Interview

Wie eine Aufsteigerin aus Mannheim die Freien Wähler pusht

Sylvia Rolke ist seit März Landesvorsitzende der Freien Wähler. Die Mannheimerin hat hohe Ziele: Sie will 2026 in den Landtag. Deshalb ist sie froh, dass die alte Garde weg ist. "Das war ein müder Haufen", sagt sie

Von 
Walter Serif
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Sylvia Rolke will mit ihrer Partei 2026 in den Landtag. © Christoph Blüthner
Frau Rolke, sind Sie machtgeil?

Sylvia Rolke: Wie kommen Sie denn darauf? Nein, das Gegenteil ist der Fall. Die Tatsache, dass ich immer eine Teamplayerin sein will, wird mir oft als Schwäche ausgelegt und gegen mich ausgespielt.

Klaus Wirthwein, der frühere Landesvorsitzende der Freien Wähler, hat die Partei im Streit verlassen. Als Grund nannte er die „Machtgeilheit“ einer Gruppe aus Mannheim. Damit hat er ja auch Sie gemeint, oder?

Rolke: Er hat auch behauptet, es hätte eine „aggressive Stimmung“ in Mannheim geherrscht. Als meine Mitstreiter und ich das gelesen haben, haben wir uns gefragt: Waren wir auf einem anderen Landesparteitag, oder was haben wir verpasst? In Wirklichkeit war es so, dass Wirthwein unseren Landesschatzmeister verleumdet hat, der hat ihn dann angezeigt – und Wirthwein hat kalte Füße bekommen und die Flucht ergriffen. Das war der Hauptgrund.

Sie haben ihn also nicht von seinem Chefposten weggemobbt?

Rolke: Nein, er ist ja gar nicht gegen mich angetreten.

Er spricht aber von einer Intrige.

Rolke: Wissen Sie, ich kann nichts dafür, dass Wirthwein und seine Verbündeten keine Posten mehr im Vorstand haben. In einer Demokratie gibt es eben auch mal Kampfabstimmungen. Ich habe bei meiner Wahl zur Landesvorsitzenden 44 Stimmen bekommen. Da ist alles sauber abgelaufen.

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Also gut: Wirthwein & Co sind weg. Ist damit wieder Ruhe eingekehrt?

Rolke: Naja. . . Sie sind weg, aber irgendwie noch immer da. Denn sie haben Verbündete, die noch Parteimitglieder sind. Und die machen mir das Leben nicht unbedingt leicht.

Sie haben also keinen leichten Job, weil es überall Störfeuer gibt?

Rolke: Ja.

Macht es Spaß in einem solchen Intrigantenstadl?

Rolke: Ich habe nicht damit gerechnet, dass es so schwierig wird. Ich bin ja in die Politik wie die Jungfrau zum Kind gekommen. Als ich 2019 in die Politik einstieg und dann 2021 Bezirksbeirätin wurde, hätte ich mir niemals ausgemalt, dass ich nur ein paar Jahre später Landesvorsitzende werden würde. Ich hatte damals ja nicht einmal einen deutschen Pass …

… Sie sind in Kenia geboren und haben bis Sechs mit ihren Eltern in Burundi und Peru gelebt …

Rolke: … genau, mein Vater ist Schweizer und meine Mutter Französin. Der Bezirksbeirat ist für mich und andere politische Mitstreiter noch immer so eine Art Übungsplatz. Ich habe mich da in die Bildungspolitik eingearbeitet und mein großes Thema gefunden. Ich war zwar eine gute Schülerin, war es aber nicht gerne. Und auch meine Kinder mögen die Schule nicht besonders. Ich finde, dass wir die Schule komplett neu denken müssen. Die Lernmethoden stammen ja noch aus Preußen und sind nicht mehr zeitgemäß. Mein Bestreben war deshalb: Wenn du etwas in der Politik gestalten willst und kannst, dann mache den Kindern eine schönere Schule.

Jetzt, da Sie merken, wie schwierig alles ist: Bedauern Sie, dass sie jetzt Landesvorsitzende sind?

Rolke: Nein. Wäre ich nicht angetreten, wäre die alte Garde noch immer am Ruder. Und das war wirklich ein müder Haufen.

Da haben Sie ein bisschen Musik hineingebracht?

Rolke: Nicht nur ein bisschen, sondern sehr viel.

Nächstes Jahr stehen in Baden-Württemberg Kommunalwahlen an. Ist es da nicht ein Riesenproblem, dass es die Freien Wähler im Südwesten gleich doppelt gibt?

Rolke: Ja, das sehe ich auch so. Das wird vielleicht noch zehn Jahre dauern, bis es sich ändert. Und das sorgt natürlich für Verwirrung. Im Prinzip hat der Streit 2010 begonnen …

… Bis zu diesem Zeitpunkt haben sich die Freien Wähler in Baden-Württemberg ein bisschen vollmundig als „größte kommunal-politische Kraft“ verstanden …

Rolke: … und die Teilnahme an Landtags-, Bundestags-, und Europawahlen abgelehnt. Vor 13 Jahren hat die Bundespartei beschlossen, auch bei diesen Wahlen anzutreten. Das hat in Baden-Württemberg zur Spaltung der Freien Wähler geführt.

