Stuttgart. Regelmäßig begründen Flüchtlinge ihren Antrag auf Asyl mit dem Hinweis auf Verfolgung in ihrer Heimat. Und doch gibt es solche Heimat-Reisen aus familiären oder geschäftlichen Gründen, zum Teil auch für einen Urlaub. Erstmals nennt das baden-württembergische Innenministerium Zahlen: Die kommunalen Ausländerbehörden haben seit 2014 rund 100 Fälle erfasst. Es sei aber von einer "gewissen Dunkelziffer auszugehen", schreibt Amtschef Julian Würtenberger. Der AfD-Landtagsabgeordnete Anton Baron - seine Fraktion hatte die Anfrage gestellt - sprach von "unglaublichen und unhaltbaren Zuständen". Er äußerte sich empört darüber, dass Reisen in ein "Verfolgerland" nicht dazu führen, dass die Asylberechtigung in Deutschland nach der Rückkehr erlischt.
In den vergangenen zweieinhalb Jahren wurden etwa 1,33 Millionen Erst- und Folgeanträge auf Asyl in Deutschland gestellt.
In Baden-Württemberg sind die Heimat-Reisen von anerkannten Flüchtlingen regional sehr ungleich verteilt. Die Stadt Heilbronn hat 20 Fälle ans Innenministerium gemeldet, der Landkreis Heilbronn elf. Dagegen heißt es in Stuttgart, es gebe mehrere Fälle, aber eine genaue Bezifferung sei nicht möglich. Hohe Zahlen gibt es in den Kreisen Esslingen mit 21 und in Böblingen mit 16. Mehrfach zwischen Heimatland und Deutschland hin- und hergereist seien im Regierungsbezirk Stuttgart weniger als 20 Flüchtlinge.
Eine ganz andere Lage zeigt sich im badischen Landesteil. Die Kreise Neckar-Odenwald und Rhein-Neckar wissen nur von je zwei Fällen, in denen Flüchtlinge befristet in das Land zurückgekehrt sind. Die Städte Mannheim und Heidelberg tauchen in den nun bekanntgemachten Zahlen gar nicht auf. Der Landkreis Konstanz weiß von solchen Rückreise-Fällen, eine genaue Bezifferung sei nicht möglich.
Frage der Schutzbedürftigkeit
Julian Würtenberger aus dem Innenministerium verweist auf die Rechtslage. Die Anerkennung als Asylberechtigter erlösche bei Reisen von Schutzberechtigten nur, "wenn sich der Ausländer freiwillig in seinem Heimatstaat niedergelassen hat". Davon könne bei einer dauerhaften Wohnsitzname ausgegangen werden. "Reisen in den Verfolgerstaat sind damit kein Erlöschensgrund, können aber nach einer Einzelfallprüfung zur Aberkennung des Schutzstatus führen", erklärt er die EU-Asyl-Richtlinie. Ganz wohl ist Würtenberger bei dieser Rechtslage aber nicht. "Wenn anerkannte Schutzberechtigte trotz einer Verfolgung oder Bedrohung zu Urlaubszwecken wieder in ihr Heimatland reisen, stellt sich zu Recht die Frage nach der Schutzbedürftigkeit dieser Ausländer", räumt er ein. Innenminister Thomas Strobl (CDU) habe deshalb im November beim Bundesinnenministerium Änderungen angemahnt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) habe eine Lockerung der Schutzrechte für Asylbewerber mit dem Hinweis auf die EU-Vorgaben abgelehnt. Eine Bundesratsinitiative hält Strobls Sprecher auf Nachfrage für nicht sinnvoll. Das europäische Recht habe Vorrang. Deshalb würde ein Vorstoß über die Länderkammer ins Leere laufen.
Nicht abfinden mit der Rechtslage will sich der CDU-Innenpolitiker Thomas Blenke. "Für mich ist das völlig unverständlich. Wenn man in einem Land Urlaub machen kann, ist man wohl kaum verfolgt", sagt er. In seinen Augen kann kein Asylgrund mehr vorliegen, wenn man vorübergehend in das Land reist, das man wegen Verfolgung verlassen hat.
Der SPD-Innenpolitiker Sascha Binder rät zur Besonnenheit. Wenn ein Flüchtling zum Beispiel wegen eines Trauerfalls zurückreist, sei das eine individuelle Abwägung der Risiken. Für Urlaub habe er kein Verständnis.
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