Das Wichtigste in Kürze
- Hans-Ulrich Rülke sieht die Landtagswahl 2026 in Baden-Württemberg als entscheidend für die FDP an.
- Die AfD gewinnt an Zustimmung, doch Rülke glaubt, dass Lösungen Vertrauen schaffen.
- Rülke möchte Bürokratie abbauen und fordert mehr Unterstützung für Kommunen.
Mannheim. Im März 2026 wählt Baden-Württemberg einen neuen Landtag. Wenn die FDP die Fünf-Prozent-Hürde nicht packt, sieht Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke die Existenz seiner Partei gefährdet.
Herr Rülke, gehen Sie in Rente, wenn Sie die Landtagswahl verlieren?
Hans-Ulrich Rülke: Ob ich in Rente gehe, kann ich nicht versprechen. Aber klar ist: Dann ist meine Karriere auf landes- und bundespolitischer Ebene beendet.
Die FDP steht in den Umfragen schlecht da. Deshalb haben sie die Abstimmung im März 2026 zur „Mutter aller Wahlen“ hochstilisiert. Ist das nicht übertrieben?
Rülke: Überhaupt nicht. Baden-Württemberg ist das einzige Bundesland, in dem die FDP immer im Parlament vertreten war. Sie schneidet bei Bundestagswahlen in Baden-Württemberg in der Regel um 30 Prozent besser ab als im Bundesdurchschnitt. Wenn sie es in ihrem Stammland nicht in den Landtag schafft, glaubt doch niemand mehr, dass das noch irgendwo möglich ist ...
... zwei Wochen später müssen die Rheinland-Pfälzer wählen ....
Rülke: ... eben. Für uns ist das deshalb wirklich die Mutter aller Wahlen.
Da Winfried Kretschmann nicht mehr für die Grünen antritt, werden CDU-Herausforderer Manuel Hagel und Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir den Nachfolger unter sich ausmachen.
Rülke: Von einem Duell würde ich nicht ausgehen, für mich ist das schon entschieden.
Wirklich? Auch wenn die CDU in den Umfragen derzeit haushoch vor den Grünen liegt, kann bis nächstes Jahr doch noch viel passieren.
Rülke: Wenn im Formel-1-Rennen der Fahrer auf der Pole-Position den Zweiten nicht mehr im Rückspiegel sehen kann, ist die Sache doch in der Regel gelaufen.
Hagel und Özdemir sind jedenfalls bekannter als Sie. Wie wollen Sie da als Spitzenkandidat bei den Leuten durchdringen?
Rülke: Wenn ich durchs Land reise, treffe ich schon viele, die etwas mit mir anfangen können. Klar ist jedenfalls, das Abschneiden der FDP ist nicht ganz unwichtig. Gegenwärtig gibt es nach den Umfragen ja zwei Optionen: Schwarz-Grün oder eine Deutschland-Koalition aus CDU, SPD und der FDP.
Die AfD hat bei der Landtagswahl 2021 nur neun Prozent geholt. Jetzt sieht es in den Umfragen sogar so aus, also könne sie den Grünen Platz zwei abjagen.
Rülke: Das werden wir sehen. Die AfD war in der vergangenen Legislaturperiode in den Umfragen immer doppelt bis dreimal so stark wie wir. Am Wahltag lag die FDP vorm. Ich lasse mich von diesen Umfragen nicht beeindrucken. Warten wir’s mal ab.
Am Freitag will sich Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer mit dem AfD-Spitzenkandidaten Markus Frohnmaier ein Rededuell liefern. Was halten Sie denn davon?
Rülke: Ich will mich jetzt nicht in die Tübinger Kommunalpolitik einmischen.
Damit kommen Sie jetzt nicht davon.
Rülke: Wenn Herr Palmer glaubt, dass er die AfD mit diesem Rededuell entzaubern kann, dann soll er es versuchen. Ich glaube aber nicht, dass der Demokratie gedient ist, wenn ich jetzt durch meine Kommentierung dieses seltsame Rededuell zusätzlich aufwerte.
