Am dritten Tag von Jazz & Joy kam dann auch der Jazz nach Worms: Das Berliner Trio Bobby Rausch empfing das hereinströmende Publikum am Schlossplatz. Mit Bassklarinette, Baritonsaxofon und Schlagzeug wurde ein Jazz zelebriert, der mäandernd urban rohe Klänge mit Fusion vereinte. Wie das geht? In dem man manche Themen monomanisch wiederholt und sich cleverer elektronischer Effektgeräte bedient, so dass die Bassklarinette von Lutz Streun auch gerne mal wie ein Moog Synthesizer klingt.
Dazu trommelt Jürgen Meyer so schnörkellos und ökonomisch, dass faszinierende Klangbilder entstehen, wobei Verspieltheit sich bewusst in Grenzen hält. Oleg Hollmann sorgt mit seinem Baritonsaxofon bei „Rhino“ für einen schwergängigen Reggae.
„Endlich Jazz“, mochte man sagen. Strenge Hygienevorschriften sorgen für eine extreme Verkleinerung des sonst so vielseitigen Events. Wenn man an diesen Tagen die Zuhörer beobachtet, merkt man, dass die aktuelle Form gewöhnungsbedürftig ist: Pünktlich beginnen die Musiker, aber das Publikum sucht noch seine Plätze. Da hilft Professionalität von der Bühne, etwa in Form der mitreißenden guten Laune, die die LaBrassBanda am Eröffnungsabend mit ihrer atemlosen Livemusik charmant ins Publikum transportiert.
Liedermacher und Deutschpop
Ansonsten herrschen an den beiden ersten Tagen Songwriting und Pop vor. Die 25-jährige Lotte hat es mit ihrem eingängigen Deutschpop da zu einer mehr als respektablen Meisterschaft gebracht. Dennoch ist es schade, dass sich die junge Frau aus Ravensburg mit ihrer guten Stimme so in ein nach Radio und TV schielendes Konzept stecken lässt, wo trotz hervorragender Band und top Lightshow manches in ihren Songs, die inhaltlich die Suche nach Glück zum Hauptthema haben, sehr artifiziell daherkommt. Sie hat ihre Fans.
Ebenso wie Michael Schulte, der stimmlich alles kann – außer Rock and Roll, was er charmant zugibt. Der 31-jährige ESC Kandidat liefert seine Hits ab und hält sich dabei noch ein paar Türen offen. Das Publikum liegt ihm zu Füßen.
Da war auf dem Schlossplatz mehr Mut zum Scheitern. Niels Frevert findet für seine Lebensbeschreibungen eine gänzlich andere und literarisch gehaltvollere Poesie, die anrührt. Hier gibt es „Karten für die Fahrt auf der schiefen Bahn“ und wo der Edel-Pop immer das ganz große Gefühl sucht, langt dem Hanseaten das brüchige Glück. Das Etikett „Geheimtipp“ ist ein grauenhaftes Stigma und bei Frevert eine Schande. Auch die überdrehte Irin Wallis Bird liefert einen Abend, an dem das Scheiten lauert. Doch das exaltierte Gitarrenspiel, mittels Looptechnik erweitert und von Fußstampfen und demonstrierter Zerfahrenheit begleitet, spiegelt eine Zerrissenheit wider, die vielleicht bewusster Teil der „Angry Woman“-Inszenierung ist, die nur selten stille Momente hat.
Ganz anders bei der in Russland geborenen Kosmopolitin Maya Fadeeva, die in ihrem Konzert auf dem Weckerlingplatz das hereinbummelnde Publikum mit „Somewhere Over The Rainbow“ begrüßt, um diesen gepflegten Bar Jazz mit ihrer exzellenten Band nie zu verlassen.
Der Button an der Jacke
Da hilft auch kein weiches Bass-Solo von Emanuel Stanley und nicht die federnden Soli von Keyboarder Mike Roeleof. Alles klingt wohlfeil, so auch die Interpretation von Thelonius Monk „Pannonica“. Fadeeva spricht hervorragend Deutsch, genauso wie sie Jazz singen kann. Doch der von den Medien aufgebrachte Amy-Winehouse-Vergleich ist überzogen.
Früher gab es ein Erkennungszeichen unter Jazz & Joy-Dauergängern: Jedes Festival hat einen eigenen Button und mancher trägt das über die Jahre angehäufte Sammelsurium stolz an der Jacke. Ein stummes Zeichen, dabei gewesen zu sein, als Al Jarreau, Bob Dylan oder Wolfgang Dauner sich in Worms die Hand reichten. Man wird wehmütig, während man dem musikalisch sehr guten Soul und Partyspaß von Lokalmatador Peter Englert und seinen elf Mitstreitern auf der Bühne lauscht. Der Kreativem und Subversivem zugeneigte Englert – er wäre vor zwei Jahren beinahe Oberbürgermeister der Stadt geworden – feiert beim Festival einen überbordenden Kindergeburtstag.
Die Band Nouvelle Vague, hat schon im Namen eine Mehrfachbedeutung: „New Wave“, aber auch Bossa Nova. Die Grund-Idee New- Wave-Klassikern und Punk-Songs den rebellischen Zahn zu ziehen, ist in der Art, wie das Projekt sich live präsentiert, eine perfide Zähmung der Widerspenstigen. Lieder, die einst eine ganz eigene Ära prägten.
Die beiden Sängerinnen Melanie Pain und Eladie Frege, die zu Beginn zu „Fade to Grey“ durchs Publikum laufen, um sich dann auf der Bühne als Vamps und Femmes fatales zu inszenieren, haben viel frankophilen Charme, dass sogar „Too Drunk To Fuck“ von den Dead Kennedys im angenehmen, aber auch variantenreichen Sound friedvoll ertrinkt.
Ein cleveres Konzept, bei dem auch Depeche Mode oder sogar Grauzone umarrangiert werden. Das Projekt von Oliver Liboux und Marc Collin gibt es seit 15 Jahren und ist letztendlich – wie das ganze Festival – ein Beweis dafür, wie vielschichtig und überraschend Musik sein kann.
Fakten zum Finale des Festivals
Ohne Hygienekonzept wäre das Festival nicht möglich gewesen. Für maximal knapp 500 Zuschauer pro Spielort gab es eine Komplettbestuhlung. Statt wie sonst 6 Bühnen und über 35 Bands (und in Hochzeiten eine Zuschauerfrequenz von bis zu 35.000 Besuchern) ist in 2021 alles abgespeckt.
Das Flanieren zwischen den Spielstätten war nicht möglich. Auch freie Konzerte, die vor der Jugendherberge ihren festen Platz hatten, fielen aus. Dementsprechend war auch die Gastronomie eingeschränkt und bei Betretender Spielstätten bis zum Platz herrschte Maskenpflicht.
Dennoch gibt sich der Künstlerische Leiter David Maier (Bild) zufrieden. „Mehr ist nicht drin“, betont er und „man muss auch sehen, was wir möglich gemacht haben.“
Alle Künstler äußerten in ihren Konzerten, wie froh sie sind, wieder live spielen zu dürfen, und bedankten sich. Einen Nena-Moment gab es nicht, das Publikum verhielt sich weitgehend diszipliniert und der von vier Seiten illuminierte Wormser Dom ließ das Festival zumindest optisch erstrahlen. (Bild: Schnepf)
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