Ein Bekenntnis zu Schwarz-Grün könnte die AfD stärken, weil sich potenzielle CDU-Wähler von der Union abwenden.

Welche Partei trägt die größten Risiken im Kandidatenpoker?

Debus: Die Sitzverteilung in der Bundesversammlung lässt Prognosen schwer zu. Vor allem, weil sich zwischen zweitem und dritten Wahlgang noch mal alles verschieben könnte. Wenn es die Union als klar stärkste Kraft in der Bundesversammlung nicht schafft, einen Kandidaten durchzubekommen beziehungsweise im Vorfeld eine Mehrheit zu sondieren, stände sie als Verlierer da. Das würde auch auf Angela Merkel zurückfallen, die bei der Auswahl der Kandidaten mit Köhler und Wulff ohnehin ein gebranntes Kind ist. Und Gauck war nicht Merkels Wunschkandidat. Sie muss dieses Mal liefern.

Was könnte dazwischenkommen?

Debus: Die Union muss die strategischen Schachzüge der anderen sehr genau beobachten und das momentan schlechte Verhältnis mit der CSU berücksichtigen. Der größte Fehler der SPD bei der Bundespräsidentenwahl 1994 war, an Johannes Rau festzuhalten, der dann im dritten Wahlgang gegen Roman Herzog gescheitert ist. Die SPD hätte die FDP-Kandidatin Hildegard Hamm-Brücher unterstützen können und so die Chance gehabt, die CDU/CSU-FDP Koalition zu spalten. Die SPD-Führung hatte fälschlicherweise auf die Karte gesetzt, dass eine Niederlage des in der Bevölkerung enorm beliebten Rau der Koalition schadet.

Marc Debus

  • 1978 geboren, studierte Marc Debus (Bild) an den Universitäten Marburg und Mannheim.
  • 2004 Auslandsaufenthalt an der Universität Michigan in Ann Arbor.
  • Promotion 2006 an der Universität Konstanz in Politischen Wissenschaften.
  • 2011 Professur an der Universität Oldenburg, 2012 an der Universität Mannheim.
  • Seit Anfang 2014 Leiter des Arbeitsbereichs "Politische Systeme Europas und ihre Integration" am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES). (malo)

Ehemalige Mitarbeit

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