Kann man die AfD überhaupt entzaubern? Oder anders gefragt: Wie soll man denn mit der AfD umgehen?
Rülke: Man kann die AfD nicht in Rededuellen entzaubern. Winfried Kretschmann hat das 2016 auch mal versucht und mir hinterher gesagt: Das ist aussichtslos. Die Leute wählen die AfD aus dem Bauch heraus. Man kann sie deshalb nicht durch Argumente davon überzeugen, dass sie auf dem falschen Dampfer sind. Ich sitze schon seit vielen Jahren im Pforzheimer Gemeinderat. Die AfD ist dort mittlerweile die stärkste Kraft und hat 2016 bei der Landtagswahl auch ein Direktmandat gewonnen.
Wie in Mannheim.
Rülke: Ja. Die Leute sagen mir: Ich habe schon FDP, CDU und Grüne gewählt und probiere es jetzt mal mit der AfD. Aus Enttäuschung darüber, dass die anderen Parteien die Probleme nicht lösen und nach der Wahl alles anders machen, als sie versprochen haben.
Das sind also Protestwähler?
Rülke: Ja, aber auch Wähler, die das Vertrauen in die etablierten politischen Parteien verloren haben. Da hilft es nichts, wenn man diejenigen, die gewählt werden, beschimpft oder sogar verbietet. Und es hilft auch nichts, den Leuten zu erklären, warum die AfD nichts taugt. Man muss die Probleme lösen und das Vertrauen zurückgewinnen. Die harten Rechtsradikalen, die für Antisemitismus und Remigration stehen, die sind verloren. Ich glaube aber, dass das nur ein kleiner Teil ist.
Die FDP ist schon seit Jahren im Abwärtstrend und sitzt nur noch in wenigen Landesparlamenten. Und dann ist sie auch noch aus dem Bundestag geflogen. Wie konnte das passieren?
Rülke: Die Bundes-FDP wurde 2021 für einen bürgerlichen Kurs gewählt, hat in der Wahrnehmung ihrer Anhänger aber eine linke Politik betrieben. Denken Sie nur an das Gebäude-Energie-Gesetz, das die FDP zwar verbessert, aber letztendlich doch verabschiedet hat. Aber auch bei den gesellschaftspolitischen Themen wie Cannabis-Freigabe oder der Frage, wie oft man sein Geschlecht ändern kann, hat die FDP Beschlüsse mitgetragen, die FDP-Wähler nicht klassischerweise für richtig halten. Und man hätte schon nach dem Verfassungsgerichtsurteil – als plötzlich 60 Milliarden Euro im Haushalt fehlten – den Koalitionsvertrag neu verhandeln oder das Bündnis beenden müssen. Und dass wir bei der Abstimmung über das Zustrombegrenzungsgesetz ...
... zu dem die AfD Ja gesagt hat ...
Rülke: .... nicht geschlossen abgestimmt haben – viele sind da in die sanitären Anlagen geflüchtet – das alles sind Signale, die wir nicht senden sollten, weil sie eine Partei als zerrissen erscheinen lassen. Und das ist nicht attraktiv für die Wähler. Aber ich kann Ihnen verraten, das gibt es bei uns in Baden-Württemberg nicht. Auf uns kann man sich verlassen.
Naja, Sie sind als Person im Land schon umstritten. Und viele mögen Sie auch nicht.
Rülke: Das mag sein, aber es müssen mich ja nicht alle wählen.
Die AfD ist groß geworden mit dem Thema Migration, alle reden im Wahlkampf darüber.
Rülke: Meine Themen für die Landtagswahl 2016 waren Wirtschaft und Bildung. Aber die Leute wollten nach Angela Merkels „Wir schaffen das“ nur noch über die Flüchtlinge reden. Die Bevölkerung verlangt von der Politik Antworten und da kann man das Thema nicht zum Tabu erklären, nur, weil es möglicherweise die AfD stärkt. Wir müssen da Vorschläge machen.
