Rechtsextremismus - Fast jedes fünfte Mitglied im Südwesten weiblich / Verfassungsschützer über Entwicklung besorgt

Immer mehr Neonazi-Frauen

Von 
Michael Schwarz
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Stuttgart. Sie geben sich adrett, sind die netten Frauen von nebenan, die fürsorglichen Mütter. Die Zeiten, in denen rechtsextremistische Frauen an ihrer schwarzen Kleidung, Bomberjacken und Springerstiefeln zu erkennen waren, sind lange vorbei. So verwundert es nicht, dass auch Beate Zschäpe von der Zwickauer Terrorzelle mit ihren nichts ahnenden Nachbarn schöne Gartenpartys feierte.

Dazu passt die Entwicklung in Baden-Württemberg. Laut Verfassungsschützern ist im Land knapp jedes fünfte Mitglied im rechtsextremistischen Milieu, zu dessen Kern derzeit knapp 2000 Personen zählen, weiblich. Der Anteil der Frauen ging in den vergangenen 15 Jahren kontinuierlich nach oben. "Die Bewegung ist moderner geworden, hat ein poppiges Auftreten", sagt Frank Dittrich, Leiter der Abteilung Rechtsextremismus im Landesamt für Verfassungsschutz in Stuttgart. Daher seien immer mehr junge Frauen für braunes Gedankengut empfänglich. Innerhalb des Milieus sei ein Drittel der 16- und 17-Jährigen weiblich.

Ellen Esen beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit Rechtsextremismus. Den Statistiken des Verfassungsschutzes traut sie nur begrenzt. "Wenn man das gesamte Umfeld nimmt, ist der Frauenanteil deutlich höher. Das Gedankengut bei Frauen und Männern unterscheidet sich nicht", sagt sie.

Vier Kinder

Die Karlsruher Politologin kennt auch die zentralen weiblichen Köpfe der rechtsextremistischen Szene im Land. Wenn sie darüber spricht, fällt sofort der Name Edda Schmidt, eine 64-Jährige aus Bisingen im Zollernalbkreis. "Sie ist ein NPD-Urgestein", sagt Esen. Schmidt sitzt im Landesvorstand der NPD und ist die Landesvorsitzende der Frauenorganisation der Partei, des Rings Nationaler Frauen (RNF). Sie gebe sich als "gemütliche Großmutter von nebenan", sagt Esen. In ihrer Familie sei sie bereits mit rassistischem Gedankengut sozialisiert worden. Dieses gebe sie seit Jahren aktiv an Jüngere weiter. Dass Schmidt vier Kinder habe, sei nicht verwunderlich, so die Wissenschaftlerin. "In der Szene heißt es, jede deutsche Frau solle mindestens vier Kinder gebären, um den Volkstod zu vermeiden", erklärt Esen.

Es sind Gedanken wie diese, die in den Köpfen von Neonazis vorhanden sind, sagt Dittrich. Auch wenn der Frauenanteil zunehme, sei die gesamte Szene nach wie vor "sehr männerdominiert". So kursierten skurrile Bilder, auf denen - vergleichbar mit dem Dritten Reich - Männer Berggipfel erklimmen und die großen Abenteurer seien. "Die Frauen müssen die Kinder bekommen und gehen der Hausarbeit nach", sagt Fabian Fehrle, Referatsleiter Rechtsextremismus im Landesamt für Verfassungsschutz. Inzwischen haben sich neben Schmidt noch weitere weibliche Vertreter innerhalb der Szene einen Namen gemacht. Allen voran die in Öhringen geborene Nicole Schneiders. Sie war während ihres Jurastudiums in Jena Stellvertreterin des NPD-Kreisvorsitzenden Ralf Wohlleben. Den Mann, der sich wegen der Mordserie der Zwickauer Terrorzelle verantworten muss, vertritt Schneiders derzeit auch im Münchener NSU-Prozess.

Soziale Netzwerke als Gefahr

Außerdem spricht Esen auch über Sabine R. aus Mannheim. Sie sei lange unter dem Pseudonym "Enibas" als Moderatorin in dem Nazi-Internetforum thiazi.net aufgetreten. Das Forum soll von einer heute 31-jährigen Frau aus Untereisesheim betrieben worden sein. Im Juni 2012 gingen die Behörden gegen das Forum vor, die Seite wurde vom Netz genommen.

Die Stuttgarter Verfassungsschützer beobachten den steigenden Frauenanteil im rechtsextremistischen Milieu des Landes weiterhin mit großer Sorge. Dittrich: "Gerade durch die sozialen Netzwerke rutschen viele Frauen in die rechte Szene hinein."

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