Lage in der Türkei, Terrorismusgefahr und AfD

Komplettes Interview mit Muhterem Aras

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Die neue Landtagspräsidentin im Südwesten: Muhterem Aras.

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Muhterem Aras (Grüne) wurde Mitte Mai zur Präsidentin des Stuttgarter Landtags gewählt. Im Gespräch mit unserer Zeitung findet die 50-Jährige klare Worte zur Lage in der Türkei, zur Terrorismusgefahr und zur AfD.

Frau Aras, die jüngsten Anschläge sind unterschiedlich zustande gekommen, aber meist waren Menschen mit Migrationshintergrund beteiligt. Waren wir hier zu blauäugig im Umgang mit Flüchtlingen?

Aras: Nein. Man darf nicht vergessen, dass der Anschlag in München oder auch in Frankreich oft von Menschen ausging, die deutsche oder französische Staatsbürger waren. Das Ziel der Terroristen ist es, einen Spalt zwischen Muslime und Angehörige anderer Religionen zu treiben. Wir müssen uns überlegen, wie wir den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken und sich diese Menschen besser mit unserer Gesellschaft identifizieren können.

Wo gibt es Defizite?

Aras: Integration ist ein Prozess, der Jahre in Anspruch nimmt. Ein Versäumnis sehe ich darin, dass sich die Politik beim islamischen Religionsunterricht in deutschen Schulen zu lange herausgehalten und den Unterricht den Moscheen überlassen hat. In die Moscheen kommen allerdings Imame aus den Herkunftsländern für drei Jahre, ohne unsere Gesellschaft zu kennen. Und wir wissen nicht, was in den Moscheen gepredigt wird. Es gibt sicher Moscheen, in denen eine sehr gute Arbeit geleistet wird. Aber ich würde mir wünschen, dass wir flächendeckend den Islamunterricht an unseren Schulen anbieten. Bisher gibt es ja nur Modellprojekte. Der islamische Religionsunterricht muss langfristig in deutschen Schulen, in deutscher Sprache, von in Deutschland ausgebildeten Theologen und Wissenschaftlern unterrichtet werden. Wir wollen keinen Import von Imamen. Das muss beendet werden.

Muss die Terrorismusgefahr auch in Moscheen thematisiert werden?

Aras: Terror ist mit nichts, mit gar nichts zu legitimieren. Ich würde mir schon wünschen, dass dies auch in Moscheen thematisiert wird. Natürlich wird der Islam für den Terror instrumentalisiert. Deshalb wäre es gut - sofern es nicht schon geschieht -, dass zum Beispiel in Freitagsgebeten in Moscheen auf die Terrorangriffe eingegangen wird und diese verurteilt werden. Das wäre auch eine Bitte von mir an die Moscheengemeinschaft.

Müssen wir aufpassen, dass Muslime nicht in Generalverdacht geraten?

Aras: Generalverdacht hat noch nie geholfen. Wir müssen uns davor hüten. Die Masse der Muslime ist friedlich und dankbar, dass sie in dieser freiheitlichen Ordnung hier leben kann.

Kommen wir zur Türkei: Ist das Risiko groß, dass die innertürkischen Konflikte auch in Deutschland ausgetragen werden?

Aras: Ich weiß natürlich, dass es auch bei uns Demonstrationen gibt. Dies liegt daran, dass Staatspräsident Erdogan auch eine massive Wirkung auf die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland hat. Das bedauere ich außerordentlich. Ich würde mir wünschen, dass Herr Erdogan zur Besonnenheit aufrufen würde. Er kann über Nacht per SMS Hunderttausende Menschen auf die Straße bewegen. Entscheidend ist, dass wir bei jeder Auseinandersetzung bei uns in keinster Weise Gewalt tolerieren werden.

Spüren Sie selbst Anfeindungen?

Aras: Nach der Verabschiedung der Armenien-Resolution im Bundestag habe ich etliche Hass-Mails aus der türkischen Community bekommen und wurde auch als Verräterin beschimpft. Klar ist: Ich bin keine türkische Politikerin und nicht der verlängerte Arm der Türkei, sondern eine deutsche Politikerin.

Viele Deutschtürken unterstützen Erdogan. Verstehen Sie das?

