Interview - Die baden-württembergische Verkehrsstaatssekretärin Elke Zimmer (Grüne) hält nichts vom 9-Euro-Ticket, weil es nicht nachhaltig sei.

Grünen-Politikerin Zimmer: Einzelhandel ist auf dem Holzweg

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Walter Serif
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Grünen-Staatssekretärin Elke Zimmer hat schon seit 30 Jahren kein Auto mehr und fährt meistens mit dem Rad in die Mannheimer Innenstadt. © Christoph Blüthner

Die baden-württembergische Vekehrsstaatssekretärin Elke Zimmer unterstützt den Verkehrsversuch in Mannheim. Autofahrer und Handel müssten sich umstellen. In den Städten lebten viele Menschen, für die weniger Autos ein Gewinn wären.

Frau Zimmer, haben Sie sich schon ein 9-Euro-Ticket gekauft?

Elke Zimmer: Nein, noch nicht. Ich zögere noch, obwohl ich den Nahverkehr häufig nutze. Denn das Ticket ist ja auch eine sozialpolitische Aktion. Wer wenig Geld hat, sollte es nutzen, aber ich als Landtagsabgeordnete und Staatssekretärin . . .

. . . könnte eher 90 statt neun Euro zahlen . . ?

Zimmer: . . . Genau.

Den Staat kostet das 9-Euro-Ticket 2,5 Milliarden Euro. Wie nachhaltig ist das?

Zimmer: Überhaupt nicht. Das Ticket ist nur ein Strohfeuer, wenn der ÖPNV nicht nachhaltig gestärkt wird. Der Preis steht in keiner Relation zum Wert des öffentlichen Nahverkehrs. Ich hoffe aber, dass wenigstens einige Menschen, die jetzt den Nahverkehr für sich entdecken, nach drei Monaten dabeibleiben.

Kann nicht das Gegenteil eintreten: Notorische Öffis-Muffel fühlen sich in ihrer Meinung bestätigt, dass das mit dem Nahverkehr in Deutschland nicht funktioniert?

Zimmer: Klar, das kann passieren, wenn jetzt viele das Angebot nutzen und die Züge übervoll sind. Deshalb wird das Land Baden-Württemberg zumindest in den Tourismusgebieten wie dem Bodensee oder dem Odenwald alles auf die Schiene bringen, was wir irgendwo auf Halde haben. Aber auch da gibt es Grenzen, denn wir brauchen dazu Personal. Wir wollen außerdem wie die Bahn beim Fernverkehr schnell eine App entwickeln, die die Zugauslastung im Nahverkehr anzeigt.

Die Mannheimerin

  • Elke Zimmer (Jahrgang 1966) sitzt seit 2016 im baden-württembergischen Landtag. Die Grünen-Politikerin rückte damals für den verstorbenen Wolfgang Raufelder im Wahlkreis Mannheim II nach.
  • Bei der Landtagswahl im März 2021 verteidigte sie ihr Direktmandat. Seit Mai 2021 ist Zimmer Staatssekretärin im Verkehrsministerium.
  • Die Mutter dreier Kinder lebt seit 1990 in Mannheim

Das 9-Euro-Ticket hat die Ampel in Berlin beschlossen – Ihre Partei saß da mit am Tisch.

Zimmer: Ich bin nicht glücklich über diese Entscheidung. Das Geld hätte man besser in den Nahverkehr investieren sollen. Die Menschen steigen doch nur dann um, wenn die Züge regelmäßig und pünktlich fahren und sauber sind. Ein billiger Preis ist nicht das Hauptkriterium. Das sagen uns alle Wissenschaftler.

Welche Schulnote würden Sie dem Nahverkehr im Südwesten geben?

Zimmer: Im Landesdurchschnitt würde ich eine Zwei bis Drei geben. Aber es gibt natürlich Unterschiede, und vor allem ist in den letzten Jahren richtig viel passiert.

Mannheim kriegt bei Ihnen also eine Eins und Mosbach eine Fünf?

Zimmer: Ihre Frage zeigt das prinzipielle Problem auf. Es gibt Städte, in denen teilweise alle fünf bis zehn Minuten ein Zug kommt, in Orten auf dem Land fährt der Schulbus zweimal am Tag. Sonst gibt’s nicht viel, vom Wochenende ganz zu schweigen.

Da muss sich etwas ändern.

Zimmer: Eben. Deshalb haben wir in Baden-Württemberg die Mobilitätsgarantie als Ziel ausgegeben. Bis 2026 soll es in den Hauptverkehrszeiten flächendeckend eine Taktung von 30 Minuten auf dem Land und 15 Minuten in den Städten geben. Bis 2030 sollen diese Zeiten von morgens fünf Uhr bis Mitternacht gelten.

Klingt ehrgeizig – und teuer.

Zimmer: Ja, deshalb müssen alle einen Beitrag leisten. Die Länder fordern vom Bund jährlich 1,5 Milliarden Euro Regionalisierungsmittel mehr, das wären rund 160 Millionen für Baden-Württemberg. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass es zusätzliche Landesmittel geben soll. Außerdem sollen die Kommunen mit dem Mobilitätspass ein zweckgebundenes Finanzierungsinstrument in die Hand bekommen. Wir arbeiten mit 15 Modellregionen zusammen, Mannheim und Heidelberg sind auch dabei. Für den Mobilitätspass brauchen wir allerdings noch eine gesetzliche Grundlage, damit die Kommunen diese Abgabe erheben können. Dieses Gesetz soll voraussichtlich 2023 verabschiedet werden.

Wer muss dann zahlen?

