Stuttgart. Ende des vergangenen Jahres hat das baden-württembergische Verkehrsministerium untersuchen lassen, wie man sich auf den Schienen des Landes komplett vom Verbrenner verabschieden könnte. In den Blick nahm man auch wenig befahrene Strecken, die sich für eine teure Elektrifizierung nicht lohnen. Fazit: Im Prinzip wäre das technisch schon heute möglich, etwa mit batteriebetriebenen Zügen.
Die Hermann-Hesse-Bahn von Weil der Stadt in Richtung Calw sollte 2023 mit Batterie-Hybrid-Zügen starten – allerdings wird die Strecke deutlich später fertig. Im vergangenen Jahr hat es einen Versuchsbetrieb zwischen Stuttgart und Horb gegeben. Das Land will deshalb für die Fahrzeugflotte im Nahverkehr keine neuen Dieselzüge mehr bestellen. Doch schnell wird diese Ablösung nicht gehen – auch weil bestehende Verträge im Nahverkehr teilweise noch viele Jahre laufen.
Doch das wahre Defizit liegt woanders: Weiterhin gibt es im elektrischen Streckennetz in Baden-Württemberg bedeutende Lücken. Alle Strecken, die bereits 2018 bei der Vorstellung des damaligen Elektrifizierungskonzepts Land und Bund als „vordringlicher Bedarf“ galten, befinden sich auch fünf Jahre später in der Warteschleife. Der Bund hat diese Strecken trotz seiner 2021 angekündigten Ausbauoffensive nicht berücksichtigt.
Zieldatum erst 2040
„Die Frage müsste man eigentlich zuvorderst an die Deutsche Bahn als Infrastrukturbetreiber stellen oder an den Bund – zumal sich die Bundesregierung ebenfalls klare Klimaschutzziele für den Verkehr gesetzt hat“, sagt ein Sprecher des Landesverkehrsministeriums. „Wir streben bis 2040 an, dass die Eisenbahn im Land voll auf Elektrobetrieb beziehungsweise alternative Antriebe wie Batterie oder Wasserstofftechnologie umgestellt ist.“ Ein Vorreiter wäre der Bahnverkehr dann aber nicht: Bis 2040 will das Land sowieso klimaneutral werden.
Bedeutende Lücken gibt es bei der auch für den Güterverkehr bedeutenden Brenzbahn zwischen Aalen und Ulm oder der viel befahrene Bodenseegürtelbahn zwischen Radolfzell und Friedrichshafen. Selbst kleine Lückenschlüsse mit großer Wirkung etwa zwischen Rottweil und Donaueschingen oder zwischen Öhringen und Schwäbisch Hall sind rot auf der Projektlandkarte weiterhin als Wunschvorhaben eingezeichnet.
Einige Streckenkilometer sind in den vergangenen Jahren hinzugekommen. Ende 2020 beziehungsweise 2021 waren dies die Elektrifizierung der Südbahn von Ulm nach Friedrichshafen oder der Allgäubahn zwischen Memmingen und Lindau. Auch in der Ortenau wurde ein ganzes Netz elektrisch S-Bahn-tauglich gemacht. Und seit dem Fahrplanwechsel im vergangenen Dezember stehen die Schienenverbindungen zwischen Herrenberg und Tübingen sowie zwischen Metzingen und Bad Urach unter Strom.
Frage nach der Finanzierung
Doch andere Strecken, die laut Elektrifizierungskonzept vor fünf Jahren schon vor dem Ausbau standen, sind lange nicht fertig. Die Hochrheinbahn zwischen Basel und Erzingen bei Schaffhausen zeigt, wie langsam es vorangeht. Die Planungsvereinbarung stammt von 2011. Baubeginn wird 2024 sein, und der Fahrdraht soll, wenn alles gut geht, bis 2027 fertig sein. Für die Zollernbahn auf der Schwäbischen Alb beginnt erst 2024 die Planung.
Auch wenn der Fernverkehr bei der Bahn schon heute fast komplett elektrisch verkehrt, bleibt man von der kompletten E-Mobilität auf der Schiene mit einem Anteil von etwa vier Fünfteln im Schienennahverkehr noch ein ganzes Stück entfernt. Nachdem Baden-Württemberg bisher vergeblich auf Geld vom Bund gesetzt hat, sucht man nach anderen Wegen – und ist prinzipiell zur Mitfinanzierung bereit. Auch am Ausbau der Südbahn Richtung Bodensee hat sich das Land schließlich beteiligt. Doch diesen Sonderweg schließt man aus.
Allerdings gibt es Bundesgeld auch über die Nahverkehrsförderung. Hier müssen sich aber auch Land und Kommunen beteiligen. Zusammen mit Bayern hat Baden-Württemberg deswegen etwa die Brenzbahn als Teil der Regio-S-Bahn Donau-Iller beim Bund angemeldet. Bei der Bodenseegürtelbahn finanzierten Kommunen und das Land die Vorplanungen der Deutschen Bahn – die 2022 abgeschlossen wurden. Hoffnung macht auch, dass jüngst eine Expertenkommission dem Bund vorgeschlagen hat, Kosten und Nutzen von Elektrifizierungen großzügiger zu bewerten und die Planung zu vereinfachen.
Bis 2030, dem Termin, zu dem das Land die CO2-Emissionen im Verkehrsbereich mehr als halbieren will, werden diese Strecken aber nicht fertig. Mitte der 2030er Jahre, so sagt ein Ministeriumssprecher, sei dies realistisch: „Gern auch schneller.“
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