Aras: Nein. Ehrlich gesagt bin ich entsetzt über das Verhalten vieler Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, die freiheitliche Ordnung hier kennengelernt haben und hier von der Rechtsstaatlichkeit, Vielfalt und Offenheit profitieren. Und dass genau diese Menschen die Politik Erdogans unterstützen und mit ihr sympathisieren, ist unglaublich. Wir müssen versuchen, diese Menschen für unsere Gesellschaft zu gewinnen. Jeder Mensch mit türkischen Wurzeln muss sich schon fragen: Wo ist mein Lebensmittelpunkt? Und wenn ich in einer Gesellschaft lebe, habe ich nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Dazu gehört, dass man vernünftig miteinander umgeht und nicht, wie bei der Armenien-Resolution geschehen, Morddrohungen gegen türkischstämmige Bundestagsabgeordnete ausspricht.

Ist auch die türkische Gesellschaft bei uns mehr gefragt?

Aras: Ich finde schon, dass vor allem die Erdogan-Anhänger bei uns gefragt sind. Wenn sie als deutsche Staatsbürger und als Teil dieser Gesellschaft anerkannt werden wollen, dann müssen sie sich auch zu hundert Prozent zu dieser Gesellschaft bekennen. Das heißt, dass die Grundwerte unserer Verfassung wie etwa die Meinungsfreiheit gelten und dass diese nicht wie in der Türkei mit Füßen getreten werden. Die türkische Community muss den Beweis erbringen, dass sie sich von der Ideologie der Türkei, die in bestimmten Bereichen gegen unsere Werte verstößt, emanzipiert hat. Es gibt allerdings auch eine große Masse unter den Deutschtürken, die die Erdogan-Politik ablehnen. Leider sind sie nicht so deutlich hörbar.

Hat die Politik von Erdogan in der Türkei schon diktatorische Züge?

Aras: Ich bin zum einen froh, dass der Militärputsch nicht erfolgreich war. Aber wenn man mit der Regierung nicht zufrieden ist, sollte man dies bei der nächsten Wahl zum Ausdruck bringen. Es erfüllt mich mit Sorge, wie die türkische Regierung mit Putschisten und Regierungskritikern umgeht. Wenn wenige Stunden nach dem Putsch fast 3000 Richter ihres Amtes enthoben werden und 50 000 Lehrer aus den Schulen genommen werden, frage ich mich schon, ob die Rechtsstaatlichkeit weiter gegeben ist. Wenn Erdogans Anhänger auf die Straße gehen mit Sprüchen wie "Sage und wir töten, sage und wir sterben", ist das wirklich schlimm.

Blicken wir auf den Stuttgarter Landtag: Wünschen Sie sich, dass die aufgespaltenen AfD-Fraktionen wieder zusammenfindet?

Aras: Wir haben drei Verfassungsrechtler damit beauftragt, ein Gutachten zu erstellen. Sie sind zu dem klaren Ergebnis gekommen, dass die Aufspaltung in zwei Fraktionen zulässig ist. Wir werden beide finanziell so ausstatten wie andere Fraktionen. ABW und AfD fordere ich auf, möglichst rasch für klare Verhältnisse zu sorgen.

Was kostet die Spaltung der AfD in zwei Fraktionen?

Aras: Die Mehrkosten für eine weitere Fraktion betragen rund 63 000 Euro pro Monat. Das ist der Preis für die Demokratie. Diese Mehrkosten müssen die Abgeordneten der AfD und der ABW gegenüber den Steuerzahlern auch rechtfertigen.

Die Gutachter sagen, man kann solche Parallelfraktionen nur für die Zukunft verbieten. Ab wann könnte ein solches Verbot greifen?

Aras: Das könnte sehr schnell greifen. Wir können die Geschäftsordnung dahingehend ändern, dass auch in der laufenden Legislaturperiode die Bildung von Parallelfraktionen verhindert werden kann. Die Geschäftsordnungskommission hat schon zwei Sitzungen gehabt. Wir werden bald eine Vorlage für eine Änderung erarbeiten, wonach Parallelfraktionen ab sofort nicht gebildet werden können. Das gilt dann aber nicht mehr rückwirkend für die aktuelle AfBW-Fraktion.

Ab wann könnten dann Parallelfraktionen im Land verboten sein?

Aras: Die neue Regelung könnte schon ab dem Herbst in Kraft treten.

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