Und deshalb gibt es jetzt die Freien Wähler im Südwesten gleich doppelt.

Rolke: Es gab dann auch noch einen Namensstreit, den wir vor Gericht gewonnen haben. Wir dürfen uns Landesvereinigung nennen, weil wir die ursprünglichen Freien Wähler sind, und die anderen dürfen sich Landesverband nennen.

Da blickt doch keiner mehr durch.

Rolke: Das befürchte ich auch. Fakt ist: Wir haben in Baden-Württemberg 1101 Gemeinden. Nur 100 davon gehören dem Landesverband an. Das heißt, wir als Landesvereinigung repräsentieren doch die große Mehrheit der Freien Wähler in Baden-Württemberg.

Ihre Konkurrenz hat aber mit 8000 Mitgliedern viel mehr Leute.

Rolke: Ja das stimmt. Wir wollen mit denen ja auch nicht auf kommunalpolitischer Ebene konkurrieren. Wir wollen nur, dass die Freien Wähler in jedem Wahlkreis vertreten sind.

Das heißt, die 100 Gemeinden des Landesverbandes sind für sie gegenwärtig tabu?

Rolke: Da halten wir uns jetzt erst einmal zurück. Wir wollen keinen Krieg. Kooperation schafft man nicht mit Konkurrenz. Wir wollen nur einen Verbund schaffen, der in den Kommunen, im Land, im Bund und in Europa eine starke politische Kraft darstellt.

Wie schätzen Sie denn Ihr Potenzial ein? In Bayern regieren die Freien Wähler mit, in Rheinland-Pfalz sitzen sie im Landtag in der Opposition – und in Baden-Württemberg laufen sie in den Umfragen unter der Rubrik „Sonstige“.

Rolke: Manchmal haben wir auch einen eigenen Balken. Wir stehen bei drei Prozent, da ist noch viel Luft nach oben. Ich sehe reelle Chancen, dass wir in den Landtag kommen. Das sind ja noch drei Jahre. Wir sind ein neues Team und sehr fleißig. Ok, das Störfeuer hatten wir in dem Maße nicht erwartet.

Waren Sie da ein wenig naiv?

Rolke: Ja, wahrscheinlich war ich gutgläubig und naiv. Ich bin eben keine Berufspolitikerin, die das schon seit vielen Jahren macht. Herr Spahn von der CDU ist schon mit 17 losgelaufen, um Politik zu machen. Deshalb bin ich wahrscheinlich immer naiver als die anderen, die nichts anderes in ihrem Leben gemacht haben als Politik. Aber dafür brauche ich mich nicht zu schämen.

Wem müssen die Freien Wähler denn die Stimmen abjagen, wenn sie in den Landtag kommen wollen? Der FDP oder der AfD?

Rolke: Weder noch. Ich sehe den Wähler, der frustriert ist und nicht weiß, wen er wählen will. Wir sind die Lobbyisten der Bürger.

Anders als die FDP?

Rolke: Die FDP setzt sich schon mehr für die Unternehmer ein. Aber wir sehen uns als Freie Wähler nicht als Konkurrenz für irgendeine andere Partei. Ich glaube aber, dass wir den Bürgerwillen noch am besten abbilden können, weil wir eine kleine Partei sind und nicht schon seit Jahren in der Regierung die Fäden ziehen und an den Geldtöpfen sitzen.

Das mag für Baden-Württemberg stimmen, aber in Bayern ist Ihr Bundesvorsitzender Hubert Aiwanger stellvertretender Ministerpräsident. Haben Sie nicht Angst, als politische Ziehtochter Aiwangers unter die Räder zu kommen?

Rolke: Wenn man den Hubert und mich zusammen sieht: Der Hubert spricht bayrisch, ich habe einen speziellen Dialekt aus französisch und kurpfälzisch. Der Hubert kennt sich in vielen Sachen besser aus als ich. Aber eine Sache verbindet uns: Der Gedanke, Gutes tun zu wollen. Da muss ich nicht seine Ziehtochter sein, außerdem ist seine Frau so alt wie ich, der Begriff passt also nicht.

Aiwanger ist nicht nur in Bayern umstritten. Sie sind auf gefrustete Wähler aus, er schwingt ja auch die populistische Keule. Klingt das manchmal nicht wie AfD-Sprech?

Rolke: Nein. Das stimmt nicht. Wir sind eine kleine Partei, da wollen uns einige in die verpönte rechte Ecke stellen, damit wir klein bleiben.

Jetzt drücken Sie aber mächtig auf die Tränendrüse. Letzte Frage: Bei der Landtagswahl treten Sie aber schon an?

Rolke: Natürlich.

Und falls es klappen sollte: Werden Sie dann auch Fraktionschefin?

Rolke: Jetzt wollen Sie mich aber locken. Also da antworte ich jetzt wie ein alter Profi: Warten wir’s mal ab.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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