Im Wust der ganzen coronabedingten Verschiebungen ist die Mitteilung darüber, wann Veranstaltungen eigentlich hätten stattfinden sollen längst zur Randnotiz geworden. Doch an diesem Abend im Kulturzentrum Das Wormser mit Jasmin Tabatabai merkt man just an dieser Stelle plötzlich auf. Denn anders als man sonst die wiedergewonnene kulturelle Freiheit preist, muss man in diesen gut 100 Minuten tief bedauern, dass man zwei lange Jahre auf sie warten musste – jetzt kehrt sie im Rahmenprogramm der Nibelungenfestspiele zurück an den „Tatort“ des Stücks „Kriemhilds Rache“, in dem sie vor 15 Jahren die Titelrolle verkörpert hat.
Denn dieses Konzert mit Schauspielerin und Sängerin Jasmin Tabatabai ist all das, was man von einer Hommage an Jazz, Chanson und musikalischem Tiefsinn erwarten kann. Das liegt zum einen am Schweizer Saxophonisten David Klein und seinem Quartett, das ganz pur und fein das „Ständchen“ von Schubert begleiten, aber auch ganz fein ziselierten Jazz bieten kann. Besonders herauszuheben ist in diesen Stunden Pianist Jerry Lu, der mit stringenten Soli von kristalliner Schönheit überragt und seinem Leader David Klein und seinen warmen Sax-Wogen damit in nichts nachsteht.
Unglaublich gut aufgelegt
Die Begeisterung entzündet sich aber vor allem an einer unglaublich gut aufgelegten Jasmin Tabatabai, die mit einer derartigen stimmlichen Souveränität zuwege schreitet, dass selbst Kenner teilweise mit Gänsehaut staunen. Dabei präsentiert sich die Protagonistin mitnichten als hätte sie irgendetwas zu beweisen. Ganz elegant meistert sie die deutsche Cole-Porter-Variante „Sei mal verliebt“ („Let’s Fall In Love“) und lächelt dabei so authentisch und kess: Es muss einem zur hellen Freude werden. Ohnehin ist der schiere Abwechslungsreichtum Tabatabais großes Plus. Denn ob die 55-Jährige ihre Zuhörer nun mit Reinhard Mey zu augenzwinkernden Beobachtungen über die „Männer im Baumarkt“ auffordert, oder mit Kurt Tucholsky das Eheleben diebisch-satirisch auf die Zeit „Danach“ hin untersucht: Die Songs haben Drive, Attitüde, Varianz und Unterhaltungswert.
Vertonter Poetry Slam
Zumal es die Begleitmusiker auch an Überraschungen und Unerwartetem keineswegs mangeln lassen. Als Tabatabai etwa die lyrischen Zeilen des Poetry Slammers Sebastian 23 unter dem Titel „Zeit“ aufgreift, klingen die Igel als „Kakteen auf Beinen“ und das Zugfahren als „Fließen auf Gleisen“ im souligen Flow fast zu schön, um wahr zu sein.
Noch emotionaler wird es nur dann, als das titelgebende Lied dieses Konzerts im Rahmen der Nibelungenfestspiele endlich in voller Pracht erklingen darf: „Jagd auf Rehe“. Komplett auf Farsi geschrieben, offenbart dieses zärtliche, wenngleich mystische Stück Liebesmusik aus dem Iran, welch große Schönheit selbst die Flucht in die Natur nach einer Trennung noch mit sich führen kann.
David Klein sagt es zum Ende hin eigentlich scherzhaft, aber doch im Ernst: Ob Schweizer oder nicht – bei solchen Qualitäten kann man nicht neutral bleiben. Denn wer die Intimität einer Hildegard Knef („Lass mich bei dir sein“) so spielerisch schultert, dass er sein Publikum zum zärtlichen Finale gar in die Wiege singen mag, hat nur eine Wertung verdient: Chapeau!
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