Amoktat

Keine Spezialisten im Land

Eine Minute nachdem am vergangenen Donnerstag im Norden Hamburgs geschossen wurde, traf eine spezialisierte Polizeieinheit am Tatort ein. Im Südwesten fehlt solches Personal

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Stn
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Festnahme eines Dealers: Razzien gehören zum Alltag der BFE-Kräfte, ohne dass diese dafür ausgerüstet sind. © Franz Feyder

Stuttgart. Eine Minute nachdem am vergangenen Donnerstag im Norden Hamburgs geschossen wurde, traf eine spezialisierte Polizeieinheit am Tatort ein. Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) ist sich sicher, dass die sogenannte USE „das Tatgeschehen unterbrach, Verletzte barg und rettete und so zahlreiche Menschenleben rettete“. Der Senat der Hansestadt Hamburg stellte die „Unterstützungsstreife für erschwerte Einsatzlagen“ im Oktober 2020 auf – in Baden-Württemberg gibt es eine vergleichbare Einheit nicht.

Was macht die Hamburger Polizeieinheit USE?

Besonders ausgebildet und ausgestattet schließt die USE die Lücke zwischen dem Streifendienst und dem Spezialeinsatzkommando (SEK). Die Beamtinnen und Beamten der Einheit sollen eingreifen, wenn Menschen durch gewaltbereite Täter bedroht oder gefährdet werden. Sie überwältigen Randalierer, beenden Schlägereien, sollen bei Amoklagen wie jetzt im Hamburger Stadtteil Alsterdorf das Tatgeschehen unterbrechen. Zudem sollen sie die Voraussetzungen schaffen, damit Polizisten des SEK schneller und effektiver eingesetzt werden können oder deren Einsatz absichern. Die Besonderheit in Hamburg: Jeden Tag sind mindestens acht USE-Polizisten im Streifendienst eingesetzt, um bei besonderen Ereignissen schnell vor Ort zu sein. Diese Streifen – so ein Sprecher der Hamburger Polizei –„werden sechs- bis achtmal täglich“ angefordert.

Wer ist in der Einheit, und wie ist diese ausgerüstet

Bei der USE gilt ein besonderes Einsatzkonzept, das die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) der Bereitschaftspolizei realisieren. In der Hansestadt Hamburg sind die Mitglieder der BFE speziell ausgerüstet und ausgebildet und unterscheiden sich so von den grundsätzlich vergleichbaren Einheiten einiger Bundesländer wie Baden-Württemberg. So verfügen die Beamten außer der normalen Ausrüstung wie Pistolen und Maschinenpistolen auch über ballistische Schutzschilde und -helme und Gewehre des Typs Haenel CR 223. Auch mit Kettenhemden ist die Einheit ausgerüstet, um mit Messern und Beilen bewaffnete Täter überwältigen zu können.

Ist das Konzept spezialisierter Polizeieinheiten neu?

Das Konzept spezialisierter Polizeieinheiten ist hierzulande nicht neu: Mehrere Bundesländer haben in Deutschland sogenannte BFE+ aufgebaut, die ähnlich ausgestattet und ausgebildet wie die Hamburger USE in ähnlichen Lagen eingesetzt werden. Im Bundesland Bayern heißt diese Einheit Unterstützungskommando (USK). Baden-Württemberg gehört zu den wenigen Bundesländern, die auf eine solche Einheit verzichten. Einzigartig in Hamburg ist, dass die USE in den täglichen Streifendienst integriert wurde. Dieses in Deutschland auf Stadtstaaten ausgelegte Konzept verfolgte als erstes weltweit die Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung (WEGA). Seit 1994 verstärken die Beamten und Beamtinnen den Streifendienst. Den Terroranschlag am 2. November 2020 in Wien beendeten sie nach wenigen Minuten, indem sie den Attentäter erschossen.

Warum verfügt Baden-Württemberg über keine solche Einheit?

Die Frage kann schlicht nicht beantwortet werden. Argumente gegen den Aufbau einer solchen Einheit sind in der Politik bislang nicht ausgetauscht worden, obwohl die Polizei des Landes nahezu täglich die sechs BFE für schwierige Durchsuchungen und Razzien hinzuzieht. Das Spezialeinsatzkommando hofft auf eine Einheit, die sie in ihren Einsätzen unterstützt – und die dafür auch ausgerüstet und ausgebildet ist. Das Potenzial der sechs BFE im Land wird allenfalls rudimentär ausgeschöpft.

Was ist die Aufgabe der BFE in Baden-Württemberg

Baden-Württemberg stellte als eines der letzten deutschen Bundesländer seine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) 1997 auf. Die sechs Einheiten des Landes sind in Bruchsal und Göppingen stationiert. Die Aufgabe der BFE ist es, gezielt bei Demonstrationen gegen gewalttätige Störer vorzugehen und diese beweissicher festzunehmen. In den vergangenen Jahren wurde das Einsatzkonzept der Einheiten weiterentwickelt: Sie werden zunehmend zur Bekämpfung von Schwerstkriminellen, zur Terrorabwehr und zur Unterstützung der Spezialeinsatzkommandos herangezogen. Baden-Württemberg ist eines der letzten deutschen Bundesländer, das bislang keine dieser sogenannten BFE+ aufgestellt, ausgebildet und ausgerüstet hat.

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