Interview - Kultusministerin Theresa Schopper spricht über ihre Bildungspläne / Bessere digitale Infrastruktur gefordert

Kultusministerin Theresa Schopper über Fehler in der Corona-Zeit: "Wir haben dazugelernt"

Von 
Michael Schwarz und Ulrike Bäuerlein
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Theresa Schopper (Bündnis 90/Die Grünen), Kultusministerin von Baden-Württemberg. © Uwe Anspach/dpa

Stuttgart. Erstmals wird in Baden-Württemberg das Kultusministerium von den Grünen geführt. Doch die neue Ministerin Theresa Schopper hat andere Sorgen als Parteipolitik – sie muss Corona-Krisenmanagement betreiben. Wie sie die Situation an den Schulen bewertet, was sie von den Forderungen nach einem Zusatzschuljahr hält und wie sie das kommende Schuljahr plant:

Frau Schopper, wir sind jetzt im zweiten Corona-Schuljahr. Welche Note würden Sie dem Schuljahr geben – und dem Management?

Theresa Schopper: Ich tue mich immer schwer mit Schulnoten. Zudem ist das nicht einfach, weil in diesem Schuljahr alles durcheinander war, englische Variante, Lockdown für fünf Monate. Für die Schülerinnen und Schüler ist das sehr schwierig gewesen. Auf der anderen Seite waren wir in der zweite Hälfte besser für den Fernunterricht gerüstet – mit Geräten und Plattformen. Und mit dem großen Engagement der Schulen und Lehrkräfte ist da vieles gut gegangen. Also geben wir mal einen Dreier beziehungsweise den ,Einser des kleinen Mannes’. Was wir zudem gesehen haben: Wie es mit der Schule gelaufen ist, hängt ganz entscheidend auch vom familiären Hintergrund ab. Wo die digitale Infrastruktur ein Problem war oder keine digitale Ausstattung vorhanden, lief der Fernunterricht öfter in den Graben als bei gut ausgestatteten Familien.

Aus Bayern in den Südwesten

  • Theresa Schopper, geboren 1961 in Füssen im Allgäu, war von 1994 bis 2003 und 2008 bis 2013 Abgeordnete im bayerischen Landtag.
  • Zudem war sie von 2003 bis 2013 Landesvorsitzende der Grünen in Bayern. 2014 wechselte sie dann in den Südwesten und begann ihre Laufbahn im Staatsministerium von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne).
  • Seit Mai 2021 ist Schopper Kultusministerin des Landes. Sie ist verheiratet und hat zwei Söhne. 

Kann man die Schüler in so einem Schuljahr überhaupt benoten?

Schopper: Es ist sicher schwieriger, weil einige Leistungen nur digital erbracht wurden und wir auch die Mindestanzahl der Arbeiten reduziert haben. In diesem Punkt 2020/2021 noch mehr ein Ausnahmejahr als das erste Coronajahr.

Wie stehen Sie zu den Forderungen nach einem Zusatzschuljahr und mehr G9-Angeboten?

Schopper: Der Koalitionsvertrag ist da sehr klar: Das G8 ist die Regelform. Und ehrlicherweise waren die Voraussetzungen für Kinder am Gymnasium mit am besten. Die Kinder kommen ja häufig aus bildungsintensiveren Familien, wo auch die digitale Infrastruktur stimmt. Dass Zeit gefehlt hat und nicht alles aus allen Fächern nachgeholt werden kann, ist auch klar. Es wird uns immer wieder gesagt, dass wir vor allem die Lernrückstände in Schlüsselfächern wie Deutsch oder Mathe aufholen müssen. Denn die Kernfächer sind auch die Basis für alle anderen Fächer. Ein Zusatzschuljahr brauchen außerdem nicht alle. Es gibt viele Kinder, die sich beim Fernlernen sehr wohl gefühlt haben. Und es gibt Schüler, die vorher schon ein Problem hatten, bei denen sich die Lücke vielleicht noch mehr aufgetan hat und wo man fragen muss, ob die nicht freiwillig wiederholen. Aber generell würde ich nie befürworten, dass man grundsätzlich alle noch einmal ein Jahr in die Schleife gibt.

Wird es Sitzenbleiber geben?

Schopper: Wir haben gesagt, dass dieses Jahr versetzt wird. Aber die Lehrer sind da sensibel. Es wird individuell beraten und im Vorfeld auf die Kinder zugegangen. Es wird nicht mit dem Fallbeil vorgegangen. Zudem gibt es auch Möglichkeiten wie das Versetzen auf Probe.

Wie wird eigentlich erhoben, wie groß die Rückstände sind?

