Eutingen. Im Flüchtlingsheim herumzusitzen, zu rauchen und auf eine bessere Zukunft zu warten, hielt Hussam Khirallah nicht aus. Nun fährt der Syrer jeden Morgen um sechs Uhr von seiner Unterkunft in einem alten Bahnhofsgebäude mit dem Fahrrad in den 2000-Einwohner-Ort Eutingen (Kreis Freudenstadt), um dort als Bäcker zu arbeiten. "Die Arbeit ist das Beste, was mir passieren konnte", sagt er.
Der 39-Jährige kam im September vergangenen Jahres in Deutschland an, als die Flüchtlingszahlen stetig anstiegen. Seine eigene Bäckerei in Damaskus sei nicht mehr gelaufen, seit Süßigkeiten im Krieg zum Luxusgut geworden waren. Er hat sein Land und seine Familie in der Hoffnung auf ein sicheres Leben und gute Bildung für seine Kinder, die er wie auch seine Frau nachholen will, verlassen. Über das Mittelmeer, Griechenland und Ungarn ist er nach Deutschland gekommen. In der Küche des Heims am Rande des Schwarzwalds fing er bald an, für seine Mitbewohner und die Flüchtlingshelfer syrische Süßigkeiten zu backen. "Ich weiß 80 Sorten", sagt er und freut sich über diese Zahl und das Staunen seiner Zuhörer. Wenn er lacht, haben die schwarzen Augen in seinem ernsten Gesicht einen spitzbübischen Glanz.
Mit der Sprache hapert es noch
Khirallah trägt ein rotes Hemd, eine blaue Hose und ist frisch rasiert. Sein Deutsch ist noch holprig, aber der Zusammenhalt im Flüchtlingsheim groß - seine Mitbewohner übersetzen für ihn. Er ist bemüht, alles richtig zu machen, und berichtet, dass er schon mit 20 Familien aus dem Ort befreundet sei. Ein wertvolles Netzwerk, über das er an sein Fahrrad und auch seinen Job kam.
Ein Freund, er heiße Eberhard, sei so begeistert von seinem Gebäck gewesen, dass er ihm ein Probearbeiten bei der örtlichen Bäckerei organisiert habe. Bäckereibesitzer Tobias Plaz erkannte schnell die handwerklichen Fähigkeiten und hat Sympathie entwickelt. "Ich und auch meine Frau waren uns einig: Wir versuchen es mit Hussam", sagt Plaz. Im Frühjahr habe er ihn eingestellt. Er habe gehofft, den negativen Meldungen über Flüchtlinge etwas Positives hinzuzufügen. Das ist ihm gelungen.
In der Dorfbäckerei liegen nun außer Brezeln und Brötchen die syrischen Süßigkeiten in der Auslage. Jeden Morgen hilft Khirallah seinen Kollegen beim Brotbacken und Brezelnschlingen, danach backt er seine süßen Teile. "Er macht ständig neue Sachen und die Kunden sind sehr neugierig", sagt Plaz. Das Angebot locke auch neue Kundschaft an. Für Khirallahs Baklava fahre eine Dame 15 Kilometer bis zur Bäckerei und lobe es als das beste, das sie je gegessen habe.
Das bessere Leben hat sich nicht für alle "Kollegen" im Heim so schnell eingestellt wie für Khirallah. Einer sei zurück nach Syrien gegangen, heißt es, weil sein Verfahren nicht vorangekommen sei. Ein anderer warte seit einem Jahr auf die Aufenthaltserlaubnis.
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