Stuttgart. „Nicht wirkmächtig genug“, „viel zu kleinteilig“ oder zu bürokratisch – das Urteil des Klima-Sachverständigenrats an der Klimaschutzpolitik der Landesregierung ist deutlich. Mit den bisherigen Erfolgen beim Klimaschutz könne das Zwischenziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65 Prozent zu senken, nicht erreicht werden. „Wir brauchen in allen Sektoren eine völlig neue Dimension der Treibhausgasminderung, sowohl was die jährlichen Minderungsmengen als auch was die Minderungsgeschwindigkeiten angeht“, sagte Maike Schmidt, Vorsitzende des Expertengremiums am Freitag in Stuttgart.
Lediglich um 0,4 Prozent sei der Ausstoß von Treibhausgasen im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Im Vergleich zum Jahr 1990 seien die Emissionen um 21 Prozent gesunken. Wie sieht es in den einzelnen Sektoren aus?
Energie: Besonders schlecht hat sich die Lage in der Energiewirtschaft entwickelt. Dort sind die Emissionen im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr sogar um rund 10 Prozent angestiegen. Als Grund nennen die Sachverständigen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und die damit verbundene Energiekrise. Diese habe zu einer massiven Steigerung der Stromerzeugung aus Steinkohle geführt. Für den Klimaschutz sei das ein herber Rückschlag. Die Klimaziele könnten in dem Sektor aber dennoch bis 2030 erreicht werden. „Hierfür sind zwei Dinge entscheidend: Erstens der Ausstieg aus der Steinkohle bis 2030 und zweitens der massive Ausbau von Windenergie und Photovoltaik“, sagte Schmidt.
Industrie: Um zehn Prozent sind die Emissionen in der Industrie gegenüber dem Vorjahr gesunken. Was auf den ersten Blick nach einer guten Nachricht klinge, sei auf den zweiten Blick sehr kritisch zu sehen, sagte Schmidt. Ursache seien überwiegend Produktionsrückgänge wegen der Energiekrise und des Mangels an Rohstoffen. Klimaschutz durch Deindustrialisierung könne aber kein Ziel sein.
Gebäude: Im Gebäude-Sektor gingen die Emissionen im vergangenen Jahr ebenfalls zurück – allerdings laut Expertenrat nur auf den Stand des Jahres 2014. Um das Ziel für 2030 zu erreichen, müsse sich der jährliche Einsparbetrag fast verfünffachen. Nach den Debatten um das Heizungsgesetz bräuchten Kommunen und Gebäudebesitzer nun Orientierung vom Land, wie die Wärmewende umgesetzt werden soll. Finanzielle Förderprogramme sollten aus Sicht der Experten zudem mit mehr Geld ausgestattet und darauf ausgerichtet werden, eine sozial verträgliche Wärmewende zu fördern.
Verkehr: Sorgenkind bleibt weiter der Verkehrssektor. Dort sind die Emissionen im Jahr 2022 um 0,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. „Von Treibhausgasminderung ist hier noch nichts zu erkennen“, kritisierte Schmidt. Lob bekommt die Landesregierung dafür, dass sie eine Strategie zur Verkehrswende hat. Damit könne die Trendwende gelingen. „Die bisherigen positiven Ansätze müssen dazu aber noch deutlich weiterentwickelt werden. Klimaneutrale Mobilität, egal ob zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem ÖPNV oder dem Auto, muss noch deutlich konsequenter priorisiert werden“, sagte Schmidt.
Landwirtschaft: Auch in diesem Sektor gingen die Emissionen im vergangenen Jahr zurück, jedoch aus Sicht der Experten nicht genug. „Auch wenn die bisherigen Maßnahmen in die richtige Richtung gehen, lassen sie insgesamt die Konsequenz in der Umsetzung der notwendigen Transformation des Landwirtschaftssektors noch vermissen. Ohne eine deutliche Verstärkung wird das Sektorziel 2030 hier verfehlt“, sagte Schmidt. So müsse etwa der Konsum tierischer Produkte reduziert werden, zudem solle der Verlust von Lebensmitteln stärker vermieden werden, raten die Experten.
Landesverwaltung: Anders als das gesamte Bundesland will die Landesverwaltung bereits bis 2030 komplett klimaneutral sein. Aus Sicht der Experten ist sie dabei aber auf keinem guten Weg. „Die Landesverwaltung befindet sich nach unserer Analyse auf ihrem Reduktionspfad in einem erschreckend frühen Stadium“, sagte Schmidt. Vorhaben müssten schleunigst von der Planung in die Realisierung wechseln.
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