Regierung

Absturz mit Ansage

Herbe Verluste für SPD, Grüne und FDP: Der Ampel stehen schwere Wochen bevor. Olaf Scholz droht eine neue K-Debatte

Von 
Jan Dörner
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Nachdenklich: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Wahlsonntag in Potsdam. © Kay Nietfeld/dpa-Pool/dpa

Brüssel/Berlin. Um 18 Uhr entfährt einigen Sozialdemokraten ein qualvolles Seufzen. Danach ist es geisterhaft still im Atrium des Willy-Brandt-Hauses. Die SPD steht vor einem historisch schlechten Ergebnis. Eine „harte Niederlage“, räumt SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ein. „Für uns ist das ein ganz bitteres Wahlergebnis.“

Weniger als ein Drittel der Wählerinnen und Wähler hat sich dafür entschieden, bei der Europawahl einer der Ampel-Parteien ihre Stimme zu geben. Das Wahlergebnis ist ein Desaster für die Koalition, vor allem für SPD und Grüne – und ein Absturz mit Ansage.

Bei der FDP sind die Ansprüche inzwischen so gesunken, dass die Liberalen dem Wahlausgang etwas Positives abgewinnen können. „Wir haben ein Ergebnis gehalten“, freut sich FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. „Das ist eine wirklich, wirklich gute Nachricht.“

Die Europawahl als bundesweite Abstimmung ist ein Stimmungstest für die Bundestagswahl im kommenden Jahr – so war das auch im Kreis der Wahlkampfmanager der Parteien gesehen worden. Bei der Analyse des Wahlabends sind daher nicht nur die Ergebnisse der Europawahl vor fünf, sondern auch der Bundestagswahl vor drei Jahren von Bedeutung.

Die Partei von SPD-Kanzler Olaf Scholz ist an diesem Abend nur drittstärkste Kraft und liegt deutlich hinter der Union und sogar der AfD. Die Sozialdemokraten haben wohl noch schwächer abgeschnitten als bei der Europawahl 2019, als die SPD mit 15,8 Prozent ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis bei einer Europawahl holte. Sie liegen zudem deutlich unter ihrem Ergebnis der siegreichen Bundestagswahl 2021 (25,7 Prozent). CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann wittert die Schwäche des Kanzlers und fordert Scholz am Wahlabend auf, die Vertrauensfrage zu stellen.

Die FDP hat mit ihrer bekanntesten Politikerin als Spitzenkandidatin, der kantigen Strack-Zimmermann, ein Ergebnis geholt, das bei der nächsten Bundestagswahl knapp für den Wiedereinzug in den Bundestag reichen könnte. Immerhin, die Umfragen der letzten Zeit hatten auch darunter gelegen. Bei der Bundestagswahl 2021 hatte die FDP allerdings noch mehr als elf Prozent der Stimmen geholt.

Für die Grünen ist der Abend eine heftige Enttäuschung. „Das ist nicht der Anspruch, mit dem wir in diese Wahl gegangen sind“, sagt Parteichefin Ricarda Lang ratlos. Die Grünen haben nicht nur im Vergleich zu 2019 massiv an Zuspruch verloren, sie liegen auch unterhalb ihres Ergebnisses der Bundestagswahl 2021. Trotz immer häufiger auftretender Wetterkapriolen und Überschwemmungen spricht die Partei mit ihrem Kernthema Klimaschutz offenbar nur einen harten Kern an, der verlässlich zu ihnen steht.

Die Debatte um das Heizungsgesetz haftet der Partei an – das sind auch schlechte Nachrichten für den dafür verantwortlichen Wirtschaftsminister Robert Habeck, dem Ambitionen auf die grüne Kanzlerkandidatur nachgesagt werden. Das Ziel Kanzleramt scheint zumindest an diesem Abend in weiter Ferne.

„Wir müssen bei uns selbst auf Fehlersuche gehen“

Ernste Gedanken müssen sich aber auch die SPD-Strategen machen: Ihre Kampagne war erkennbar ein Testlauf für den Bundestagswahlkampf. Neben der im Wahlkampf blass gebliebenen Spitzenkandidatin Katarina Barley blickte an Kreuzungen und Hauptverkehrsstraßen der Kanzler den Bürgerinnen und Bürgern von den Wahlplakaten entgegen. „Wir müssen bei uns selbst auf die Fehlersuche gehen“, räumt Wahlkampfmanager Kühnert ein.

Die Slogans waren auf Olaf Scholz und das von der Parteizentrale gewünschte Image des Kanzlers zugeschnitten: „Klarer Kurs in stürmischen Zeiten“, hieß es da oder „Besonnen handeln“. Die Sätze sind die von einer Werbeagentur auf den Punkt gebrachte Essenz der oft wesentlich komplizierteren Beschreibungen, die Olaf Scholz selbst von seinem Kurs besonders in der Ukraine-Politik liefert. Die auch in der SPD geführte Debatte, ob nicht doch der beliebte Verteidigungsminister Boris Pistorius der bessere Kanzlerkandidat wäre, bekommt mit dem Wahlausgang neue Nahrung, auch wenn Kühnert versucht, die Diskussion auszubremsen.

Dass aber Scholz nun erkennbar einen anderen Gang einlegt, ist nicht zu erwarten. Schon bei früheren Tiefschlägen für Partei oder Koalition hätten sich Beteiligte gewünscht, dass der Kanzler nicht nur in der nächsten Regierungserklärung einmal emotional, nahbar und empathisch wirkt, sondern grundsätzlich einen anderen Politikstil pflegt. Vor einigen Monaten war innerhalb des Ampel-Bündnisses zudem die Rede davon, ob der Kanzler nicht mit einer Kabinettsumbildung noch einmal frischen Wind erzeugen könnte.

Doch das ist nicht der Stil von Olaf Scholz. Stoisch zog der Kanzler nach all den kleinen und großen Krisen seinen Stiefel durch, was bei anderen Sozialdemokraten zu Schulterzucken führte.

Aus Sicht des Kanzlers ist sein bestes Argument, wenn er gut regiert. Dann werde er vor der nächsten Wahl schon wieder das Vertrauen der Wähler haben, lautet die Erklärung, besonders wenn es gegen den bisweilen sprunghaften CDU-Chef Friedrich Merz gehe.

Doch mit dem guten Regieren ist das so eine Sache: Der Koalition stehen schwere Wochen bevor.

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