Und?
Rülke: Natürlich brauchen wir Zuwanderung, weil die Babyboomer in Rente gehen und die nachfolgende Generation viel kleiner ist. Wir benötigen also Arbeitskräfte aus dem Ausland, aber keine Zuwanderung in die sozialen Sicherheitssysteme. Und natürlich brauchen wir auch keine illegalen Straftäter. Aber diejenigen, die sich in unsere Gesellschaft integrieren, sind willkommen. Dagegen müssen wir uns derer erwehren, die das nicht tun. Und das deutlich zu machen, ist uns 2016 gelungen.
Hans-Ulrich Rülke
- Hans-Ulrich Rülke wurde am 3. Oktober 1961 in Tuttlingen geboren. Nach dem Abitur studierte er Germanistik, Geschichte und Soziologie an der Universität Konstanz und arbeitete zunächst als Lehrer.
- Der baden-württembergische Landtagsabgeordnete (Wahlkreis Pforzheim) ist seit 2009 Fraktionschef der FDP. 2025 hat er auch den Landesvorsitz übernommen. Bei der Landtagswahl 2026 tritt er als Spitzenkandidat der Liberalen an.
- Rülke ist bekannt für seine bissigen Attacken . Die Grünen gehören zu seinen Lieblingsgegnern. Auch Alt-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mag er nicht. Er nennt sie eine „historisch gescheiterte Gestalt“.was
Es gibt bei vielen Kommunen das Gefühl, dass Bund und Land sie im Stich lassen. Die Schlagwörter kennen wir ja alle: Kitas, Bildungsnotstand, Finanzen.
Rülke: Das sehe ich auch so. Das Konnexitätsprinzip muss wieder zurück.
Bitte in einfachen Worten!
Rülke: Wer bestellt, muss auch zahlen. Bund und Länder schieben immer mehr Aufgaben auf die Kommunen, ohne das Geld dafür mitzuliefern. Nach den Grundgesetzänderungen können die Länder mehr Schulden machen, das ergibt neuen Spielraum, der zugunsten der Städte und Gemeinden genutzt werden muss.
Die Stadt Ludwigshafen baut Kitas, ohne auf Fördermittel zu warten, weil das so lange dauert.
Rülke: Das zeigt, wie sehr die Bürokratie unser Leben lähmt. Immert mehr Förderanträge, immer mehr Berichtspflichten – das blockiert das Tagesgeschäft und frustriert.
Bürokratieabbau, alle reden davon – das will auch Winfried Kretschmann. Nur der regiert auch schon seit 2011.
Rülke: Das stimmt. Die Politik erklärt in den Sonntagsreden immer: Wir müssen Bürokratie abbauen. Und am Montag gibt es dann neue Verordnungen. Gerade deshalb unterstützen wir die Forderung nach einer Ausweitung der Experimentierklausel.
Wie bitte?
Rülke: Die muss ins Verwaltungsrecht, sie soll es den Beamten erlauben, von einer grundsätzlich geltenden Rechtsnorm abzuweichen. Die brauchen wirklich mehr Handlungsspielraum, sonst haben sie Angst, dass sie sich vielleicht strafbar machen. Außerdem fordern wir als FDP eine Verfassungsänderung. Da würden wir gerne hineinschreiben, dass es dem Staat verboten ist, die Unternehmen und die Bürger das zu fragen, was er schon weiß.
Wie bei der Grundsteuererklärung, da musste man dem Finanzamt den Bodenrichtwert und die Grundstücksgröße mitteilen, obwohl die die Daten schon hatten.
Rülke: Ja, das ist totaler Quatsch.
Letzte Frage: Wenn es bei der Landtagswahl nicht klappen sollte, legen Sie sich dann auf die faule Haut?
Rülke: Ich weiß noch nicht, was ich dann machen würde. Aber Rentner will ich nicht werden.
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