Giftmüll: Vor 20 Jahren haben Bürgerinitiativen Verbrennungsöfen verhindert und dem Land eine halbe Milliarde erspart / Die Geschichte eines politischen Irrtums

Konkurrenz um den Sondermüll wird härter

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Peter Reinhardt

Stuttgart. Auf 15 bis 25 Jahre schätzt Umweltministerin Tanja Gönner die verbleibende Laufzeit der Sonderabfalldeponie Billigheim (Neckar-Odenwald-Kreis). Beim Sondermüll beschworen die Politiker lange den Entsorgungsnotstand, inzwischen bieten die Entsorger Kapazitäten ohne Ende an. "Das Land muss den Bürgerinitiativen überaus dankbar sein, dass die den Bau von zwei Verbrennungsanlagen verhindert haben", meint der Grünen-Abgeordnete Franz Untersteller.

Selten haben sich Politiker so geirrt. Vor 20 Jahren wollte der damalige Umweltminister Erwin Vetter (CDU) in Baden-Württemberg zwei Sondermüllöfen mit einer Jahreskapazität von 100 000 Tonnen bauen, um den vermeintlich drohenden Entsorgungsnotstand zu vermeiden. 250 Millionen Euro waren für jede der Anlagen in Kehl und in Böblingen veranschlagt. Über Jahre kamen die Planungen nicht voran, weil vor Ort die Bürger und die Grünen protestierten. Vetter-Nachfolger Harald B. Schäfer (SPD) schloss einen Vertrag mit Hamburger Verbrennungsgesellschaft AVG und verpflichtete sich zur Lieferung 20 000 Tonnen pro Jahr.

Schon 1999 reichte der Müll nicht mehr. In jenem Jahr musste erstmals Vertragsstrafe bezahlt werden. 718 000 Euro waren es. Mittlerweile hat das Land 5,6 Millionen Euro bezahlt. Nur in der Hochkonjunktur der letzten beiden Jahre kam die Mindestmenge zusammen. Trotz der Strafzahlungen hat sich die Sache nach Gönners Ansicht gelohnt: "Im Vergleich zu den ursprünglich geplanten landeseigenen Anlagen für 250 Millionen Euro je Anlage sind damit exorbitante Minderkosten festzustellen."

Zu den großen Irrtümern der Umweltpolitik gehören auch die Prognosen für Billigheim. Das von Schäfer eingesetzte Forum für Sonderabfallwirtschaft schätzte 1994 die verbleibende Laufzeit der einzigen Sondermülldeponie in Baden-Württemberg auf 15 bis 25 Jahre. Exakt 15 Jahre später beziffert Gönner die aktualisierte Restlaufzeit noch immer auf bis zu 25 Jahre. "Selbst für die Zeit danach kann angesichts der Untertagedeponie Heilbronn und des Versatzbergwerkes Kochendorf auf die Planung neuer Deponiekapazität komplett verzichtet werden", ist Untersteller überzeugt.

Der Hamburg-Vertrag läuft Ende 2011 aus. Gönner verweist auf erhebliche Überkapazitäten bei den Sondermüllöfen in Deutschland. Zum Beispiel die HIM GmbH als Betreiber der Anlage im hessischen Biebesheim zeige "großes Interesse" an Müll aus Baden-Württemberg.

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