Umwelt

Mindestens 1400 weitere Windräder nötig

Für Baden-Württemberg wird es eine Herkulesaufgabe, bis 2040 klimaneutral zu sein. Spielraum gibt es keinen mehr, sagen Wissenschaftler

Von 
Thomas Faltin
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Damit das Land sein Ziel erreichen kann, bis 2040 klimaneutral zu sein, müsste sich die Zahl der Windräder verdreifachen – und die Leistung versiebenfachen. © Patrick Seeger/dpa

Stuttgart. Sehr ambitioniert, äußerst ambitioniert, maximal ambitioniert – diese Vokabeln tauchen in der neuen Studie zu den Klimaschutzzielen Baden-Württembergs fast auf jeder Seite auf. Fünf renommierte Institute, darunter das Öko-Institut in Freiburg oder das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe, haben im Auftrag des Landes untersucht, wie Baden-Württemberg es schaffen kann, das gesteckte Ziel der Klimaneutralität bis 2040 noch zu erreichen.

Und ihre Botschaft ist mehr als eindeutig: Das wird verdammt schwierig, wenn nicht gar unmöglich. So dürfte schon ab nächstem Jahr keine einzige Öl- oder Gasheizung mehr eingebaut werden. Für die emissionsreiche Zementindustrie – die sechs Zementwerke im Südwesten sind für ein Viertel aller CO2-Emissionen im Industriesektor verantwortlich – müssten Pipelines in die Nordsee gebaut werden, um dort Kohlendioxid im Boden zu speichern.

Der Kohleausstieg müsste zwingend 2030 auch kommen. Und der Autoverkehr müsste um 38 Prozent sinken, 2040 dürften fast keine Verbrennerautos mehr auf den Straßen unterwegs sein. Bei einem derzeit von der EU anvisierten Verbrenner-Aus im Jahr 2035 ist das – wieder einmal – maximal ambitioniert.

Selbst im allerbesten Fall bleiben 2040 noch Emissionen übrig. Hinzu kommt, dass jede einzelne Maßnahme in den Bereichen Verkehr, Gebäude, Industrie, Energiewirtschaft und Landwirtschaft für die Institute gar nicht mehr diskutierbar ist: Es müssten alle ohne Ausnahme und alle im genannten Umfang umgesetzt werden, um überhaupt die Chance auf Klimaneutralität zu wahren.

Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) betont deshalb: „Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren und keinen Spielraum für Verhandlungen.“ Im Übrigen wäre laut der Studie selbst im allerbesten Fall ein Anteil von neun Prozent im Jahr 2040 nicht getilgt; sechs Prozentpunkte davon werden zumindest durch die CO2-Speicherung der Wälder kompensiert.

Doch einen Aufschub wird es vermutlich schon deshalb geben, weil die CDU als Koalitionspartner der Grünen nicht alles unwidersprochen durchwinken wird. Womöglich droht da bereits der nächste Regierungskrach. Raimund Haser, der umweltpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag, betont zwar, dass es nicht darum gehe, die Ziele infrage zu stellen oder gar zu torpedieren. Aber man könne die Maßnahmen, die die Wissenschaftler vorgeschlagen hätten, auch nicht eins zu eins in ein Gesetz gießen. Vielmehr brauche es jetzt zunächst eine politische Diskussion.

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So dürfe man die Unternehmen nicht zwingen, ihre gesamte Energieversorgung von Gas auf grünen Strom umzustellen, ohne dass dafür realistische Szenarien auf dem Tisch lägen. Wenn man Betriebe zu sehr unter Druck setze, gefährde das deren Produktivität und letztlich unseren Wohlstand, der angesichts immenser Preissteigerungen bei der Energie sowieso in Gefahr sei, betont Haser: „Es gibt einfach auch noch andere Zwänge als nur den Klimaschutz.“ Dazu gehöre etwa die Bezahlbarkeit der Wohnungen angesichts der eigentlich notwendigen Gebäudesanierungen mitsamt Heizungsaustausch. Unionsmann Haser ist deshalb überzeugt, dass es ohne eine Kompensation von Teilen der CO2-Emissionen durch Zertifikate nicht gehe und dass man eher allgemein von einer Klimaneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts sprechen sollte.

Jutta Niemann, die umweltpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, hält allerdings gar nichts von einem weiteren Aufschieben – die frühere CDU-Regierung im Bund habe die Klimamaßnahmen sowieso schon viel zu lange verschleppt. Ein wichtiges landespolitisches Instrument ist für Niemann die neu eingeführte jährliche Prüfung durch einen Sachverständigenrat – denn dann könne schnell nachjustiert werden, wenn einzelne Bereiche die jeweiligen Zwischenziele nicht erreicht hätten.

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Von
Stefanie Ball
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Äußerst anspruchsvoll, aber realistisch seien die Ziele dagegen bei der Windkraft und der Photovoltaik, so schätzt es zumindest Franz Pöter ein, der Geschäftsführer der Plattform Erneuerbare Energien Baden-Württemberg. Es ist gemäß Studie eine Versiebenfachung der Leistung notwendig. Im Jahr 2040 sollen diese beiden Energieformen dann zusammen rund drei Viertel des Stroms im Südwesten liefern. Hoffnung verspricht der technische Fortschritt, wodurch pro Windrad oder pro Photovoltaikanlage bald mehr Ausbeute zu erwarten ist.

Selbst bei einer Durchschnittsleistung von sieben Megawatt (heute sind es vier) pro Rad in 2040 wären bis dahin noch rund 1400 neue Windräder notwendig. Derzeit gibt es 758 Anlagen im Südwesten. Eine „Herkulesaufgabe“ bleibe der Ausbau der erneuerbaren Energien auf jeden Fall, betont Pöter. Denn die nächsten zwei Jahre lang werde es leider noch zu wenig abschlussreife Bauvorhaben geben: „Alle müssen jetzt endlich Butter bei die Fische bringen“, sagt er.

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