Frau Schopper, nach den Sommerferien wird in den Grundschulen jede Woche zweimal laut gelesen. Haben Sie ein schlechtes Gewissen, weil die Leseförderung so lange auf sich warten ließ?
Theresa Schopper: Nein, ich bin im Gegenteil froh, dass wir nach den Sommerferien an allen 2400 Grundschulen damit starten können. 400 Schulen praktizieren diese Art der Leseförderung schon freiwillig. Die Rückmeldungen sind sehr gut. Ein Mannheimer Konrektor hat mir berichtet, dass er nicht für möglich gehalten hätte, wie schnell man bei diesem Programm Erfolge sieht. Schon nach kurzer Zeit lesen und verstehen die Kinder viel mehr Wörter als vorher.
Wieso geht so etwas nicht schneller?
Schopper: Klar hätte die Bildungspolitik insgesamt viel früher den Fokus auf die frühen Schuljahre legen können. Seit der IQB-Studie vom letzten Herbst ist für mich aber klar: Ich mache das und stelle die Grundschule ins Zentrum meiner Schulpolitik. Da lasse ich auch nicht mehr locker. Im Übrigen sind solche Prozesse immer kompliziert: Man muss Lizenzen kaufen, Schulen informieren, Fortbildner qualifizieren, Lehrer schulen, Schulämter einbinden. Was wir von Oktober bis Mai vorgelegt haben, ist ein Tempo, das nicht alltäglich ist.
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Seit der IQB-Studie weiß man, dass die Hamburger Laut-Lese-Praxis Erfolg hat. Wieso können Lehrkräfte so ein Modell nicht aus dem Stand in den Unterricht integrieren? Das sind doch Profis.
Schopper: Ich habe viele Lehrer kennengelernt, die für ihren Beruf brennen. Dass die neue Leseförderung jetzt Pflicht ist und ein klares Konzept mit verteilten Rollen hat, macht den entscheidenden Unterschied. Aber auch Profis müssen eben mit den Details eines solchen Programms über Fortbildungen vertraut gemacht werden. Auch ein Arzt kennt nicht jede Behandlungsmethode, obwohl er approbierter Mediziner ist.
Bekommen die Grundschulen zusätzliche Unterrichtszeit fürs Lesen, oder muss das woanders abgeknapst werden?
Schopper: In Deutsch haben wir mit sieben Wochenstunden im Schnitt der ersten vier Klassen mehr Unterricht als Hamburg mit knapp sechs. Wir haben in der Vergangenheit die Stundentafel in Deutsch und Mathematik um eine Stunde erhöht. Zusätzlich hat meine Vorgängerin zwei Fremdsprachenstunden für Deutsch und Mathematik umgewidmet. Wir sind also in Deutsch gut aufgestellt.
Laut der jüngsten Iglu-Lesestudie machen die OECD-Länder im Schnitt jede Woche 205 Minuten Leseförderung. Das sind 45 Prozent mehr als in Deutschland mit 141 Minuten.
Schopper: Es geht ja nicht nur um die Zeit, sondern genauso auch um Regelmäßigkeit und Methode. Das Laut-Lesen steht ab jetzt mindestens zweimal wöchentlich mit zwanzig Minuten auf dem Stundenplan, im Deutschunterricht kommen dann weitere Elemente hinzu.
Wie überprüfen Sie, ob das neue Lese-Programm - individuell bei jedem Schüler und systemisch - erfolgreich ist?
Schopper: Wir evaluieren regelmäßig. Zum Beispiel wird schlicht gezählt, wie viele Wörter ein Kind vor vier Wochen gelesen hat, und wie viele es jetzt sind.
Können Sie an den Grundschulen zusätzliche Lehrkräfte einsetzen?
Schopper: Wir können über das Corona-Programm Rückenwind, das erneut verlängert wurde, mehr Personal an die Schulen bringen. Das hilft uns, und diese Hilfe können wir mehr als gut gebrauchen. Die Grundschulen werden im nächsten Schuljahr 18 000 zusätzliche Schüler haben. Das ist der größte Aufwuchs, den es im Land je gab und vor allem bedingt durch Geflüchtete aus der Ukraine und anderen Ländern. Wir müssen umgerechnet rund 650 zusätzliche Klassen bilden.
Wie sind die Lehrereinstellungsverfahren fürs nächste Schuljahr angelaufen?
Schopper: Für die Grundschulen bekommen wir mehr Bewerber aus den Pädagogischen Hochschulen. Ansonsten gibt es keine Anzeichen, dass die Lage deutlich besser wird. Der Ersatzbedarf bleibt mit 6000 Stellen wegen Schwangerschaften und Pensionierungen weiter hoch. Es bleibt dabei, dass wir eine Durststrecke von schätzungsweise zehn Jahren vor uns haben.
Die Steuereinnahmen sinken. Wie wappnen Sie sich für härter werdende Verteilungskämpfe?
Schopper: Bildung ist neben der Polizei die zentrale föderale Verantwortung der Landespolitik. Es ist außerdem die Voraussetzung für Innovation. Darauf sind wir im Klimaschutz, in der Wirtschaft und im Blick auf den sozialen Frieden angewiesen.
Stellen Sie sich darauf ein, Ihren Etat gegen Kürzungswünsche zu verteidigen, wenn die Grünen nach Geld für die Mobilitätsgarantie und das Abwracken alter Heizungen suchen?
Schopper: Unser Etat hat wenig frei flottierende Mittel und hohe Personalausgaben. Die sind fix. Wir priorisieren intern aber ganz genau, was wir brauchen und was nicht.
Wie stehen Sie zum Vorschlag Ihrer Partei, die Grundschullehrer künftig nach A 13 zu bezahlen?
Schopper: Wir reden über 185 Millionen Euro, die das strukturell kosten würde. Das habe ich auf absehbare Zeit nicht im Haushalt. Hinzu kommen weitere Hürden, denn die Einstiegsbesoldung hängt nicht zuletzt an der Studiendauer. Wenn Grundschullehrer im Land zehn Semester studieren, fehlt in der jetzigen Situation plötzlich ein ganzer Absolventenjahrgang. Das könnten wir im Moment gar nicht ausgleichen.
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