Stuttgart. Rezession. Inflation. Wohlstandsverlust. Klimakrise. Pessimismus. Energiekrise. Rechtsextremismus. Krieg in der Ukraine. Krieg im Gazastreifen. Und, nun auch das noch, der Krieg gegen die Sternchen. Genauer gesagt, gegen Sternchen, Unterstriche und Doppelpunkte. Kaum irgendwo wird das Gendern derzeit so hitzig debattiert wie im Südwesten. Ein Heidelberger Rechtsanwalt, Klaus Hekking, CDU-Mitglied, ärgerte sich so sehr über die Sternchen, dass er ein Volksbegehren startete und 14 500 Unterschriften im Land sammelte. Damit wollte er ein Gender-Verbot in Behörden und Schulen durchsetzen. Hekking scheiterte mit seinem Antrag – nicht wegen der Rechtschreibung, sondern wegen Formalien.
Die CDU nahm den Ball trotzdem dankend auf – das Innenministerium lud Hekking zum Gespräch, schließlich auch die CDU-Fraktion, um sich mit den Gender-Gegnern zu solidarisieren. Fraktionschef Manuel Hagel sagte, was die Menschen wollten, seien keine Besonderheiten oder Extravaganzen, sondern sie wollten den Status quo. Es gehe um die gesellschaftliche Mitte. Gendern habe das Potenzial, einen weiteren Keil in die Gesellschaft zu treiben.
Nach der Sitzung verkündete Innenminister Thomas Strobl (CDU), dass er nun gegen das Gendern in der Verwaltung vorgehen wolle. Eine Verwaltungsvorschrift soll kommen, die Genderzeichen im Schriftverkehr der Landesbehörden verbieten soll. Schrägstrich, Binnen-I, Doppelpunkt, Unterstreichung, Sternchen, Klammer, sie sind bereits unzulässig in der Rechtssprache, also etwa in Gesetzen und Verordnungen. Man wolle nun sicherstellen, so Strobl, dass das „verbindlich für förmliches Verwaltungshandeln“ gilt.
Nun ist so mancher Grüner auf dem Baum wegen des Ansinnens des Koalitionspartners. Nicht Ministerpräsident Winfried Kretschmann –der hält gar nichts vom Gendern, findet sogar Formulierungen wie „Studierende“ doof. Fraktionsvize Oliver Hildenbrand aber wirft Strobl am Mittwoch vor, sich von Verbots-Ideologen treiben zu lassen. „Es sind die Gegner*innen einer geschlechtergerechten Sprache, die ständig über das Gendern reden wollen“, teilt Hildenbrand mit, Sternchen inklusive. „Einen Gender-Zwang herbeizufantasieren, um ein Gender-Verbot zu fordern – das ist und bleibt absurd.“
„Niemand wird vom Land zum Genderstern gezwungen“, sagt Innenminister Strobl. Zwang? Wo gibt es denn Zwang zum Gendern? Wie groß ist das Problem, dass die Christdemokraten so dringlich bekämpfen wollen? Inwieweit wird im Verwaltungsalltag, in Schulen und Unis überhaupt gegendert? Strobl selbst spricht von Einzelfällen, nennen tut er keine.
Kaum Beispiele
Wer sich aufmacht auf die Suche nach Beispielen, wird enttäuscht. Die Schulen orientierten sich am Duden, heißt es aus dem Kultusministerium. Das Wissenschaftsministerium kennt auch keine Fälle. Selbst das Innenministerium, das der Gendersprache den Kampf ansagt, findet nicht wirklich Beispielfälle. Es gehe aber auch darum, den Anfängen zu wehren, heißt es.
Immerhin: Im Ministerium des eher linken Verkehrsministers Winfried Hermann (Grüne) wurde den Beschäftigten 2022 in einem Schreiben geratem, den Doppelpunkt („Bürger:innen“) für die Kommunikation im Haus und nach außen zu nutzen
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