Berlin. Es ist einer der Fälle, die Alltag sind in Deutschland. Eine Angestellte in einem Einzelhandelsgeschäft soll befördert werden – zur Managerin des Geschäfts. Auch die Entfristung wird ihr versprochen. Kurz darauf erzählt sie ihrem Bereichsleiter, dass sie schwanger ist. Die Firma lässt ihren Vertrag auslaufen, entfristet nicht. Kurz vor dem Mutterschutz steht die Frau faktisch ohne Arbeit da. „40 Prozent aller Eltern geben an, dass sie Diskriminierung erleben. Kinder bekommen ist karriereschädlich“, sagt Ferda Ataman.
Seit Juli ist die Publizistin Ferda Ataman Beauftragte des Bundes für Antidiskriminierung. Ihre Bundesstelle hat Fälle wie diesen gesammelt. Noch ein Beispiel: Ein lesbisches Ehepaar besichtigt eine Wohnung, reicht alles ein. Gehaltsnachweise inklusive. Der Vermieter gibt den Frauen eine mündliche Zusage, die Freude ist groß. Dann schreiben die Frauen, dass sie keine WG gründen – sondern ein Paar sind und ein Kind bekommen werden. Der Vermieter zieht die Zusage zurück. Die Begründung laut Antidiskriminierungsstelle: Das lesbische Paar passe „dann doch nicht so in die Hausgemeinschaft“.
5617 Fälle von Diskriminierung wurden der Stelle des Bundes 2021 gemeldet – in 37 Prozent waren dies rassistische Ausgrenzungen, in 32 Prozent wurden Menschen mit Behinderung und chronischen Krankheiten diskriminiert. Eine ungerechtfertigte Benachteiligung aufgrund des Geschlechts macht 20 Prozent aus, eine aufgrund des Alters zehn Prozent.
Viele suchen keine Hilfe
„Antidiskriminierung ist keineswegs nur für Minderheiten da“, hob Ataman hervor. Zu oft werde das Thema als Identitätspolitik etwa von Menschen mit Migrationsgeschichte abgetan. Dabei seien eben auch Eltern und ältere Menschen von Ausgrenzung betroffen. Es gebe Millionen Fälle, sagt die Beauftragte Ataman. Allerdings herrscht bei der genauen Zahl große Unsicherheit. Was sich sagen lässt: Seit 2019 ist die Zahl der Fälle rassistischer Diskriminierung noch einmal angestiegen.
Die Zahl der Anfragen bei der Stelle des Bundes war insgesamt auch aufgrund der Corona-Pandemie in die Höhe geschossen. Beispielsweise meldeten sich Menschen mit Behinderung, weil sie angesichts der Schutzmaske Atemprobleme befürchtet hatten – und in Streit mit ihrem Arbeitgeber geraten waren. 2021, mitten in der Corona-Pandemie, musste die Bundesstelle ihre telefonische Hotline sogar einstellen, weil die Anfragen so in die Höhe geschossen waren.
Und auch heute sagt Ataman: Die Zahl der gemeldeten Fälle bei der Bundesstelle sei „alarmierend“. Doch es gibt keine wissenschaftlichen Studien. Einzig: repräsentative Umfragen. Ataman beruft sich auf Erhebungen, wonach 16 Prozent der Befragten in den vergangenen fünf Jahren Diskriminierung erlebt haben wollen. Laut Ataman wären dies hochgerechnet 13 Millionen Menschen in Deutschland. Andere Umfragen nennen noch höhere Zahlen.
Gerade Menschen mit Migrationsgeschichte oder Menschen mit Behinderungen erleben nach eigenen Angaben häufiger Benachteiligungen im Alltag oder Berufsleben. Viele würden aber keine Hilfe suchen. Aus Scham, aus Angst – oder weil sie nicht wissen, dass es diese Angebote überhaupt gibt. Noch immer gibt es laut Verband der Beratungsstellen in vielen Landkreisen keine oder kaum Hilfe vor Ort.
Die Stelle der Bundesbeauftragten berät die Menschen. Handelt es sich wirklich um Diskriminierung? Oder ist ein Mensch doch von einer Beleidigung oder Nötigung im Rahmen des Strafgesetzbuches betroffen? Kann ein Anwalt helfen? Bei all diesen Fragen hilft die Bundesstelle.
Die meisten Erfahrungen mit Benachteiligungen machen Menschen in ihrem Berufsalltag. Viele aber auch etwa bei der Wohnungssuche. Ein Großteil erlebt Diskriminierung auf dem Amt oder bei einer Polizeikontrolle – etwa wenn Menschen allein aufgrund ihrer Hautfarbe von einer Streife angehalten werden.
Debatte bei Nominierung
Allerdings sind diese Fälle mutmaßlicher staatlicher Ausgrenzung nicht vom Gleichstellungsgesetz gedeckt. Eine Lücke im Recht, wie manche Fachleute beklagen. In einigen Bundesländern gibt es kein Pendant zum Gleichstellungsgesetz des Bundes. Dabei sind Polizei, Schule und Ämter genau das: Ländersache.
Ataman will erreichen, dass Verbände im Namen von Betroffenen klagen können. Bisher würden die mutmaßlich Diskriminierten das Risiko und die möglicherweise anfallenden Kosten für Gerichtsverfahren allein schultern. Zudem können sich Menschen nach dem Gleichstellungsgesetz nur innerhalb einer Frist von acht Wochen gegen eine Diskriminierung wehren. Dies sei viel zu kurz, moniert Ataman.
Viele Jahre war die Stelle der Antidiskriminierungsbeauftragten unbesetzt. Nun leitet Ferda Ataman die Geschäfte. Sie ist in Stuttgart geboren, kommt aus einer säkularen Familie aus der Türkei, arbeitet seit Jahren zum Thema Migration.
Bei ihrer Nominierung gab es eine Debatte, bei ihrer Ernennung erreichte sie im Bundestag nur eine knappe Mehrheit. Konservative warfen Ataman vor, in ihren teils provokanten Kolumnen selbst Deutsche diskriminiert zu haben. Auch Verschwörungsideologen und Rechtsextremisten wetterten gegen Ataman.
Ob sie die Richtige sei für den Posten, fragt ein Journalist nun bei der Vorstellung des Jahresberichts. „Ja“, sagt Ataman. Es sei wichtig, den Finger in die Wunde zu legen. Dass es aufgrund ihrer Personalie nun eine große Debatte über Diskriminierung gegeben habe, sei viel wert. Demokratietheoretisch, sagt Ataman.
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