Wiesbaden. Die geplante neue Landesregierung aus CDU und SPD in Hessen rückt einen weiteren Schritt näher: Im Wiesbadener RheinMain CongressCenter nahmen Spitzenpolitiker beider Parteien am Freitag ihre offiziellen Koalitionsverhandlungen auf. Ministerpräsident Boris Rhein für die CDU und der südhessische Bezirksvorsitzende Kaweh Mansoori für die SPD äußerten sich zuversichtlich, die Gespräche binnen vier Wochen abzuschließen. Dann könnten ein Sonderparteitag der Sozialdemokraten und ein Landesausschuss der CDU am 16. Dezember zeitgleich über den Koalitionsvertrag abstimmen und damit die Zusammenarbeit besiegeln.
Mansoori sprang für die SPD-Landesvorsitzende Nancy Faeser ein, die Stunden nach dem Karlsruher Haushaltsurteil als Bundesinnenministerin in Berlin unabkömmlich war. Es gilt als möglich, dass der 35 Jahre alte Bundestagsabgeordnete aus Frankfurt auf dem ordentlichen Parteitag im März 2024 Faeser an der Spitze der hessischen SPD ablöst, zumal deren Doppelrolle als Kabinettsmitglied im Bund und SPD-Vorsitzende im Land auch rein zeitlich immer schwerer miteinander vereinbar ist. Auch ein Wechsel Mansooris vom Bundestag in die neue CDU/SPD-Landesregierung wird nicht ausgeschlossen.
Vor Beginn der Gespräche mit der CDU wies der SPD-Politiker am Mittwochnachmittag Vorwürfe zurück, seine Partei habe bei den vorausgegangenen Sondierungen so gut wie keine eigenen Forderungen durchgesetzt. Bei dem Kräfteverhältnis nach der Landtagswahl sei völlig klar, dass in dem gemeinsamen Papier nach den Sondierungen „mehr CDU drinsteht“, räumte Mansoori ein. Es sei aber auch „eine klare sozialdemokratische Handschrift erkennbar“, etwa bei der Forderung nach mehr Bildungsgerechtigkeit oder nach bezahlbarem Wohnen.
Auch CDU-Landeschef Rhein wies den Vorwurf der Grünen zurück, die von einer „Unterwerfung“ der Sozialdemokraten gesprochen hatten. Es seien „Gespräche auf Augenhöhe“ gewesen. Der Ministerpräsident sagte, bei den offiziellen Koalitionsverhandlungen würden CDU und SPD auf dem Zehn-Punkte-Papier aufbauen, das in den vorherigen Sondierungen vereinbart wurde.
In zehn Punkten sind unter anderem eine striktere Migrationspolitik samt Abschiebe-Offensive, mehr Polizei, Videoüberwachung und erweiterte Fahndungsmöglichkeiten, die Wiedereinführung eines eigenständigen Landwirtschaftsministeriums und Zuschüsse für den ersten Eigenheimerwerb von Familien vorgesehen. Während diese Vereinbarungen vor allem Vorstellungen der CDU entsprechen, konnte die SPD etwa ein Gesetz gegen den spekulativen Leerstand von Wohnungen durchsetzen.
Bei den Verhandlungen sollen die schon festgeklopften Grundlagen der künftigen Regierungszusammenarbeit konkretisiert und erweitert werden. Außerdem wird es nach den Worten Rheins am Ende auch um die Ressortverteilung im künftigen Wiesbadener Kabinett gehen, über die bisher noch nicht gesprochen worden sei. Nachdem die CDU bei der Landtagswahl mit 36,4 Prozent deutlich mehr als doppelt so stark abgeschnitten hatte wie die SPD mit nur noch 15,1 Prozent, gilt als sicher, dass die Sozialdemokraten weniger als die vier Ressorts bekommen, die derzeit noch von den Grünen besetzt werden. Spekuliert wird über zwei bis drei Ministerien für den kleineren Koalitionspartner.
Als wahrscheinlich gilt auch ein Wechsel des bisherigen SPD-Fraktionsvorsitzenden Günter Rudolph aus Nordhessen in die Landesregierung. Der 65-Jährige verhandelt wie Mansoori bei den Koalitionsgesprächen mit. Sowohl die CDU als auch die SPD sind bei den Gesprächen in der Spitzenrunde mit jeweils sieben Politikern vertreten. Hinzu kommen 15 Facharbeitsgruppen. Neben Rhein verhandeln auf CDU-Seite unter anderen Fraktionschefin Ines Claus und Generalsekretär Manfred Pentz. Auch die scheidende Europaministerin Lucia Puttrich ist mit von der Partie.
Neben ihr gehört auf CDU-Seite auch Innenminister Peter Beuth auf eigenen Wunsch dem Kabinett künftig nicht mehr an. Gehen müssen zudem die bisherigen Grünen-Minister Tarek Al-Wazir (Wirtschaft und Verkehr), Angela Dorn (Wissenschaft und Kunst), Kai Klose (Soziales) und Priska Hinz (Umwelt). Es wird also im neuen Kabinett auf jeden Fall ein größeres Stühlerücken geben.
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