Interview - SPD-Oppositionschef Andreas Stoch über Grün-Rot und die Schwächen der SPD

SPD-Oppositionschef Andreas Stoch: „Kretschmann spielt ein doppeltes Spiel“

Von 
Peter Reinhardt
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Der Landesvorsitzende Andreas Stoch im Februar beim Parteitag der SPD Baden-Württemberg. © dpa

Stuttgart. SPD-Oppositionschef Andreas Stoch würde nach der Wahl in Baden-Württemberg gerne mit den Grünen regieren. Dass Winfried Kretschmann auf die Werbeversuche nicht reagiert, kritisiert Stoch im Interview als „Doppelspiel“.

Herr Stoch, Nelson Mandela ist Ihr politisches Vorbild. Was können Sie vom südafrikanischen Friedensnobelpreisträger in die Landespolitik einbringen?

Andreas Stoch: Das ist jetzt ein weiter Bogen. Mich fasziniert an Mandela, dass er seine Ideale nie aufgegeben und auch unter schwierigsten Bedingungen die gewaltfreie politische Auseinandersetzung befürwortet hat. In diesem Sinn ist er für mich als Mensch und Politiker ein Vorbild.

Gewaltfrei haben sie die baden-württembergische SPD befriedet. Warum honorieren das die Wähler nicht?

Stoch: Ich bin 2018 in einer schwierigen Situation als Landesvorsitzender gewählt worden. Die SPD hat seither wieder zueinandergefunden, die Zusammenarbeit funktioniert gut. Das ist gerade in einem Wahljahr wichtig, aber allein der innerparteiliche Friede ist nicht der Erfolgsgarant. Die SPD hat nicht alles in der Hand. Da ist zum Beispiel der sehr populäre grüne Ministerpräsident, der im gleichen Spektrum seine Wähler findet wie die SPD. Auch die bundespolitische Situation lässt die Bäume für uns nicht in den Himmel wachsen. Durch Corona werden viele inhaltliche Themen überdeckt. Die Wohnungsnot beispielsweise ist in der politischen Debatte kaum präsent. Da dringen wir nicht so durch, wie wir es uns wünschen. Krisen sind immer die Zeit der Regierung. Landespolitik wird überwiegend über den Ministerpräsidenten wahrgenommen.

Der Wohnungskonzern Vonovia hat in der Corona-Krise seinen Gewinn auf 1,35 Milliarden Euro gesteigert. Was geht da einem Sozialdemokraten durch den Kopf?

Stoch: Die Spekulationsgewinne mit Immobilien sind ein zentrales Problem unserer Gesellschaft. Während tausende Familien im Land keine bezahlbare Bleibe mehr finden, können Heuschrecken doch nicht den Wohnungsmarkt leer fegen und Milliarden kassieren! Wir müssen die Rahmenbedingungen ändern und wieder mehr öffentlichen Wohnungsbau realisieren. Ich würde die nächste Legislaturperiode zu einer Periode des Bauens ausrufen.

Als die SPD in den 1990er Jahren für die Wohnbauförderung zuständig war, wurde pro Jahr umgerechnet eine halbe Milliarde Euro ausgegeben. Was geht heute?

Stoch: In keinem Bundesland ist Wohnen teurer. Da müssen wir unbedingt drei Gänge hochschalten. Grün-Schwarz stellt dieses Jahr 250 Millionen bereit. Ich sehe die Möglichkeit einer Verdopplung, obwohl wir nach der Corona-Krise sparen müssen.

Sie haben die SPD früh an die Seite der Grünen gerückt. Vermissen Sie eine entsprechende Antwort der Grünen?

Stoch: Ich habe schon letztes Jahr die Grünen klar auf Platz 1 unserer möglichen Koalitionspartner gesehen. Zwischen SPD und Grünen gibt es in vielen Themen größere Schnittmengen als bei der amtierenden Koalition. Aber Winfried Kretschmann und seine Partei spielen bei dieser Frage ein Doppelspiel: Die grüne Partei bezeichnet die CDU als Klotz am Bein und erklärt öffentlich, man regiere am liebsten mit der SPD. Sie wollen dem eigenen Stammpublikum sagen, dass sie es gern anders machen würden als bisher. Dagegen hat Winfried Kretschmann die Rolle, konservative Wähler zu binden, die früher ihr Kreuz bei der CDU gemacht hätten, aber die Partei mit Susanne Eisenmann als Spitzenkandidatin nicht wählen wollen. Solche Wähler würde er vielleicht verlieren, wenn er sich für die SPD als Partner aussprechen würde. Das ist taktisch ein doppeltes Spiel.

Diese Arbeitsteilung wählen die Grünen öfter…

Stoch: Bei den Grünen nennt man das Arbeitsteilung. Bei uns würde man es Widerspruch nennen.

Der Ministerpräsident will die Ferien verkürzen und Corona-Lücken der Schüler auch mit Hilfe von Nicht-Lehrkräften schließen. Kommt Ihnen das bekannt vor?

Stoch: Zu weiten Teilen entspricht das dem von mir vorgeschlagenen Schutzschirm für Schüler. Ich bin ja dankbar, wenn der Ministerpräsident meine Ratschläge aufnimmt. Es ist eben nicht so, dass fast alle Kinder im Fernunterricht wie normal gelernt haben. Manche Schülerinnen und Schüler haben über Monate fast nichts von der Schule mitbekommen. Das jetzt auszugleichen, erfordert zusätzliches Personal. Der Vorschlag mit den verkürzten Ferien war allerdings nicht der allerklügste, damit ist es nicht getan. Wir brauchen eine Strategie für mindestens ein, vielleicht auch zwei Schuljahre.

Aber wo sollen diese 10 000 Hilfslehrer herkommen, wenn nicht einmal alle vorhandenen Stellen besetzt sind?

Stoch: Es stimmt, dass uns an einigen Stellen Lehrkräfte fehlen. Aber als pädagogische Assistenten wären auch Lehramtsstudierende und Referendare geeignet. Es gibt außerdem Programme, die Leute mit abgeschlossenem Studium im Rahmen der pädagogischen Ausbildung befristet in Schulen einsetzen. Da könnten wir auch Unterstützung vom Bund bekommen. Auch wenn wir dafür 100 oder 200 Millionen ausgeben würden, lohnt es sich. Der langfristige Schaden wäre viel höher.

  • Seit zwei Jahren führt Andreas Stoch die baden-württembergische SPD als Vorsitzender. Die Flügelkämpfe hat der 51-Jährige zwar befriedet. Aber die Wähler honorieren das neue Erscheinungsbild nicht. Gegenüber den schon mageren 12,7 Prozent bei der Wahl 2016 ist die größte Oppositionsfraktion im Landtag sogar noch mal abgesackt auf nur noch 10 Prozent.
  • Seit 2009 ist Stoch Abgeordneter für den Wahlkreis Heidenheim. Der gelernte Anwalt war ab 2013 für drei Jahre Kultusminister. Den Machtverlust überstand er unbeschädigt und wurde Chef der Landtagsfraktion.
  • Stoch ist verheiratet und hat vier Kinder. pre

Korrespondent Landespolitischer Korrespondent in Stuttgart

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