Heidelberg/Stuttgart. Es gibt neue schwere Vorwürfe gegen Kathrin Yen, die Chefin der Heidelberger Rechtsmedizin. Die 45-Jährige hat über zwei Jahre mit dem Titel "Dr. med." den Eindruck erweckt, dass sie - wie in Deutschland üblich - eine Dissertation geschrieben hat. Der Streit in ihrem Institut ufert aus. Eine Mitarbeiterin, die Yens Eignung für den Job in der Universitätsmedizin bezweifelt hatte, klagt vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe gegen ihre Zwangsversetzung. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) steht unverändert hinter der Medizinerin.
Der Tipp kam aus der Medizinerszene. "Haben Sie denn die Doktorarbeit von Frau Yen schon gefunden?", fragte der Anrufer. Tatsächlich gibt es gar keine. Dabei war die Medizinerin bei ihrer Einführung als Leiterin des Instituts für Rechtsmedizin im Mai 2011 ganz offiziell als "Prof. Dr." vorgestellt worden. Aber Yen hat ihren Doktortitel an der Medizinischen Universität Graz 1997 sozusagen im Vorbeigehen erhalten. Bis 2002 konnte das Diplom ohne eigenständige wissenschaftliche Arbeit erworben werden. Allerdings ist dann ein unübersehbarer Zusatz vorgeschrieben. Der Titel laute "Dr. med. univ.", stellt ein Sprecher der Grazer Hochschule klar. In Deutschland gibt es den Dr. dagegen nur für eine eigenständige Doktorarbeit plus mündliche Prüfung.
Der Zusatz fehlt
Yen hat nicht einmal in ihrem Antrag für eine Weiterbildungsberechtigung ihre wissenschaftliche Ausbildung korrekt bezeichnet. Im Anschreiben an die Bezirksärztekammer, das unserer Redaktion vorliegt, fehlt der Zusatz ebenfalls.
"Es trifft zu, dass Frau Yen aufgrund dieses Abschlusses in Baden-Württemberg den Doktorgrad in der vollständigen Form Dr. med. univ. führen muss", räumt das Haus von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) ein. Dies sei im Paragraf 37 des Landeshochschulgesetzes geregelt. Sie selbst berufe sich auf ein bilaterales Abkommen zwischen Österreich und Deutschland über die wechselseitige Anerkennung von Hochschulabschlüssen. Bauer zeigt sich deshalb nachsichtig: "Insofern kann man davon ausgehen, dass bei Frau Yen ein Missverständnis über die korrekte Titelführung vorlag." Das Ministerium rät den Hochschulen, ausländische Wissenschaftler künftig auf die einschlägigen Vorschriften hinzuweisen. Denn die Spitzenkräfte würden "wegen ihrer Expertise, nicht aber aufgrund profunder Kenntnisse deutscher Bürokratie ausgewählt".
Eine Strafe für Verstöße gegen die Titelvorschriften sieht das Hochschulgesetz nicht vor. Diese werden nur auf Anzeige von den zuständigen Staatsanwaltschaften verfolgt.
Die Uniklinik stellt sich auf den Standpunkt, dass Yen in Österreich "eine Promotion abgelegt und ein Doktoratsstudium absolviert hat". An ihrer wissenschaftlichen Qualifikation gebe es keinen Zweifel. Am 21. Oktober 2013 sei durch die Anpassung der Internetseite "einer bürokratischen Vorschrift Genüge getan" worden. Bei Yen selbst laufen alle Bitten um eine Stellungnahme ins Leere.
Kritikerin strafversetzt
Auch unter den Mitarbeitern im Institut sorgt der Fall für Wirbel. Aus ihren Reihen wurde in zwei Schreiben an das Ministerium schon im August 2011 heftige Kritik an den fachlichen Fähigkeiten und den formalen Voraussetzungen der neuen Chefin geäußert. Eine Kritikerin wurde daraufhin versetzt. Die wehrt sich vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe. "Bei uns ist seit September 2012 ein Verfahren gegen die Universitätsmedizin anhängig", bestätigt ein Sprecher.
Dagegen beklagen Unterstützer von Yen eine Hetzkampagne von Mitarbeitern, die nicht nachzuvollziehen sei. Auf dieser Seite steht auch Bauer. Sie will der umstrittenen Professorin am Donnerstag nächster Woche durch einen Besuch der von ihr aufgebauten Gewaltambulanz den Rücken stärken.
Unterschiedliche Anerkennungspraxis
Die Bezirksärztekammer Nordbaden hat der Rechtsmedizinerin Kathrin Yen die Berechtigung zur Ausbildung von Fachärzten nachträglich ausgestellt. Yen hatte den Antrag erst zwei Jahre nach Dienstantritt in Heidelberg gestellt. Die rückwirkende Genehmigung sei mit Rücksicht auf ihre nachgewiesene Qualifikation erteilt worden, erklärt die Kammer.
Die Bayerische Landesärztekammer erteilt dagegen "grundsätzlich keine Weiterbildungsberechtigung rückwirkend". pre
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