Interview - Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges will durch Beratungsangebote Arbeit in Gerichten attraktiver machen

„Personal bleibt großes Thema“

Von 
Michael Schwarz
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CDU-Politikerin Marion Gentges erwartet in Zukunft einen höheren Aufwand in der Justiz. Auf diesen müsse man reagieren. © Marijan Murat/dpa

Stuttgart. CDU-Politikerin Marion Gentges ist Baden-Württembergs neue Justizministerin. Sie plant, in allen Landgerichtsbezirken im Südwesten Beratungsangebote für Richter und Staatsanwälte zu schaffen. Zudem rechnet sie künftig mit einem zunehmenden Stellenbedarf.

Welche Themen bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften wollen Sie in dieser Legislatur angehen?

Zur Person

Marion Gentges, Jahrgang 1971, sitzt seit 2016 für den Wahlkreis Lahr im Landtag. Mitglied in der CDU ist sie bereits seit 1991.

Die Juristin wurde nach der Neuauflage der grün-schwarzen Landesregierung im Mai dieses Jahres zur Ministerin der Justiz und für Migration ernannt.

Gentges, die aus einer Unternehmerfamilie stammt, ist verheiratet und hat eine Tochter.

Weiter ist sie Präsidentin des Landesverbands der Musikschulen Baden-Württemberg. Bereits seit 2004 ist sie selbstständige Rechtsanwältin mit einer eigenen Kanzlei in Zell am Harmersbach. mis

Marion Gentges: Es gibt einige Themen. Die Personalausstattung von Gerichten und Staatsanwaltschaften bleibt weiter ein zentrales Thema. Wir brauchen eine möglichst gute Personalausstattung, damit wir die Verfahren ordentlich und zügig bearbeiten können. Es gibt immer wieder Entwicklungen und Ereignisse, die einen höheren Aufwand für Gerichte und Staatsanwaltschaften auslösen. Zum Beispiel in den vergangenen Jahren infolge der Flüchtlingskrise die Asylverfahren, jüngst durch die Corona-Pandemie oder im Zivilrecht die Dieselklagen. Ich will das derzeit öffentlich noch nicht in Stellen konkretisieren, aber ich sehe hier einen Bedarf auf uns zukommen. Dazu kommen neue Straftatbestände und gesetzgeberische Aktivitäten, wie zuletzt zum Beispiel im Zuge der vom Bund beschlossenen Maßnahmen gegen Hasskriminalität. Auch diese erhöhen den Aufwand für Gerichte und Staatsanwaltschaften, und auf diese müssen wir reagieren.

Richter und Staatsanwälte stehen oft unter Stress. Wie wollen Sie diese besser unterstützen?

Gentges: Wir führen schrittweise gerade ein freiwilliges Coaching-Angebot für Richter und Staatsanwälte in allen 17 Landgerichtsbezirken in Baden-Württemberg ein. Einzelcoachings sind in Teilen der Wirtschaft bereits üblich, wir wollen dies landesweit auch für die Justiz anbieten. Die Mitarbeiter sollen nicht nur in ihrem Fachwissen geschult werden, sondern es geht um eine Begleitung in anspruchsvollen Tätigkeiten, zum Beispiel im Umgang mit Personal, Medien und Öffentlichkeit – oder für schwierige Verfahren, die psychologisch belastend für die Beschäftigten sind. Am Ende soll es in jedem Landgerichtsbezirk eine Anlaufstelle geben. Durchgeführt werden die Coachinggespräche meist von Psychologen. Mit dem Angebot wollen wir auch die Arbeit in Gerichten noch attraktiver machen.

Ihr Ministerium ist jetzt auch für Migration zuständig. Gibt es hier neuen Stellenbedarf?

Gentges: Um das Thema Migration wird sich überwiegend mein Staatssekretär Siegfried Lorek kümmern. Im Wesentlichen sind hier die Stellen des Innenministeriums, das vorher zuständig für Migration war, zu uns gekommen. Hier sprechen wir von rund 50 Stellen. Neustellen aufgrund dieses Zuständigkeitenwechsels sind nur wenige nötig. Wenn Sie eine Größenordnung haben wollen: nicht mehr als die Finger zweier Hände.

Sie sind auch für den Justizvollzug zuständig. Wie haben die Haftanstalten bislang die Pandemie bewältigt?

Gentges: Relativ gut. Wir hatten seit Beginn der Pandemie rund 180 Infektionen bei Gefangenen – aktuell sind es noch vier Fälle. Dies zeigt, dass unser Pandemie-Konzept gewirkt hat. Bei den Impfungen haben wir ein Modellprojekt durchgeführt, bei dem Betriebsärzte die Mitarbeiter geimpft haben. Inzwischen haben praktisch alle Beschäftigten ein Impfangebot erhalten. Die Inhaftierten werden und wurden zum großen Teil mit mobilen Impfteams geimpft.

In Zeiten der Pandemie wurden die Ersatzfreiheitsstrafen aufgeschoben, um die Mitarbeiter zu entlasten. Was planen Sie weiter?

Gentges: Um die Anzahl der Gefangenen mit Ersatzfreiheitsstrafen zu reduzieren, gibt es drei Modelle: Mit Schwitzen statt Sitzen kann eine Person die Geldstrafe abarbeiten. Eine weitere Möglichkeit ist die aufsuchende Sozialarbeit, in der die Menschen zu Hause aufgesucht werden und ihnen erläutert wird, was passiert, wenn nicht bezahlt wird. Neu ist, dass die Ersatzfreiheitsstrafe, die schon angetreten ist, auch in Haft abgearbeitet werden kann. Wenn der Gefangene vom ersten Tag an in Haft arbeitet, sogar bis zur Hälfte. Das nennt sich „Day-by-day-Modell“. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür haben wir im Juni geschaffen, jetzt werden Pilotprojekte entwickelt. Wir haben übrigens im Schnitt rund 500 Gefangene mit Ersatzfreiheitsstrafen in unseren Gefängnissen. Diese zu reduzieren, spart auch Geld: Ein Tag in Haft kostet rund 120 Euro.

Korrespondent

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