Zimmer: Da gibt es verschiedene Modelle. Die Abgabe kann zum Beispiel von allen Einwohnern und Einwohnerinnen oder von den Kfz-Haltern erhoben werden. Wenn jeder Einwohner und jede Einwohnerin im Monat beispielsweise 60 Euro bezahlt, bekämen sie damit gleichzeitig diese 60 Euro als Mobilitätsguthaben für den öffentlichen Nahverkehr gutschrieben.

Wenn ich Auto fahre, ist das Geld also weg, wenn ich die Bahn nehme, komme ich mit null Euro raus.

Zimmer: Genau. Und die Kommune bekommt von jedem Einwohner verlässlich 720 Euro im Jahr und kann das Geld in den Nahverkehr stecken. Es gibt aber auch die Möglichkeit einer Arbeitgeberabgabe, die manche in die Diskussion bringen. Entschieden ist noch nichts.

Wir haben die ganze Zeit nur über den Nahverkehr geredet. Deutschland ist aber ein Autoland. In Mannheim gibt es jetzt wütende Proteste der Autofahrer und des Handels, weil die Kommune die Autos aus der Innenstadt teilweise aussperrt.

Zimmer: Diese Menschen können sich offensichtlich keine Stadt ohne Autos vorstellen. Die autogerechte Stadt hat dafür gesorgt, dass sich das mit der Zeit in den Köpfen festgefressen hat. Und der Einzelhandel glaubt, dass nur die autofahrenden Kundinnen und Kunden zufrieden sind. Dabei gibt es viele Beispiele im In- und Ausland, dass eine verkehrsberuhigte Stadt an Attraktivität gewinnen kann.

Haben Sie kein Auto?

Zimmer: Schon seit 30 Jahren nicht.

Perlen deshalb die Proteste der Autofahrer und des Handels einfach so an Ihnen ab?

Zimmer: Nein, die perlen nicht an mir ab. Aber ich finde, dass mehr Menschen als bisher ein Fahrrad oder die Straßenbahn nehmen könnten, wenn man in die Stadt will. Ich finde auch, dass der Einzelhandel auf dem Holzweg ist. Angst vor Veränderung ist gefährlich, und seit Corona ist der Druck auf den Handel noch größer geworden. Wir lassen uns per Internet fünf Paar Schuhe zur Auswahl schicken – vier davon gehen dann als Retoure auch noch kostenlos zurück. Das ist ein erstes Todessteinchen für den Handel. Einkaufen ist kein Erlebnis, wenn ich zwischen hupenden und parkenden Autos unterwegs bin. Der Handel muss diese Chance nutzen. Sonst geht er unter. Übrigens ist es ja nur eine Minderheit, die da laut schreit. In den Städten leben viele Menschen, die seit Jahrzehnten die Autoposer, den Lärm und die Abgase hinnehmen müssen. Für diese sind weniger Autos in den Städten ein Gewinn. Leider sind die ziemlich leise.

Die Autofahrer regen sich aber auch über die höheren Preise für Anwohnerparkscheine auf, die immer mehr Städte erheben. Und dass die Kommunen jetzt auch noch das Parken auf den Gehwegen eindämmen müssen, sorgt für weiteren Ärger.

Zimmer: Auch da haben die Autofahrerinnen und Autofahrer ein tradiertes Verhaltensmuster. Seit Jahrzehnten können sie ihre Fahrzeuge viele Stunden am Tag praktisch umsonst parken und belegen damit öffentlichen Raum. Und zum Thema Gehwege. Alle lernen in der Fahrschule: Parken auf dem Gehweg ist verboten, der ist für Fußgängerinnen und Fußgänger. Es stimmt, dass manche Kommunen das in den letzten Jahren nicht geahndet haben. Aber das muss sich ändern. Der öffentliche Raum ist für alle da. Autos gehören auf den privaten Parkplatz. Wer keinen hat, muss dafür auch mehr zahlen. Ich kann mir auch vorstellen, dass Anwohner ihr Auto künftig im Parkhaus abstellen müssen. Es ist keine Aufgabe der Allgemeinheit, für Autos kostenlose Parkplätze zur Verfügung zu stellen.

Ein anderes Thema: Finden Sie es gut, dass die Landtagsabgeordneten im Südwesten den kompletten Haushaltsplan auf Papier bekommen?

Zimmer: Nein, das muss dringend verändert werden. Wir Abgeordnete werden da ja regelrecht mit Papier überflutet. Ich will nicht wissen, wie viele Tonnen Papier das sind. Auch wenn wir Plenarsitzungen haben, liegen da große Stapel Papier herum. Die Landtagsverwaltung arbeitet hier zum Glück mit Hochdruck an der digitalen Umsetzung.

Letzte Frage: Finden Sie die „The Länd“-Kampagne nicht albern?

Zimmer: Überhaupt nicht. Die Merchandise-Artikel kommen besonders gut an. Ich kenne viele Menschen, die insbesondere die Hoodies und die T-Shirts cool finden.

Die Geschmäcker sind offensichtlich unterschiedlich.

Zimmer: Es ist doch interessant, dass es am Anfang große Kritik an dieser Kampagne gegeben hat. Aber inzwischen kommt „The Länd“ fantastisch bei den Leuten an. Die Kampagne hat einen Pfiff, den am Anfang viele nicht gesehen haben.

Stimmt es, dass das Land mit dem Slogan im Ausland Fachkräfte anwerben will?

Zimmer: Ja, aber die zweite Stufe der Kampagne wird wegen Corona erst im nächsten Jahr gezündet. Ich glaube, dass das auch im Ausland funktioniert. Dieser gelb-schwarze Farbkontrast und der ungewöhnliche Buchstabe „Ä“ sind Hingucker, die das Interesse der Leute für Baden-Württemberg wecken können. Ich bin sicher, das wird funktionieren.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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