Meßstetten. Wer sehen möchte, wie sich eine kleine Stadt innerhalb kurzer Zeit verändert, kann dies auf der Schwäbischen Alb beobachten. Hier liegt Meßstetten, 5000 Einwohner in der Kernstadt, umgeben von saftig grünen Wiesen und Wäldern. Im August 2014 hat die baden-württembergische Landesregierung entschieden, dass die dortige Kaserne in eine Landeserstaufnahmestelle (Lea) für Flüchtlinge umgewandelt wird. Übergangsweise, bis 2016.
Geplant war, 500 bis 1000 Asylsuchende die ersten Wochen nach ihrer Ankunft in Deutschland unterzubringen, ehe sie dann an die Kreise verteilt werden. Heute leben bis zu 1500 Menschen in der früheren Kaserne. Sie kommen überwiegend aus Syrien, dem Irak, aus Eritrea, Somalia, Afghanistan und den Balkanstaaten. 70 Prozent Muslime, 80 Prozent Männer, 15 Prozent sind jünger als 18 Jahre. Die Verhältnisse seien so, als wären in Stuttgart 180 000 Flüchtlinge, klagt der Landrat des Kreises, Günther-Martin Pauli (CDU). Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erklärt hingegen, Überbelegungen in Notzeiten seien unvermeidbar.
Garten als Toilette missbraucht
Mittagszeit, das Thermometer zeigt über 30 Grad an. Etliche Flüchtlinge nehmen den rund halbstündigen Fußmarsch von der Kaserne zum Meßstettener Ortskern auf sich. Sie wandern über Feldwege und durch Wohngebiete. Beliebter Treffpunkt ist der Lidl-Markt. Hier versammeln sich vor allem Männer, reden, trinken Bier und Schnaps. Der Discounter hat bereits Security-Leute engagiert, verdient aber an den Flüchtlingen auch gut. 143 Euro Taschengeld bekommt ein allein stehender Flüchtling pro Monat, dazu kann sich jeder durch Putzdienste in- und außerhalb der Lea 1,05 Euro pro Stunde dazuverdienen. Einige habe auch Erspartes von zu Hause mitgebracht.
Joachim Spähler und Erika Zahner wohnen auf der anderen Straßenseite des Einkaufsmarktes. Dass die Flüchtlinge ihre Wiese gerne als Toilette nutzen, ärgert das Paar maßlos. "Sie pöbeln herum und erledigen ihr Geschäft in unserem Garten", sagt Spähler. 50 bis 80 Flüchtlinge würden momentan kommen. "Erst gestern waren drei Polizeiautos hier, weil es eine Schlägerei gab", berichtet Spähler. Inzwischen haben die beiden ein rot-weißes Absperrband an ihrer Grundstücksgrenze angebracht. "Halt! Privatgelände!" ist zudem auf einem Schild auf Deutsch und auf Englisch zu lesen. "Die Stimmung im Ort ist schlecht geworden", sagt Spähler. Der Eindruck bestätigt sich, redet man mit Bürgern. Friseure würden Flüchtlinge ablehnen, Gastronomen ebenso, ist zu hören.
"Ich muss immer ein Auge auf meine Kinder haben", sagt die zweifache Mutter Manuela Kurtoglou und blickt auf die entgegenkommenden Männer, die Plastiktüten und Bierflaschen tragen. "Die Stimmung kippt auf jeden Fall", sagt eine Anwohnerin. Ihre Walking-Touren über die Felder habe sie inzwischen eingestellt. Sie wohnt am Steigweg, den die Flüchtlinge in Richtung Stadt passieren. Einige bezeichnen den Steigweg abwertend als "Asylantenautobahn". Auch das bekommt man in Meßstetten zu hören.
Mehr Ladendiebstahl
"Wir haben jede Nacht einen Einsatz", sagt Hermann Linder. Er leitet die Polizeiwache direkt an der Lea. Trotzdem handelt es sich fast immer um kleinere Delikte. Raufereien, Ruhestörung. "Was halt so anfällt, wenn eine große Personenzahl auf engstem Raum lebt." Probleme gebe es meist nicht draußen, sondern nur innerhalb der Lea, also zwischen Flüchtlingen. Viele von ihnen kommen aus Kulturkreisen, in denen Frauen als minderwertig angesehen werden. Einen Fall von sexueller Belästigung habe es bisher gegeben. Ob es jedoch in der Lea zu Fällen häuslicher Gewalt gegen Frauen komme, kann der Polizist nicht sagen. Gestiegen ist die Zahl der Ladendiebstähle. 2014 wurden in Meßstetten 35 Fälle angezeigt. Eine Zahl, die 2015 alleine im Januar schon fast erreicht wurde.
"Die Bevölkerung zeigt sich zunehmend kritischer", sagt Meßstettens Bürgermeister Lothar Mennig (parteilos). Vor wenigen Tagen musste er sich in einer Versammlung dem Ärger der Bürger stellen. In der Stadt gibt es laut Mennig Zweifel, ob sich Baden-Württemberg an seine Zusage hält und 2016 den Flüchtlingsstandort schließt.
Streetworker Axel Leukhardt bringt Flüchtlingen bei, wie sie sich in der Stadt verhalten sollen. Zudem gibt es laut Mennig "immer noch 90 bis 100 Ehrenamtliche, die sich für die Flüchtlinge engagieren". Zu finden sind die Helfer vor allem in der Begegnungsstätte, die auf dem Areal eines ehemaligen Soldatenheims eingerichtet wurde und sich zu einem Anlaufpunkt entwickelt hat.
Landeserstaufnahmestellen in Baden-Württemberg
In Baden-Württemberg gibt es derzeit Landeserstaufnahmeeinrichtungen (Leas) für Flüchtlinge in Karlsruhe, Ellwangen und Meßstetten.
In Mannheim befindet sich eine Außenstelle der Karlsruher Einrichtung mit einer Kapazität von rund 750 Plätzen.
Noch in diesem Jahr soll die Außenstelle durch eine eigene Landeserstaufnahmestelle ersetzt werden.
Zudem sollen ab Sommer 2016 in Freiburg und in Schwäbisch Hall neue Leas den Betrieb aufnehmen. Gestern gab das Integrationsministerium außerdem bekannt, dass in Sigmaringen und Tübingen bedarfsorientierte Aufnahmeeinrichtungen entstehen sollen. mis
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/politik_artikel,-laender-in-messstetten-kippt-akzeptanz-_arid,679684.html