Interview - Seit einem Jahr regiert Grün-Schwarz im Südwesten. SPD-Chef Andreas Stoch wirft der Koalition Ideenlosigkeit vor.

SPD-Landeschef Andreas Stoch: „Kretschmann hat den Stillstand gewählt“

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Walter Serif
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SPD-Fraktionschef Andreas Stoch (vorne) ist von Winfried Kretschmann (im Hintergrund) „zutiefst enttäuscht“. © dpa

Herr Stoch, von der SPD-Legende Franz Müntefering stammt der berühmte Spruch: Opposition ist Mist. Sehen Sie das auch so?

Andreas Stoch: Ja, ich gebe ihm da vollkommen recht. Sie haben als Politiker nur in der Regierung Gestaltungsmöglichkeiten, in der Opposition können Sie die besten Vorschläge nicht umsetzen, weil es dafür keine Mehrheit gibt. Ich war ja von 2013 bis 2016 Kultusminister und weiß deshalb, wovon ich spreche.

Ist der Frust bei Ihnen deshalb noch groß, weil Ministerpräsident Winfried Kretschmann nach der Landtagswahl 2021 die Ampel verschmäht und lieber das Bündnis mit der CDU fortgesetzt hat?

Stoch: Natürlich konnten wir von unserem schlechten Wahlergebnis keine großen Ansprüche auf eine Regierungsbeteiligung ableiten. Ich bin aber dennoch zutiefst enttäuscht von Herrn Kretschmann und seiner Partei. Ich habe in der Vergangenheit immer geglaubt, dass die Grünen dieses Land in die Zukunft steuern wollen. Mit seiner Entscheidung für die CDU hat Kretschmann aber den Stillstand gewählt. Und zwar gegen den Widerstand in Teilen seiner Partei. Es geht also gar nicht so sehr darum, ob ich Frust schiebe.

Sondern?

Stoch: Ich ärgere mich darüber, dass diese Regierung in vielen wichtigen Bereichen so ambitionslos unterwegs ist. Energiewende, Bildung oder Transformation der Industrie - diese Koalition hat keine Ideen. Das ist zum Schaden dieses Landes.

Im Vergleich zur vergangenen Legislaturperiode herrscht in der Regierung aber Harmonie, oder?

Stoch: Die CDU hat die Wahlniederlage 2016 als einen Betriebsunfall betrachtet und deshalb versucht, ihre eigene Agenda durchzusetzen. Das hat viel Streit mit den Grünen verursacht. Aber nach ihrer vernichtenden Niederlage 2021 konnte die CDU keine großen Ansprüche mehr stellen, denn die Grünen hatten eine Alternative mit uns und der FDP. Deshalb hat die CDU den Grünen alles versprochen, was die wollten. Der Koalitionsvertrag trägt dementsprechend eine grüne Handschrift.

Ist doch gut für die Grünen.

Stoch: Moment mal. Jedes Ziel im Koalitionsvertrag steht unter einem Finanzierungsvorbehalt. Und von der Beschreibung bis zur Umsetzung dieser Politik ist es eine weite und oft auch mühsame Strecke. Das weiß die CDU - und blockiert einfach, was ihr nicht passt. Das geschieht alles sehr subtil.

Geht es auch konkreter?

Stoch: Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Alle wissen in Baden-Württemberg, dass wir mehr Windenergie und Photovoltaik brauchen. Und was macht Agrarminister Peter Hauk? Er nimmt den Ukraine-Krieg als Vorwand und sagt, jetzt hat die Ernährungssicherung Vorrang. Die CDU will ihre konservative Agenda durchsetzen, und die Grünen haben zu wenig Kraft, sich dagegen zu stemmen. Die Konservativen behaupten inzwischen, dass wir uns den Vollkasko-Staat nicht mehr leisten können. Das finde ich unglaublich.

Warum?

Stoch: Wenn Leute mit einem normalen Einkommen keine Wohnung mehr finden, wenn in den Schulen immer mehr Unterricht ausfällt, dann haben die Bürger wirklich nicht den Eindruck, als lebten sie in einem Vollkasko-Staat. Mit dieser Sprache versuchen die Konservativen, ihr Narrativ durchzusetzen: Der Staat kann ohnehin nichts tun. Das Schlimme: Kretschmann redet inzwischen auch so. Die grün-schwarze Regierung versucht, ihr Nichtstun mit den Krisen Corona und Ukraine zu rechtfertigen. Das ist für dieses Land wirklich eine Katastrophe.

Sind die Grünen satt geworden?