Schopper: Jetzt, wo die Kinder zurück sind, werden Arbeiten geschrieben, die Aufschluss darüber geben, wie die Fortschritte im Homeschooling und Fernlernen gewesen sind. Zudem kennen die Lehrkräfte ihre Schüler sehr genau und damit auch deren Lernstand, und sie können auch auf Angebote zur Diagnose und Förderung vom IBBW zurückgreifen. Kultusministerium und IBBW stimmen sich aktuell auch über die Bereitstellung weiterer Erhebungsinstrumente ab. Und am Anfang des nächsten Schuljahrs wird es Lernstandserhebungen geben, bei denen man dann sehen kann, wie groß die Lücken in den Klassenstufen sind. Hier zeigt sich überall, welche Kinder gezielte Förderung brauchen. Darauf bauen wir bei den Förderprogrammen auf – von „Überbrücke die Lücke“ über die Lernbrücken bis zum „Rückenwind“-Programm. Da kommt es darauf an, dass wir auch die richtigen Kinder damit erwischen.

Mit welchen Planungen gehen Sie ins neue Schuljahr – bei welchem Szenario haben wir wieder Wechsel- und Fernunterricht?

Schopper: Wir gehen mit anderen Voraussetzungen ins nächste Schuljahr. Letztes Jahr hat uns ja die nächste Welle durch die Reiserückkehrer erwischt. Das sollte in diesem Jahr anders sein. Viele werden geimpft sein. Auch die Lehrkräfte dürften alle, wenn sie denn wollen, geimpft sein...

In den Kitas gibt es deutlich mehr Corona-Fälle als in den Schulen. Trotzdem wurde dort bislang auf eine Testpflicht verzichtet. Wollen Sie das korrigieren?

Schopper: Der Kindergarten ist ja freiwillig. Zudem haben wir hier keinen hoheitlichen Zugriff, die Tests in Kitas unterliegen der Eigenverantwortung der Träger. Wir als Kultusministerium können hier also nicht wie bei den Schulen agieren. Das muss man beachten. Im Übrigen wird in einigen Kommunen getestet, in manchen auch verpflichtend.

Warum gibt es noch immer keine anderen Lösungen -- etwa Luftreiniger?

Schopper: Wenn mir jemand sagt, dass Lüftungsgeräte der Game Changer wären, damit wir Schulen offen lassen können, dann würde ich sagen, das Geld müssen wir in die Hand nehmen. Fachleute vom Bundesumweltamt oder dem Expertenkreis Aerosole sagen uns aber, dass die Luftfilter nur begleitend eingesetzt werden sollten. Die Entscheidung liegt jedoch bei den Trägern, und wir haben ja bereits 40 Millionen an die Kommunen gegeben, von denen auch Lüfter finanziert werden konnten. Weitere Mittel stehen über die Programme zur Schulsanierung und zum Schulbau zur Verfügung. Allerdings gibt es in Baden-Württemberg 75000 Klassenräume, ein Gerät kostet zwischen 3000 und 4000 Euro. Das wäre insgesamt ein Riesenbetrag.

Falls es wieder Fernunterricht gibt – stehen wir jetzt besser da als 2020?

Schopper: Wir müssen nach wie vor schauen, dass wir in den Schulen eine bessere Internetanbindung bekommen. Wir brauchen eine bessere digitale Infrastruktur. Wir wollen jedenfalls nicht mehr die Rolle rückwärts machen, sondern die digitalen Fortschritte generell in den Unterricht einbauen.

Was wurde aus Ihrer Sicht im vergangenen Jahr am meisten vernachlässigt?

Schopper: Das Kultusministerium war im letzten Jahr wegen der Pandemie extrem belastet, ähnlich wie das Sozialministerium. Wir haben auch dazugelernt. Wir müssen künftig früher Signale an die Schulen geben, was wir vorhaben. Wir müssen auch die Briefe früher rausschicken, damit die Schulen vor Ort zeitiger informiert sind.

Diversität ist ein großes Thema und wird gerade diskutiert, weil die die UEFA verboten hatte, dass bei der Fußball-EM die Allianz-Arena in Regenbogenfarben leuchtet. Wird das Thema im Unterricht ausreichend berücksichtigt?

Schopper: Wir haben ja den Bildungsplan 2015 in der damaligen grün-roten Regierung erneuert und das Thema gestärkt. Trotzdem gibt es noch zahlreiche Baustellen. Es geht um Diversität und Rassismus - aber auch um die koloniale Vergangenheit. All diese Punkte sind im globalen Leben immens wichtig, daher müssen sie in die Lehrpläne eingearbeitet werden. Die Schule ist der Lebensraum, wo man gesellschaftliche Debatten führt. Auf dem Schulhof fallen auch rassistische, antisemitische oder auch homophobe Ausdrücke. Mit einem Verweis ist es hier nicht getan. Das müssen wir grundlegend aufarbeiten. Die Belanglosigkeit, mit der Ausgrenzung zum Teil stattfindet, muss beendet werden. Die Bildungspläne bleiben zwar, aber wir müssen mit dem Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg daran arbeiten, dass Diversität bei der Ausbildung der Lehrkräfte eine größere Rolle spielt. Wir wollen die Lehrkräfte in diesem Bereich weiterbilden und ihre Sinne für das Thema weiter schärfen.

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