Adenauer schickte Geschenke

Vor genau 60 Jahren: Warum die Wiedereinweihung der Wormser Synagoge umstritten war

Von 
Bernhard Zinke
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Worms. Worms. Auch wenn er persönlich nicht bei den Feierlichkeiten anwesend war, schickte Bundeskanzler Konrad Adenauer zumindest bedeutsame Geschenke nach Worms: einen Thora-Schrein und einen Thora-Mantel zur würdevollen Aufbewahrung der hebräischen Bibel. Bundespräsident Heinrich Lübke spendete das Lesepult. An diesem Freitag jährt sich die Wiedergewinnung der Wormser Synagoge zum 60. Mal. Es war ein Akt von höchster symbolischer Bedeutung - nicht nur für Worms, Rheinland-Pfalz, und das ganze Nachkriegsdeutschland, sondern von geradezu internationalem Rang.

Beitrag zum Welterbe

Den Jahrestag würdigt die Stadt Worms unter anderem mit einem neuen Sammelband mit dem Titel „Kontinuität - Zerstörung - Authentizität?“ Der Band ist auch ein Produkt des Prozesses, der den jüdischen Stätten im vergangenen Sommer den Rang eines Welterbes eingetragen hat. Zahlreiche Wissenschaftler haben die Baugeschichte der Synagoge erforscht und ihr den Rang der Einzigartigkeit attestiert. Das war unabdingbare Voraussetzung für die Anerkennung als Welterbe. Die Synagoge ist wesentlicher Bestandteil der SchUM-Stätten in Speyer, Worms und Mainz. Die Erkenntnisse dieser Forschung flossen in ein rund 1000 Seiten dickes Bewerbungsschreiben an die Unesco ein. Dieser Mehrwert soll nun einer breiteren interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, erläutert Gerold Bönnen, Leiter des Wormser Stadtarchivs und Instituts für Stadtgeschichte. Dies geschieht in Form des rund 230 Seiten dicken Buchs. Eigentlich hätte es zum Jahrestag fertig sein sollen. Das habe nun aus verschiedenen Gründen nicht ganz geklappt. Aber im Januar werde es wohl vorliegen, so Bönnen.

Es sei deutlich mehr als ein Wiederaufbau gewesen damals. Man habe versucht, dem Gotteshaus nicht nur seinen authentischen Charakter zurückzugeben, unter anderem durch die Verwendung von noch erhaltenem Baumaterial. Deshalb sprechen die Historiker auch vom Jahrestag der „Wiedergewinnung“ der Wormser Synagoge.

Die Feierlichkeiten vom 3. Dezember 1961 sind bestens dokumentiert, berichtet Gerold Bönnen. Die Reden während des Festakts hat das Wormser Stadtarchiv sogar in mittlerweile digitaler Form als Tonaufnahme archiviert. Es gibt sehr viele Bilder von diesem Ereignis, an dem auch Adenauer-Vertreter und Vizekanzler Ludwig Erhardt, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Peter Altmeier sowie Vertreter aus Israel teilnahmen.

Umso bedeutsamer: Deutschland unterhielt zu diesem Zeitpunkt noch gar keine diplomatischen Beziehungen zu dem jüdischen Staat. „Man könnte fast eine eigene Doktorarbeit über den Tag schreiben“, sinniert Bönnen.

Dass überhaupt nach Kriegsende eine Synagoge in Deutschland ohne Existenz einer jüdischen Gemeinde vor Ort wieder eingeweiht werden konnte, hat eine weitreichende geschichtspolitische Bedeutung. Es sollte ein Zeichen der Bundesrepublik Deutschland an die ganze jüdische Welt sein - ein Versuch der Wiedergutmachung, ein Versuch, nach den Nazi-Gräueltaten wieder in die Gemeinschaft der zivilisierten Völker zurückzukehren.

In der Urkunde zur Wiederweihe am 3. Dezember 1961, unterschrieben von Adenauer, Altmeier und dem Wormser Oberbürgermeister Heinrich Völker, ist die Absicht klar beschrieben: „Mit dem Wiedererstehen dieser für das Judentum der gesamten Welt so bedeutenden Synagoge soll das ehrliche Bemühen des deutschen Volkes um Versöhnung und Wiedergutmachung sichtbar werden.“ Oberbürgermeister Heinrich Völker sagte beim Festakt: „Der Tag der Einweihung wurde von uns aufrichtig herbeigesehnt. Ein Tag, der ein sichtbarer Meilenstein in der Geschichte unserer Stadt sein wird.“

Umstrittenes Projekt

Dabei war der Wiederaufbau der 1938 niedergebrannten Synagoge keineswegs unumstritten. Vor allem emigrierte Wormser Juden formulierten deutliche Kritik an dem Vorhaben. Es gebe keine Notwendigkeit mehr für ein Gotteshaus an dieser Stelle, zumal es keine eigene jüdische Gemeinde mehr gab. „Ich habe die Auffassung, dass hier (...) ein überspitzter und falsch geleiteter Wiedergutmachungsgedanke die Oberhand gewonnen hat“, zitiert Gerold Bönnen in seinem Aufsatz den namhaften deutsch-jüdischen Architekten Ernst Guggenheimer.

Der Wiederaufbau hat sich zumindest für die Stadt Worms ausgezahlt. Er hat ihr das Prädikat eines Welterbes eingetragen. Und für die Juden aus aller Welt, die bis heute die Stadt besuchen, ist es ein Ort der Erinnerung und Einkehr. Es ist außerdem eine steingewordene Bitte um Vergebung.

Die Synagoge in Worms

Das erste jüdische Gebetshaus in Worms ist nachgewiesen seit 1034. Es stand fast an der gleichen Stelle und wurde während der Kreuzzüge 1096 und 1146 beschädigt.

Neu gebaut wurde die Synagoge um 1174/75 von Handwerkern der Wormser Dombauhütte.

In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 zerstörten die Nazis die Synagoge. Nur die Grundmauern blieben stehen.

Der Wiederaufbau begann 1957. Das Haus wurde am ersten Chanukka-Tag 1961, dem 3. Dezember, wieder eingeweiht.

Besitzer ist die jüdische Gemeinde in Mainz, die das Haus seit etwa 20 Jahren wieder regelmäßig für Gottesdienste nutzt.

Eine Ausstellung zum Wiederaufbau befindet sich im Jüdischen Museum im benachbarten Raschi-Haus. bjz

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