Stoch: Die Grünen haben sich zumindest seit 2011 in den Machtstrukturen wunderbar eingefunden. Jeder zweite Abgeordnete weiß doch: Ohne Winfried Kretschmann sitzen wir wahrscheinlich nicht mehr in diesem Parlament. Deshalb legen die Grünen bereits nach elf Jahren Verhaltensweisen an den Tag, die es bei der CDU erst nach Jahrzehnten an der Macht gab. Nämlich der feste Glaube: Dieses Land gehört uns.

Andreas Stoch

  • Der Schwabe Andreas Stoch wurde am 10. Oktober 1969 in Heidenheim geboren.
  • Der gelernte Rechtsanwalt sitzt seit 2009 im Stuttgarter Landtag. Er war von 2013 bis 2016 Kultusminister. Seit 2016 führt er die SPD-Landtagsfraktion an, 2018 übernahm er auch den Landesvorsitz

Ihre Kritik an der Regierung scheint die Wähler nicht zu beeindrucken. Die Südwest-SPD schneidet in den Meinungsumfragen noch immer sehr schlecht ab.

Stoch: Wenn die Menschen in den Umfragen nach der Zufriedenheit mit der Regierung gefragt werden, dann unterscheiden die nicht zwischen Landes- und Bundespolitik.

Naja, dann müsste Ihre Partei ja davon profitieren, denn die SPD steht bundesweit im Mannheimer Politikbarometer auf Platz eins.

Stoch: Wir haben auch im Land eine deutliche Entwicklung nach oben. Wir hatten bei der Landtagswahl im März 2021 nur elf Prozent.

Das war eine große Schlappe.

Stoch: Richtig, aber da standen wir in den Bundesumfragen auch nur bei 14 Prozent. Bei der Bundestagswahl holte die SPD 25 Prozent, kurz danach lagen wir auf Landesebene bereits bei 22 Prozent.

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Pech für Sie, dass die Landtagswahl zu früh kam?

Stoch: Man kann immer jammern, dass Wahlen zum falschen Zeitpunkt anstehen, das muss man als Demokrat aushalten. Aber es ist üblicherweise auch so, dass die einzige Person, die in der Landespolitik wahrgenommen wird, der Ministerpräsident ist. Das ist natürlich ein Problem für uns als Oppositionspartei.

Verfallen Sie deshalb in Aktionismus und fordern ständig Rücktritte von Ministern, um ins Rampenlicht zu kommen?

Stoch: Ich bitte Sie! Wir sind jetzt seit sechs Jahren in der Opposition. Vor einigen Wochen hat die SPD zum ersten Mal einen Entlassungsantrag gestellt. Ihre Behauptung, wir würden das inflationär betreiben, stimmt nicht. Gesundheitsminister Manne Lucha hat in der Pandemie schwerwiegende Fehler gemacht und stellenweise ein Chaos angerichtet. Dass er in einem Brief an den Bundesgesundheitsminister die Aufhebung der Quarantänepflicht gefordert hat - ohne den Ministerpräsidenten zu informieren -, hat nach unserer Meinung das Fass zum Überlaufen gebracht. Noch schlimmer verhält es sich jetzt aber mit Innenminister Thomas Strobl, der Geheimnisverrat begangen hat. Er hat ein vertrauliches Anwaltsschreiben an einen Journalisten weitergereicht. Das erschüttert das Vertrauen in den Rechtsstaat. Deshalb ist er aus unserer Sicht nicht mehr zu halten und muss zurücktreten. Inzwischen ermittelt ja sogar die Staatsanwaltschaft gegen ihn!

Sehen Sie bei Kretschmann Abnutzungserscheinungen?

Stoch: Ja. Ich habe das Gefühl, dass er an manchen Tagen keine große Lust mehr hat, sein Amt auszufüllen. Gleichzeitig stelle ich fest, dass er offensichtlich glaubt, mit diesem Amt untrennbar verwachsen zu sein. Ich glaube deshalb, dass Kretschmann für volle fünf Jahre Ministerpräsident bleiben wird, auch wenn es diese Abnutzungserscheinungen gibt. Das hat er seinen Wählerinnen und Wählern versprochen.

Und wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?

Stoch: Ich will bei der nächsten Landtagswahl als Spitzenkandidat antreten. Wenn dann die prägende Figur Winfried Kretschmann nicht mehr auf dem Spielfeld stehen wird, beginnt ein neues Match. Und dieses Spiel wollen wir dann auch gewinnen, das heißt, ich habe schon den Anspruch, dass die SPD in die Regierung kommt, und zwar als stärkste Partei.

Klingt ziemlich utopisch.

Stoch: Es hat ja auch nicht jeder damit gerechnet, dass Olaf Scholz Kanzler wird.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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